Als die nächste Hauptstufe, die auf die Wildheit folgt, kann man die Barbarey ansehen. Sie enthält eine Entwickelung der sinnlichen Vorstellungskraft und der Begierden und Leidenschaften, die davon ab- hangen. Aber die höhere Ueberlegungskraft ist zurück. Sie ist die Seelennatur in ihrem Jünglingsstande, wo- bey der Mensch von Seiten der körperlichen Kräfte völ- lich zum Mann wird. Zu den bloß thierischen Jnstink- ten, worauf der Wilde eingeschränkt ist, gesellen sich bey den Barbaren alle Begierden, die durch die Phanta- sie erreget werden. Jn diesem Zustande muß auch die höhere Denkkraft schon merklich sich offenbaren; nur die Sinnlichkeit ist zu stark und zu herrschend, als daß die Ueberlegung und Vernunft den Willen regieren könne. Es ist eine natürlichn Folge hievon, daß auch unter kul- tivirten Völkern der größte Theil der Einzelnen Barba- ren seyn würden, wenn nicht selbst die Einrichtung der Gesellschaft, die Gesetze und Sitten gewisse Vorurthei- le und Gewohnheiten auf sie verbreiteten, wodurch die Sinnlichkeit gemäßiget und der vernünftigen Ueberle- gung ein stärkerer Einfluß in die Denkungsart, und noch mehr in die äußern Handlungen, verstattet würde. Denn was den Pöbel bey den aufgeklärtesten Völkern von den Barbaren unterscheidet, ist nicht so sehr die in- nere Einrichtung der Erkenntnißkräfte und des Willens, obgleich in etwas, als vielmehr die äußern Modifika- tionen, welche den Leidenschaften von außen durch die Sitten aufgedruckt werden, indem jene hervorgehen. Die Handlungen sind milder, gerechter, menschlicher, wenn es die Herzen nicht sind. Und auch diese letztern sind und werden es doch einigermaßen durch die Rück- wirkung aus den Handlungen.
Wenn die Entwickelung der höhern Verstandes- kräfte den Grad erreicht, wo sie deutliche und vernünf- tige Ueberlegung wird, und als solche die Gesinnungen
und
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und Entwickelung des Menſchen.
Als die naͤchſte Hauptſtufe, die auf die Wildheit folgt, kann man die Barbarey anſehen. Sie enthaͤlt eine Entwickelung der ſinnlichen Vorſtellungskraft und der Begierden und Leidenſchaften, die davon ab- hangen. Aber die hoͤhere Ueberlegungskraft iſt zuruͤck. Sie iſt die Seelennatur in ihrem Juͤnglingsſtande, wo- bey der Menſch von Seiten der koͤrperlichen Kraͤfte voͤl- lich zum Mann wird. Zu den bloß thieriſchen Jnſtink- ten, worauf der Wilde eingeſchraͤnkt iſt, geſellen ſich bey den Barbaren alle Begierden, die durch die Phanta- ſie erreget werden. Jn dieſem Zuſtande muß auch die hoͤhere Denkkraft ſchon merklich ſich offenbaren; nur die Sinnlichkeit iſt zu ſtark und zu herrſchend, als daß die Ueberlegung und Vernunft den Willen regieren koͤnne. Es iſt eine natuͤrlichn Folge hievon, daß auch unter kul- tivirten Voͤlkern der groͤßte Theil der Einzelnen Barba- ren ſeyn wuͤrden, wenn nicht ſelbſt die Einrichtung der Geſellſchaft, die Geſetze und Sitten gewiſſe Vorurthei- le und Gewohnheiten auf ſie verbreiteten, wodurch die Sinnlichkeit gemaͤßiget und der vernuͤnftigen Ueberle- gung ein ſtaͤrkerer Einfluß in die Denkungsart, und noch mehr in die aͤußern Handlungen, verſtattet wuͤrde. Denn was den Poͤbel bey den aufgeklaͤrteſten Voͤlkern von den Barbaren unterſcheidet, iſt nicht ſo ſehr die in- nere Einrichtung der Erkenntnißkraͤfte und des Willens, obgleich in etwas, als vielmehr die aͤußern Modifika- tionen, welche den Leidenſchaften von außen durch die Sitten aufgedruckt werden, indem jene hervorgehen. Die Handlungen ſind milder, gerechter, menſchlicher, wenn es die Herzen nicht ſind. Und auch dieſe letztern ſind und werden es doch einigermaßen durch die Ruͤck- wirkung aus den Handlungen.
Wenn die Entwickelung der hoͤhern Verſtandes- kraͤfte den Grad erreicht, wo ſie deutliche und vernuͤnf- tige Ueberlegung wird, und als ſolche die Geſinnungen
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und Entwickelung des Menſchen.
Als die naͤchſte Hauptſtufe, die auf die Wildheit
folgt, kann man die Barbarey anſehen. Sie enthaͤlt
eine Entwickelung der ſinnlichen Vorſtellungskraft
und der Begierden und Leidenſchaften, die davon ab-
hangen. Aber die hoͤhere Ueberlegungskraft iſt zuruͤck.
Sie iſt die Seelennatur in ihrem Juͤnglingsſtande, wo-
bey der Menſch von Seiten der koͤrperlichen Kraͤfte voͤl-
lich zum Mann wird. Zu den bloß thieriſchen Jnſtink-
ten, worauf der Wilde eingeſchraͤnkt iſt, geſellen ſich
bey den Barbaren alle Begierden, die durch die Phanta-
ſie erreget werden. Jn dieſem Zuſtande muß auch die
hoͤhere Denkkraft ſchon merklich ſich offenbaren; nur die
Sinnlichkeit iſt zu ſtark und zu herrſchend, als daß die
Ueberlegung und Vernunft den Willen regieren koͤnne.
Es iſt eine natuͤrlichn Folge hievon, daß auch unter kul-
tivirten Voͤlkern der groͤßte Theil der Einzelnen Barba-
ren ſeyn wuͤrden, wenn nicht ſelbſt die Einrichtung der
Geſellſchaft, die Geſetze und Sitten gewiſſe Vorurthei-
le und Gewohnheiten auf ſie verbreiteten, wodurch die
Sinnlichkeit gemaͤßiget und der vernuͤnftigen Ueberle-
gung ein ſtaͤrkerer Einfluß in die Denkungsart, und
noch mehr in die aͤußern Handlungen, verſtattet wuͤrde.
Denn was den Poͤbel bey den aufgeklaͤrteſten Voͤlkern
von den Barbaren unterſcheidet, iſt nicht ſo ſehr die in-
nere Einrichtung der Erkenntnißkraͤfte und des Willens,
obgleich in etwas, als vielmehr die aͤußern Modifika-
tionen, welche den Leidenſchaften von außen durch die
Sitten aufgedruckt werden, indem jene hervorgehen.
Die Handlungen ſind milder, gerechter, menſchlicher,
wenn es die Herzen nicht ſind. Und auch dieſe letztern
ſind und werden es doch einigermaßen durch die Ruͤck-
wirkung aus den Handlungen.
Wenn die Entwickelung der hoͤhern Verſtandes-
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tige Ueberlegung wird, und als ſolche die Geſinnungen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/643>, abgerufen am 25.11.2024.
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