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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
noch wohl eine Umänderung der Religion ehe und leich-
ter zu hoffen.

Aber sind die Umstände nicht überall die nämlichen?
Es bleiben Fälle genug übrig, wo die Kultur nicht un-
mittelbar bey der Religion anfangen darf, sondern eine
andere Richtung nehmen kann, wie sie in vielen Län-
dern Europens, wie sie selbst bey den Griechen und Rö-
mern und andern etwas aufgeklärten Völkern des Al-
terthums, wirklich genommen hat, die ihrer falschen
Religion ohnerachtet aufgeklärter gewesen sind, als die
meisten christlichen Nationen nicht sind. Doch muß
man hiebey nicht vergessen, daß die ersten Lehrer dieser
Völker allemal den Anfang bey den Religionsbegriffen
gemacht haben. Und dazu fällt uns auch die Anmer-
kung auf, daß in jedem Fall eine Freyheit der Vernunft
im Denken über Religionslehren, und eine Toleranz,
bis zu einer gewissen Stufe unentbehrlich gewesen sey,
wenn ein Volk zu einer allseitigen Aufklärung gelanget
ist; wenn wir nämlich die Erhebung des vernünftigen
Theils im Menschen, der sich in freyen und großen
Untersuchungen über den Menschen und dessen Bezie-
hungen auf Gott und die Welt beweiset, hinzurechnen,
und die Kultur nicht bloß auf eine gewisse Seite des
Menschen, auf eine oder die andere Kunst, auf Fein-
heit der Sitten und Lebensart, und auf Politik ein-
schränken. Jene zur Aufklärung nothwendige Freyheit
verträgt sich aber durchaus mit keiner falschen, auf bloße
Autorität sich stützenden Religion, die immer etwas
von ihr zu befürchten hat, sondern nur mit derjenigen,
die alle Untersuchung aushält. Die Aufklärung der

Griechen
der 1766 von den Synoden zu Neuyork und Philadel-
phia an die Jndianer auf der Grenze von Pensylvanien
geschickt ward. Siehe das Tagebuch seiner zween-
monatlichen Reise,
übersetzt 1771.

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
noch wohl eine Umaͤnderung der Religion ehe und leich-
ter zu hoffen.

Aber ſind die Umſtaͤnde nicht uͤberall die naͤmlichen?
Es bleiben Faͤlle genug uͤbrig, wo die Kultur nicht un-
mittelbar bey der Religion anfangen darf, ſondern eine
andere Richtung nehmen kann, wie ſie in vielen Laͤn-
dern Europens, wie ſie ſelbſt bey den Griechen und Roͤ-
mern und andern etwas aufgeklaͤrten Voͤlkern des Al-
terthums, wirklich genommen hat, die ihrer falſchen
Religion ohnerachtet aufgeklaͤrter geweſen ſind, als die
meiſten chriſtlichen Nationen nicht ſind. Doch muß
man hiebey nicht vergeſſen, daß die erſten Lehrer dieſer
Voͤlker allemal den Anfang bey den Religionsbegriffen
gemacht haben. Und dazu faͤllt uns auch die Anmer-
kung auf, daß in jedem Fall eine Freyheit der Vernunft
im Denken uͤber Religionslehren, und eine Toleranz,
bis zu einer gewiſſen Stufe unentbehrlich geweſen ſey,
wenn ein Volk zu einer allſeitigen Aufklaͤrung gelanget
iſt; wenn wir naͤmlich die Erhebung des vernuͤnftigen
Theils im Menſchen, der ſich in freyen und großen
Unterſuchungen uͤber den Menſchen und deſſen Bezie-
hungen auf Gott und die Welt beweiſet, hinzurechnen,
und die Kultur nicht bloß auf eine gewiſſe Seite des
Menſchen, auf eine oder die andere Kunſt, auf Fein-
heit der Sitten und Lebensart, und auf Politik ein-
ſchraͤnken. Jene zur Aufklaͤrung nothwendige Freyheit
vertraͤgt ſich aber durchaus mit keiner falſchen, auf bloße
Autoritaͤt ſich ſtuͤtzenden Religion, die immer etwas
von ihr zu befuͤrchten hat, ſondern nur mit derjenigen,
die alle Unterſuchung aushaͤlt. Die Aufklaͤrung der

Griechen
der 1766 von den Synoden zu Neuyork und Philadel-
phia an die Jndianer auf der Grenze von Penſylvanien
geſchickt ward. Siehe das Tagebuch ſeiner zween-
monatlichen Reiſe,
uͤberſetzt 1771.
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[674/0704] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt noch wohl eine Umaͤnderung der Religion ehe und leich- ter zu hoffen. Aber ſind die Umſtaͤnde nicht uͤberall die naͤmlichen? Es bleiben Faͤlle genug uͤbrig, wo die Kultur nicht un- mittelbar bey der Religion anfangen darf, ſondern eine andere Richtung nehmen kann, wie ſie in vielen Laͤn- dern Europens, wie ſie ſelbſt bey den Griechen und Roͤ- mern und andern etwas aufgeklaͤrten Voͤlkern des Al- terthums, wirklich genommen hat, die ihrer falſchen Religion ohnerachtet aufgeklaͤrter geweſen ſind, als die meiſten chriſtlichen Nationen nicht ſind. Doch muß man hiebey nicht vergeſſen, daß die erſten Lehrer dieſer Voͤlker allemal den Anfang bey den Religionsbegriffen gemacht haben. Und dazu faͤllt uns auch die Anmer- kung auf, daß in jedem Fall eine Freyheit der Vernunft im Denken uͤber Religionslehren, und eine Toleranz, bis zu einer gewiſſen Stufe unentbehrlich geweſen ſey, wenn ein Volk zu einer allſeitigen Aufklaͤrung gelanget iſt; wenn wir naͤmlich die Erhebung des vernuͤnftigen Theils im Menſchen, der ſich in freyen und großen Unterſuchungen uͤber den Menſchen und deſſen Bezie- hungen auf Gott und die Welt beweiſet, hinzurechnen, und die Kultur nicht bloß auf eine gewiſſe Seite des Menſchen, auf eine oder die andere Kunſt, auf Fein- heit der Sitten und Lebensart, und auf Politik ein- ſchraͤnken. Jene zur Aufklaͤrung nothwendige Freyheit vertraͤgt ſich aber durchaus mit keiner falſchen, auf bloße Autoritaͤt ſich ſtuͤtzenden Religion, die immer etwas von ihr zu befuͤrchten hat, ſondern nur mit derjenigen, die alle Unterſuchung aushaͤlt. Die Aufklaͤrung der Griechen *) *) der 1766 von den Synoden zu Neuyork und Philadel- phia an die Jndianer auf der Grenze von Penſylvanien geſchickt ward. Siehe das Tagebuch ſeiner zween- monatlichen Reiſe, uͤberſetzt 1771.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/704>, abgerufen am 27.11.2024.