Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.und Entwickelung des Menschen. Gründen gezweifelt, ob es so sey. Wenn alles übrigegleich ist, so entspricht auch ohne Zweifel die Größe der Kraftbestimmung zur Thätigkeit und der Aktion der Größe des Eindrucks, den die Motiven machen. Aber wie ein Körper, der ein Princip der Bewegung in sich hat, durch einen schwächern Stoß von außen in eine weit heftigere Bewegung gebracht werden kann, als ein anderer, dessen innere Kraft schwächer ist: so kann auch wohl die wirksame Seelenkraft bey einem durch ein schwaches Motiv lebhafter bewegt werden, als bey einem andern durch ein stärkeres. Die Bewegungsgründe sind doch nur veranlassende Gründe, keine wirkende Ur- sachen. Die Kraft, welche wirket, ist in der Seele, und ist von dem Bewegungsgrunde nur modificirt. Der letztere wirket nicht wie das Gewicht an der Wage, son- dern allenfalls nur wie ein Schlag auf eine elastische Saite, oder wie der Funke auf das Pulver. Die Grös- se der Aktion hängt so wohl von der vorhergehenden Spannung des thätigen Princips ab, ehe dieß von dem Motiv bestimmet wird, als von der Größe des Ein- drucks, der durch das Motiv hinzukommt und die Kraft lebendig macht, oder sie nur lenket. Es kann auch in der Thätigkeitskraft der Seele ein Misverhältniß mit ihrer vorstellenden Kraft und mit dem Gefühle statt- finden, wie sich auch oft genug in den Handlungen zei- get. Vorstellungen und Empfindungen, die in Ver- gleichung mit andern ungemein stumpf und kraftlos sind, setzen bey einigen die stärker gespannten Begierden in Bewegung, und wirken feste Entschlüsse und ein hart- näckiges Anhalten, die zuweilen in der Seele das sind, was die konvulsivifchen Bewegungen in den zu stark ge- spannten Muskeln. Bey eben diesen eigensinnigen Per- sonen zeiget sich oftmals ein stumpfes Gefühl, und ei- ne nicht viel auf einmal umfassende Phantasie, die beide nicht vermögend wären, durch die vorzügliche Lebhaftig- keit R r 2
und Entwickelung des Menſchen. Gruͤnden gezweifelt, ob es ſo ſey. Wenn alles uͤbrigegleich iſt, ſo entſpricht auch ohne Zweifel die Groͤße der Kraftbeſtimmung zur Thaͤtigkeit und der Aktion der Groͤße des Eindrucks, den die Motiven machen. Aber wie ein Koͤrper, der ein Princip der Bewegung in ſich hat, durch einen ſchwaͤchern Stoß von außen in eine weit heftigere Bewegung gebracht werden kann, als ein anderer, deſſen innere Kraft ſchwaͤcher iſt: ſo kann auch wohl die wirkſame Seelenkraft bey einem durch ein ſchwaches Motiv lebhafter bewegt werden, als bey einem andern durch ein ſtaͤrkeres. Die Bewegungsgruͤnde ſind doch nur veranlaſſende Gruͤnde, keine wirkende Ur- ſachen. Die Kraft, welche wirket, iſt in der Seele, und iſt von dem Bewegungsgrunde nur modificirt. Der letztere wirket nicht wie das Gewicht an der Wage, ſon- dern allenfalls nur wie ein Schlag auf eine elaſtiſche Saite, oder wie der Funke auf das Pulver. Die Groͤſ- ſe der Aktion haͤngt ſo wohl von der vorhergehenden Spannung des thaͤtigen Princips ab, ehe dieß von dem Motiv beſtimmet wird, als von der Groͤße des Ein- drucks, der durch das Motiv hinzukommt und die Kraft lebendig macht, oder ſie nur lenket. Es kann auch in der Thaͤtigkeitskraft der Seele ein Misverhaͤltniß mit ihrer vorſtellenden Kraft und mit dem Gefuͤhle ſtatt- finden, wie ſich auch oft genug in den Handlungen zei- get. Vorſtellungen und Empfindungen, die in Ver- gleichung mit andern ungemein ſtumpf und kraftlos ſind, ſetzen bey einigen die ſtaͤrker geſpannten Begierden in Bewegung, und wirken feſte Entſchluͤſſe und ein hart- naͤckiges Anhalten, die zuweilen in der Seele das ſind, was die konvulſivifchen Bewegungen in den zu ſtark ge- ſpannten Muſkeln. Bey eben dieſen eigenſinnigen Per- ſonen zeiget ſich oftmals ein ſtumpfes Gefuͤhl, und ei- ne nicht viel auf einmal umfaſſende Phantaſie, die beide nicht vermoͤgend waͤren, durch die vorzuͤgliche Lebhaftig- keit R r 2
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und Entwickelung des Menſchen.
Gruͤnden gezweifelt, ob es ſo ſey. Wenn alles uͤbrige
gleich iſt, ſo entſpricht auch ohne Zweifel die Groͤße der
Kraftbeſtimmung zur Thaͤtigkeit und der Aktion der
Groͤße des Eindrucks, den die Motiven machen. Aber
wie ein Koͤrper, der ein Princip der Bewegung in ſich
hat, durch einen ſchwaͤchern Stoß von außen in eine
weit heftigere Bewegung gebracht werden kann, als ein
anderer, deſſen innere Kraft ſchwaͤcher iſt: ſo kann auch
wohl die wirkſame Seelenkraft bey einem durch ein
ſchwaches Motiv lebhafter bewegt werden, als bey einem
andern durch ein ſtaͤrkeres. Die Bewegungsgruͤnde
ſind doch nur veranlaſſende Gruͤnde, keine wirkende Ur-
ſachen. Die Kraft, welche wirket, iſt in der Seele, und
iſt von dem Bewegungsgrunde nur modificirt. Der
letztere wirket nicht wie das Gewicht an der Wage, ſon-
dern allenfalls nur wie ein Schlag auf eine elaſtiſche
Saite, oder wie der Funke auf das Pulver. Die Groͤſ-
ſe der Aktion haͤngt ſo wohl von der vorhergehenden
Spannung des thaͤtigen Princips ab, ehe dieß von dem
Motiv beſtimmet wird, als von der Groͤße des Ein-
drucks, der durch das Motiv hinzukommt und die Kraft
lebendig macht, oder ſie nur lenket. Es kann auch in
der Thaͤtigkeitskraft der Seele ein Misverhaͤltniß mit
ihrer vorſtellenden Kraft und mit dem Gefuͤhle ſtatt-
finden, wie ſich auch oft genug in den Handlungen zei-
get. Vorſtellungen und Empfindungen, die in Ver-
gleichung mit andern ungemein ſtumpf und kraftlos
ſind, ſetzen bey einigen die ſtaͤrker geſpannten Begierden
in Bewegung, und wirken feſte Entſchluͤſſe und ein hart-
naͤckiges Anhalten, die zuweilen in der Seele das ſind,
was die konvulſivifchen Bewegungen in den zu ſtark ge-
ſpannten Muſkeln. Bey eben dieſen eigenſinnigen Per-
ſonen zeiget ſich oftmals ein ſtumpfes Gefuͤhl, und ei-
ne nicht viel auf einmal umfaſſende Phantaſie, die beide
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