Alsdenn läßt sich, nach dem schon erwehnten Gleichniß, die Eine wie die andere, als eine Form, oder ein Ge- präge des Verstandes ansehen, wovon der Werth des Metalls zu unterscheiden ist. Nur zuweilen ist jenes, wegen seiner relativen Vollkommenheit, mehr als die Materie selbst werth.
Nun können wir zwar, wenn wir die Kenntnisse der Menschen so nehmen, wie sie sind, selten solche Fälle finden, wo man annehmen dürfte, daß die Folgen und Wirkungen auf ihre Vervollkommnung nicht besser und nicht schlechter gewesen wären, wenn statt der wahren Jdee eine falsche, und umgekehrt, im Verstande gele- gen hätte. Aber dagegen sind die Fälle desto häufiger, und man kann sagen, es ist allgemein: "daß so wohl "die Glückseligkeit, als die Vervollkommnung, mit ihrem "Gegentheil in einem ganz andern Verhältnisse stehe, "als die Wahrheit und Falschheit in den Kenntnissen." Und dieß nicht bloß zufällig, weil sie solche nicht anwen- den, wie sie doch könnten, sondern auch da, wo so viele Folgen und Vortheile aus ihnen gezogen werden, als es nämlich nach der Beschaffenheit des Verstandes und der übrigen innern und äußern Umstände angeht. Denn davon, was an und für sich wohl möglich wäre, kann nicht die Rede seyn. Man sehe zum Beyspiel nur dar- auf, was die wahre und falschen Religionen auf den größ- ten Haufen der Menschen für Wirkungen haben, und natürlicher Weise, wenn man auf ihren Zustand Rück- sicht nimmt, haben können. Man wird finden, keine ist durchaus unfruchtbar; es sind dieß die allerangele- gentlichsten Kenntnisse; und die Fälle, wo sie so viel wie fast nichts wirken, wollen wir nicht in Anschlag brin- gen. Aber findet man, daß der innere Vorzug an Menschheit da so viel größer ist, wo die Vorstellungs- kraft von richtigen, als da, wo sie von falschen, Formen besetzet ist? Wie viele macht die wahre Kenntniß, in
soferne
und Entwickelung des Menſchen.
Alsdenn laͤßt ſich, nach dem ſchon erwehnten Gleichniß, die Eine wie die andere, als eine Form, oder ein Ge- praͤge des Verſtandes anſehen, wovon der Werth des Metalls zu unterſcheiden iſt. Nur zuweilen iſt jenes, wegen ſeiner relativen Vollkommenheit, mehr als die Materie ſelbſt werth.
Nun koͤnnen wir zwar, wenn wir die Kenntniſſe der Menſchen ſo nehmen, wie ſie ſind, ſelten ſolche Faͤlle finden, wo man annehmen duͤrfte, daß die Folgen und Wirkungen auf ihre Vervollkommnung nicht beſſer und nicht ſchlechter geweſen waͤren, wenn ſtatt der wahren Jdee eine falſche, und umgekehrt, im Verſtande gele- gen haͤtte. Aber dagegen ſind die Faͤlle deſto haͤufiger, und man kann ſagen, es iſt allgemein: „daß ſo wohl „die Gluͤckſeligkeit, als die Vervollkommnung, mit ihrem „Gegentheil in einem ganz andern Verhaͤltniſſe ſtehe, „als die Wahrheit und Falſchheit in den Kenntniſſen.‟ Und dieß nicht bloß zufaͤllig, weil ſie ſolche nicht anwen- den, wie ſie doch koͤnnten, ſondern auch da, wo ſo viele Folgen und Vortheile aus ihnen gezogen werden, als es naͤmlich nach der Beſchaffenheit des Verſtandes und der uͤbrigen innern und aͤußern Umſtaͤnde angeht. Denn davon, was an und fuͤr ſich wohl moͤglich waͤre, kann nicht die Rede ſeyn. Man ſehe zum Beyſpiel nur dar- auf, was die wahre und falſchen Religionen auf den groͤß- ten Haufen der Menſchen fuͤr Wirkungen haben, und natuͤrlicher Weiſe, wenn man auf ihren Zuſtand Ruͤck- ſicht nimmt, haben koͤnnen. Man wird finden, keine iſt durchaus unfruchtbar; es ſind dieß die allerangele- gentlichſten Kenntniſſe; und die Faͤlle, wo ſie ſo viel wie faſt nichts wirken, wollen wir nicht in Anſchlag brin- gen. Aber findet man, daß der innere Vorzug an Menſchheit da ſo viel groͤßer iſt, wo die Vorſtellungs- kraft von richtigen, als da, wo ſie von falſchen, Formen beſetzet iſt? Wie viele macht die wahre Kenntniß, in
ſoferne
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und Entwickelung des Menſchen.
Alsdenn laͤßt ſich, nach dem ſchon erwehnten Gleichniß,
die Eine wie die andere, als eine Form, oder ein Ge-
praͤge des Verſtandes anſehen, wovon der Werth des
Metalls zu unterſcheiden iſt. Nur zuweilen iſt jenes,
wegen ſeiner relativen Vollkommenheit, mehr als die
Materie ſelbſt werth.
Nun koͤnnen wir zwar, wenn wir die Kenntniſſe der
Menſchen ſo nehmen, wie ſie ſind, ſelten ſolche Faͤlle
finden, wo man annehmen duͤrfte, daß die Folgen und
Wirkungen auf ihre Vervollkommnung nicht beſſer und
nicht ſchlechter geweſen waͤren, wenn ſtatt der wahren
Jdee eine falſche, und umgekehrt, im Verſtande gele-
gen haͤtte. Aber dagegen ſind die Faͤlle deſto haͤufiger,
und man kann ſagen, es iſt allgemein: „daß ſo wohl
„die Gluͤckſeligkeit, als die Vervollkommnung, mit ihrem
„Gegentheil in einem ganz andern Verhaͤltniſſe ſtehe,
„als die Wahrheit und Falſchheit in den Kenntniſſen.‟
Und dieß nicht bloß zufaͤllig, weil ſie ſolche nicht anwen-
den, wie ſie doch koͤnnten, ſondern auch da, wo ſo viele
Folgen und Vortheile aus ihnen gezogen werden, als
es naͤmlich nach der Beſchaffenheit des Verſtandes und
der uͤbrigen innern und aͤußern Umſtaͤnde angeht. Denn
davon, was an und fuͤr ſich wohl moͤglich waͤre, kann
nicht die Rede ſeyn. Man ſehe zum Beyſpiel nur dar-
auf, was die wahre und falſchen Religionen auf den groͤß-
ten Haufen der Menſchen fuͤr Wirkungen haben, und
natuͤrlicher Weiſe, wenn man auf ihren Zuſtand Ruͤck-
ſicht nimmt, haben koͤnnen. Man wird finden, keine
iſt durchaus unfruchtbar; es ſind dieß die allerangele-
gentlichſten Kenntniſſe; und die Faͤlle, wo ſie ſo viel
wie faſt nichts wirken, wollen wir nicht in Anſchlag brin-
gen. Aber findet man, daß der innere Vorzug an
Menſchheit da ſo viel groͤßer iſt, wo die Vorſtellungs-
kraft von richtigen, als da, wo ſie von falſchen, Formen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/697>, abgerufen am 27.11.2024.
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