ihre Sinnglieder, in einem hohen Grade. Aber kul- tivirt ist eine Nation nur, insoferne sie Einrichtungen besitzet, die einen höhern Gebrauch der Ueberlegungs- kraft und des Nachdenkens voraussetzen. Ein höhe- rer Grad der Kultur ist Polizirung. Denn was zu der Einrichtung der bürgerlichen Staatsverfassung und Polizey gehöret; kann nur alsdenn eingeführet werden, wenn der Mensch sich als Mensch, als ein vernünftiges und nach Ueberlegung handelndes Wesen, in einem merkbaren Grade thätig beweiset. Den barbarischen Völkern spricht man zwar nicht die Kultur, aber doch die Polizirung ab. Noch ist die Aufklärung bey einem Volke, und bey den Jndividuen, als ein höhe- rer Grad der Entwickelung des Verstandes durch Kün- ste und Wissenschaften, als ein höher stehender Punkt auf dem Stufenmesser der Menschheit, zu bemerken. Aber wo ist hier das Jnstrument, das uns diese Grade angiebt, und sie genau angiebt? Denn wenn wir keine Genauigkeit verlangen, so weiß der aufgeklärte Men- schenverstand ohngefehr die Vergleichung zu machen. Er unterscheidet stark genug den polizirten Europäer von dem Barbaren an der afrikanischen Küste, und diesen auch wiederum von dem Wilden in Nordamerika und Neuseeland.
Die innere Natur also, die äußern Umstände, das Beyspiel und die Erziehung sind die Ursachen, von deren vereinigten Wirkungen es abhängt, daß jedes Jndividuum das wird, was es wirklich ist. Allein da die Wirkungen dieser verschiedenen Ursachen so sehr in einander laufen, zuweilen mit einander zusammentreffen, und sich vereinigen und verstärken, zuweilen sich einan- der entgegenarbeiten, sich hindern und unterdrücken; da an derselbigen Wirkung bald die eine, bald die an- dere, den größten Antheil hat, und eine den Mangel der andern ersetzen kann: so darf es uns nicht| wundern,
wenn
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ihre Sinnglieder, in einem hohen Grade. Aber kul- tivirt iſt eine Nation nur, inſoferne ſie Einrichtungen beſitzet, die einen hoͤhern Gebrauch der Ueberlegungs- kraft und des Nachdenkens vorausſetzen. Ein hoͤhe- rer Grad der Kultur iſt Polizirung. Denn was zu der Einrichtung der buͤrgerlichen Staatsverfaſſung und Polizey gehoͤret; kann nur alsdenn eingefuͤhret werden, wenn der Menſch ſich als Menſch, als ein vernuͤnftiges und nach Ueberlegung handelndes Weſen, in einem merkbaren Grade thaͤtig beweiſet. Den barbariſchen Voͤlkern ſpricht man zwar nicht die Kultur, aber doch die Polizirung ab. Noch iſt die Aufklaͤrung bey einem Volke, und bey den Jndividuen, als ein hoͤhe- rer Grad der Entwickelung des Verſtandes durch Kuͤn- ſte und Wiſſenſchaften, als ein hoͤher ſtehender Punkt auf dem Stufenmeſſer der Menſchheit, zu bemerken. Aber wo iſt hier das Jnſtrument, das uns dieſe Grade angiebt, und ſie genau angiebt? Denn wenn wir keine Genauigkeit verlangen, ſo weiß der aufgeklaͤrte Men- ſchenverſtand ohngefehr die Vergleichung zu machen. Er unterſcheidet ſtark genug den polizirten Europaͤer von dem Barbaren an der afrikaniſchen Kuͤſte, und dieſen auch wiederum von dem Wilden in Nordamerika und Neuſeeland.
Die innere Natur alſo, die aͤußern Umſtaͤnde, das Beyſpiel und die Erziehung ſind die Urſachen, von deren vereinigten Wirkungen es abhaͤngt, daß jedes Jndividuum das wird, was es wirklich iſt. Allein da die Wirkungen dieſer verſchiedenen Urſachen ſo ſehr in einander laufen, zuweilen mit einander zuſammentreffen, und ſich vereinigen und verſtaͤrken, zuweilen ſich einan- der entgegenarbeiten, ſich hindern und unterdruͤcken; da an derſelbigen Wirkung bald die eine, bald die an- dere, den groͤßten Antheil hat, und eine den Mangel der andern erſetzen kann: ſo darf es uns nicht| wundern,
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ihre Sinnglieder, in einem hohen Grade. Aber kul-
tivirt iſt eine Nation nur, inſoferne ſie Einrichtungen
beſitzet, die einen hoͤhern Gebrauch der Ueberlegungs-
kraft und des Nachdenkens vorausſetzen. Ein hoͤhe-
rer Grad der Kultur iſt Polizirung. Denn was zu
der Einrichtung der buͤrgerlichen Staatsverfaſſung und
Polizey gehoͤret; kann nur alsdenn eingefuͤhret werden,
wenn der Menſch ſich als Menſch, als ein vernuͤnftiges
und nach Ueberlegung handelndes Weſen, in einem
merkbaren Grade thaͤtig beweiſet. Den barbariſchen
Voͤlkern ſpricht man zwar nicht die Kultur, aber doch
die Polizirung ab. Noch iſt die Aufklaͤrung bey
einem Volke, und bey den Jndividuen, als ein hoͤhe-
rer Grad der Entwickelung des Verſtandes durch Kuͤn-
ſte und Wiſſenſchaften, als ein hoͤher ſtehender Punkt
auf dem Stufenmeſſer der Menſchheit, zu bemerken.
Aber wo iſt hier das Jnſtrument, das uns dieſe Grade
angiebt, und ſie genau angiebt? Denn wenn wir keine
Genauigkeit verlangen, ſo weiß der aufgeklaͤrte Men-
ſchenverſtand ohngefehr die Vergleichung zu machen.
Er unterſcheidet ſtark genug den polizirten Europaͤer von
dem Barbaren an der afrikaniſchen Kuͤſte, und dieſen
auch wiederum von dem Wilden in Nordamerika und
Neuſeeland.
Die innere Natur alſo, die aͤußern Umſtaͤnde, das
Beyſpiel und die Erziehung ſind die Urſachen, von
deren vereinigten Wirkungen es abhaͤngt, daß jedes
Jndividuum das wird, was es wirklich iſt. Allein da
die Wirkungen dieſer verſchiedenen Urſachen ſo ſehr in
einander laufen, zuweilen mit einander zuſammentreffen,
und ſich vereinigen und verſtaͤrken, zuweilen ſich einan-
der entgegenarbeiten, ſich hindern und unterdruͤcken;
da an derſelbigen Wirkung bald die eine, bald die an-
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der andern erſetzen kann: ſo darf es uns nicht| wundern,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/616>, abgerufen am 25.11.2024.
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