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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
eindrücke, die ihr während der Zeugung gegenwärtig
sind und die alsdenn thätige Körperkraft so bestimmen,
daß davon Folgen in der Frucht entstehen? Ein ge-
schickter Naturforscher hat, aus der Mitwirkung der
thierischen Einbildungskraft, bey den Hunden die große
Verschiedenheit, die sich in dieser Thiergattung findet,
zu erklären gesucht.*) Vielleicht ist dieß zu viel. Viel-
leicht thut die Einbildungskraft nur etwas, nicht alles.
Aber wenn die Beobachtung richtig ist, daß so gar die
gewaltsame Verkürzung der Ohren und des Schwanzes
erblich wird: so würden die übrigen Gründe, deren sich
Hr. Frischen bedienet hat, worunter dieser einer der
vornehmsten ist, daß der Sinn des Gesichts von den
Hunden vorzüglich gebraucht wird Dinge zu unterschei-
den, und daß die Abweichungen, welche in der Farbe,
in den Haaren und in der Bildung entstehen, fast alle
in die äußern Sinne fallen, ungemein bestärket wer-
den. Man kann diesen Thieren eine vorzügliche Leb-
haftigkeit der Einbildungskraft nicht absprechen; und
was noch hinzugesetzt werden muß, ihre Natur ist für
sich ausnehmend biegsam und geschickt mancherley Ab-
änderungen anzunehmen. Jnzwischen mag es sich bey
den Thieren verhalten, wie es wolle, so ist bey dem
Menschen dieser Einfluß schwerlich gegen die vielen Be-
obachtungen, wozu die innere Möglichkeit aus der Na-
tur der Nachbildungskraft kommt, in Zweifel zu zie-
hen. Man kann es für keine Einwendung von Erheb-
lichkeit ansehen, daß der Einfluß der Einbildungskraft
nicht bey allen gleich groß noch bey allen merklich ist.
Auch kann man sich darauf nicht berufen, daß sie so

viel
*) Hr. Joh. Theoph. Frischen. Siehe dessen Abhand-
lung von den Ursachen der vielerley Bildungen und
Größen der Hunde,
in dem Naturforscher 7tes St.
S. 52.
O o 2

und Entwickelung des Menſchen.
eindruͤcke, die ihr waͤhrend der Zeugung gegenwaͤrtig
ſind und die alsdenn thaͤtige Koͤrperkraft ſo beſtimmen,
daß davon Folgen in der Frucht entſtehen? Ein ge-
ſchickter Naturforſcher hat, aus der Mitwirkung der
thieriſchen Einbildungskraft, bey den Hunden die große
Verſchiedenheit, die ſich in dieſer Thiergattung findet,
zu erklaͤren geſucht.*) Vielleicht iſt dieß zu viel. Viel-
leicht thut die Einbildungskraft nur etwas, nicht alles.
Aber wenn die Beobachtung richtig iſt, daß ſo gar die
gewaltſame Verkuͤrzung der Ohren und des Schwanzes
erblich wird: ſo wuͤrden die uͤbrigen Gruͤnde, deren ſich
Hr. Friſchen bedienet hat, worunter dieſer einer der
vornehmſten iſt, daß der Sinn des Geſichts von den
Hunden vorzuͤglich gebraucht wird Dinge zu unterſchei-
den, und daß die Abweichungen, welche in der Farbe,
in den Haaren und in der Bildung entſtehen, faſt alle
in die aͤußern Sinne fallen, ungemein beſtaͤrket wer-
den. Man kann dieſen Thieren eine vorzuͤgliche Leb-
haftigkeit der Einbildungskraft nicht abſprechen; und
was noch hinzugeſetzt werden muß, ihre Natur iſt fuͤr
ſich ausnehmend biegſam und geſchickt mancherley Ab-
aͤnderungen anzunehmen. Jnzwiſchen mag es ſich bey
den Thieren verhalten, wie es wolle, ſo iſt bey dem
Menſchen dieſer Einfluß ſchwerlich gegen die vielen Be-
obachtungen, wozu die innere Moͤglichkeit aus der Na-
tur der Nachbildungskraft kommt, in Zweifel zu zie-
hen. Man kann es fuͤr keine Einwendung von Erheb-
lichkeit anſehen, daß der Einfluß der Einbildungskraft
nicht bey allen gleich groß noch bey allen merklich iſt.
Auch kann man ſich darauf nicht berufen, daß ſie ſo

viel
*) Hr. Joh. Theoph. Friſchen. Siehe deſſen Abhand-
lung von den Urſachen der vielerley Bildungen und
Groͤßen der Hunde,
in dem Naturforſcher 7tes St.
S. 52.
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[579/0609] und Entwickelung des Menſchen. eindruͤcke, die ihr waͤhrend der Zeugung gegenwaͤrtig ſind und die alsdenn thaͤtige Koͤrperkraft ſo beſtimmen, daß davon Folgen in der Frucht entſtehen? Ein ge- ſchickter Naturforſcher hat, aus der Mitwirkung der thieriſchen Einbildungskraft, bey den Hunden die große Verſchiedenheit, die ſich in dieſer Thiergattung findet, zu erklaͤren geſucht. *) Vielleicht iſt dieß zu viel. Viel- leicht thut die Einbildungskraft nur etwas, nicht alles. Aber wenn die Beobachtung richtig iſt, daß ſo gar die gewaltſame Verkuͤrzung der Ohren und des Schwanzes erblich wird: ſo wuͤrden die uͤbrigen Gruͤnde, deren ſich Hr. Friſchen bedienet hat, worunter dieſer einer der vornehmſten iſt, daß der Sinn des Geſichts von den Hunden vorzuͤglich gebraucht wird Dinge zu unterſchei- den, und daß die Abweichungen, welche in der Farbe, in den Haaren und in der Bildung entſtehen, faſt alle in die aͤußern Sinne fallen, ungemein beſtaͤrket wer- den. Man kann dieſen Thieren eine vorzuͤgliche Leb- haftigkeit der Einbildungskraft nicht abſprechen; und was noch hinzugeſetzt werden muß, ihre Natur iſt fuͤr ſich ausnehmend biegſam und geſchickt mancherley Ab- aͤnderungen anzunehmen. Jnzwiſchen mag es ſich bey den Thieren verhalten, wie es wolle, ſo iſt bey dem Menſchen dieſer Einfluß ſchwerlich gegen die vielen Be- obachtungen, wozu die innere Moͤglichkeit aus der Na- tur der Nachbildungskraft kommt, in Zweifel zu zie- hen. Man kann es fuͤr keine Einwendung von Erheb- lichkeit anſehen, daß der Einfluß der Einbildungskraft nicht bey allen gleich groß noch bey allen merklich iſt. Auch kann man ſich darauf nicht berufen, daß ſie ſo viel *) Hr. Joh. Theoph. Friſchen. Siehe deſſen Abhand- lung von den Urſachen der vielerley Bildungen und Groͤßen der Hunde, in dem Naturforſcher 7tes St. S. 52. O o 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/609>, abgerufen am 22.11.2024.