V. Vom Unterschiede der Grundvermögen und der abgeleiteten Vermögen.
Grundvermögen und abgeleitete Vermögen in der Seele beziehen sich auf eine ähnliche Art auf einander, wie die Grundformen in dem Keim des Kör- pers auf die hinzukommenden Formen in dem ausgebil- deten Körper. Zu den abgeleiteten gehöret zuerst al- les, was sein Unterscheidungsmerkmal nur von Graden und Stufen hat, oder wobey es auf ein Mehr oder We- niger ankommt; aber ferner auch alle Vermögen, wo- bey sich findet, wenn man sie auflöset, daß sie aus an- dern einfachern zusammengesetzt sind, und daß diese Zu- sammensetzung eine Folge von der Vergrößerung in den einfachen ist, die sich vereinigen. Denn wo es so ist, da mögen zwar die unterschiedenen Vermögen, nicht bloß der Objekte wegen, sondern auch in Hinsicht den Art und Weise zu wirken, etwas Eigenes an sich ha- ben: so sind sie dennoch nur mittelbare Folgen von der ersten Anlage der Seele, weil eine Entwickelung von dieser vorhergehen muß, ehe sie auf jene neue Weise zu- sammenwachsen und das neue Vermögen hervortrei- ben kann. Wenn nur diejenigen abgeleiteten Vermö- gen für verschiedene gehalten werden, die mehr als bloß den Graden nach von einander verschieden sind, so können wir die letzterwehnten für neu erzeugte Vermö- gen ansehen, dagegen diejenigen als entwickelte betrach- ten, die allein durch die Vergrößerung der ersten Anla- gen entstehen. Die abgeleiteten Vermögen, müssen alsdenn insbesondere als hinzugekommene angesehen werden, wenn sie, außer der innern Einrichtung der Seele und den Naturanlagen, noch den Einfluß der äus- sern Ursachen zu ihrer Bestimmung erfodern. Denn daferne sie stark genug, wenn gleich nur mittelbar, durch
die
M m 5
und Entwickelung des Menſchen.
V. Vom Unterſchiede der Grundvermoͤgen und der abgeleiteten Vermoͤgen.
Grundvermoͤgen und abgeleitete Vermoͤgen in der Seele beziehen ſich auf eine aͤhnliche Art auf einander, wie die Grundformen in dem Keim des Koͤr- pers auf die hinzukommenden Formen in dem ausgebil- deten Koͤrper. Zu den abgeleiteten gehoͤret zuerſt al- les, was ſein Unterſcheidungsmerkmal nur von Graden und Stufen hat, oder wobey es auf ein Mehr oder We- niger ankommt; aber ferner auch alle Vermoͤgen, wo- bey ſich findet, wenn man ſie aufloͤſet, daß ſie aus an- dern einfachern zuſammengeſetzt ſind, und daß dieſe Zu- ſammenſetzung eine Folge von der Vergroͤßerung in den einfachen iſt, die ſich vereinigen. Denn wo es ſo iſt, da moͤgen zwar die unterſchiedenen Vermoͤgen, nicht bloß der Objekte wegen, ſondern auch in Hinſicht den Art und Weiſe zu wirken, etwas Eigenes an ſich ha- ben: ſo ſind ſie dennoch nur mittelbare Folgen von der erſten Anlage der Seele, weil eine Entwickelung von dieſer vorhergehen muß, ehe ſie auf jene neue Weiſe zu- ſammenwachſen und das neue Vermoͤgen hervortrei- ben kann. Wenn nur diejenigen abgeleiteten Vermoͤ- gen fuͤr verſchiedene gehalten werden, die mehr als bloß den Graden nach von einander verſchieden ſind, ſo koͤnnen wir die letzterwehnten fuͤr neu erzeugte Vermoͤ- gen anſehen, dagegen diejenigen als entwickelte betrach- ten, die allein durch die Vergroͤßerung der erſten Anla- gen entſtehen. Die abgeleiteten Vermoͤgen, muͤſſen alsdenn insbeſondere als hinzugekommene angeſehen werden, wenn ſie, außer der innern Einrichtung der Seele und den Naturanlagen, noch den Einfluß der aͤuſ- ſern Urſachen zu ihrer Beſtimmung erfodern. Denn daferne ſie ſtark genug, wenn gleich nur mittelbar, durch
die
M m 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0583"n="553"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#aq">V.</hi><lb/>
Vom Unterſchiede der Grundvermoͤgen und der<lb/>
abgeleiteten Vermoͤgen.</head><lb/><p><hirendition="#in">G</hi><hirendition="#fr">rundvermoͤgen</hi> und <hirendition="#fr">abgeleitete Vermoͤgen</hi> in<lb/>
der Seele beziehen ſich auf eine aͤhnliche Art auf<lb/>
einander, wie die Grundformen in dem Keim des Koͤr-<lb/>
pers auf die hinzukommenden Formen in dem ausgebil-<lb/>
deten Koͤrper. Zu den abgeleiteten gehoͤret zuerſt al-<lb/>
les, was ſein Unterſcheidungsmerkmal nur von Graden<lb/>
und Stufen hat, oder wobey es auf ein Mehr oder We-<lb/>
niger ankommt; aber ferner auch alle Vermoͤgen, wo-<lb/>
bey ſich findet, wenn man ſie aufloͤſet, daß ſie aus an-<lb/>
dern einfachern zuſammengeſetzt ſind, und daß dieſe Zu-<lb/>ſammenſetzung eine Folge von der Vergroͤßerung in den<lb/>
einfachen iſt, die ſich vereinigen. Denn wo es ſo iſt,<lb/>
da moͤgen zwar die unterſchiedenen Vermoͤgen, nicht<lb/>
bloß der Objekte wegen, ſondern auch in Hinſicht den<lb/>
Art und Weiſe zu wirken, etwas Eigenes an ſich ha-<lb/>
ben: ſo ſind ſie dennoch nur mittelbare Folgen von der<lb/>
erſten Anlage der Seele, weil eine Entwickelung von<lb/>
dieſer vorhergehen muß, ehe ſie auf jene neue Weiſe zu-<lb/>ſammenwachſen und das neue Vermoͤgen hervortrei-<lb/>
ben kann. Wenn nur diejenigen abgeleiteten Vermoͤ-<lb/>
gen fuͤr verſchiedene gehalten werden, die mehr als<lb/>
bloß den Graden nach von einander verſchieden ſind, ſo<lb/>
koͤnnen wir die letzterwehnten fuͤr neu erzeugte Vermoͤ-<lb/>
gen anſehen, dagegen diejenigen als entwickelte betrach-<lb/>
ten, die allein durch die Vergroͤßerung der erſten Anla-<lb/>
gen entſtehen. Die <hirendition="#fr">abgeleiteten</hi> Vermoͤgen, muͤſſen<lb/>
alsdenn insbeſondere als <hirendition="#fr">hinzugekommene</hi> angeſehen<lb/>
werden, wenn ſie, außer der innern Einrichtung der<lb/>
Seele und den Naturanlagen, noch den Einfluß der aͤuſ-<lb/>ſern Urſachen zu ihrer Beſtimmung erfodern. Denn<lb/>
daferne ſie ſtark genug, wenn gleich nur mittelbar, durch<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M m 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[553/0583]
und Entwickelung des Menſchen.
V.
Vom Unterſchiede der Grundvermoͤgen und der
abgeleiteten Vermoͤgen.
Grundvermoͤgen und abgeleitete Vermoͤgen in
der Seele beziehen ſich auf eine aͤhnliche Art auf
einander, wie die Grundformen in dem Keim des Koͤr-
pers auf die hinzukommenden Formen in dem ausgebil-
deten Koͤrper. Zu den abgeleiteten gehoͤret zuerſt al-
les, was ſein Unterſcheidungsmerkmal nur von Graden
und Stufen hat, oder wobey es auf ein Mehr oder We-
niger ankommt; aber ferner auch alle Vermoͤgen, wo-
bey ſich findet, wenn man ſie aufloͤſet, daß ſie aus an-
dern einfachern zuſammengeſetzt ſind, und daß dieſe Zu-
ſammenſetzung eine Folge von der Vergroͤßerung in den
einfachen iſt, die ſich vereinigen. Denn wo es ſo iſt,
da moͤgen zwar die unterſchiedenen Vermoͤgen, nicht
bloß der Objekte wegen, ſondern auch in Hinſicht den
Art und Weiſe zu wirken, etwas Eigenes an ſich ha-
ben: ſo ſind ſie dennoch nur mittelbare Folgen von der
erſten Anlage der Seele, weil eine Entwickelung von
dieſer vorhergehen muß, ehe ſie auf jene neue Weiſe zu-
ſammenwachſen und das neue Vermoͤgen hervortrei-
ben kann. Wenn nur diejenigen abgeleiteten Vermoͤ-
gen fuͤr verſchiedene gehalten werden, die mehr als
bloß den Graden nach von einander verſchieden ſind, ſo
koͤnnen wir die letzterwehnten fuͤr neu erzeugte Vermoͤ-
gen anſehen, dagegen diejenigen als entwickelte betrach-
ten, die allein durch die Vergroͤßerung der erſten Anla-
gen entſtehen. Die abgeleiteten Vermoͤgen, muͤſſen
alsdenn insbeſondere als hinzugekommene angeſehen
werden, wenn ſie, außer der innern Einrichtung der
Seele und den Naturanlagen, noch den Einfluß der aͤuſ-
ſern Urſachen zu ihrer Beſtimmung erfodern. Denn
daferne ſie ſtark genug, wenn gleich nur mittelbar, durch
die
M m 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/583>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.