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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
sich selbst aus und wächst. Es kann nicht fehlen, daß
bey diesem Bestreben nicht mehrere Fasern seitwärts
einander begegnen sollten. Anfangs begegnen sich bloß
die innern Bewegungen in ihnen, wodurch ihre Theile
erschüttert und in der Lage etwas geändert werden.
Dieß ist nothwendig, auch da wo nur eine Vergröße-
rung statt finden soll, indem die eindringenden Nah-
rungspartikeln Platz haben müssen, wo sie abgesetzet
werden können. Haben sich nun diese Erschütterungen
zwoer benachbarten Fibern, wie zween Kreise auf dem
Wasser, einander berühret und endlich gar bey wieder-
holter Wallung einander durchkreuzet: so ist zugleich
auch, indem eine Spur dieser Bewegungen zurückbleibt,
der Anfang zu einer Zwischenfiber gemacht, welche von
der einen zur andern gezogen wird, dann| beyde verbin-
det, und nun eine neue Masche oder eine neue Raute in
dem Netz zwischen ihnen macht.

Die wachsende Kraft in dem Körper, die ani-
ma vegetativa
des Aristoteles, oder die wesentliche
Kraft
bey dem Hr. Wolf, zeiget sich also als ein
Analogon von der vorstellenden, associirenden und dich-
tenden Kraft der Seele. Wir nennen die letztere eine
Vorstellungskraft: aber man muß sich bescheiden, daß
dieser Name nichts mehr als eine allgemeine und unbe-
stimmte Wirkungsart von ihr angebe, nichts mehr als
einen allgemeinen Zug, der etwan so viel sagen will, als
wir von der Entwickelungskraft des Körpers wissen, daß
auch dieß eine Kraft sey die Nahrung aufzunehmen,
zu vertheilen, mit sich zu vereinigen und sich dadurch zu
erweitern, zu vergrößern und neue Theile anzusetzen.
Wie unendlich viel mehr bestimmtes ist in der mensch-
lichen Entwickelungskraft vorhanden, wovon wir keine
Vorstellung haben, oder sie doch wenigstens durch den
erwehnten Charakter nicht angeben?

V. Vom

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſich ſelbſt aus und waͤchſt. Es kann nicht fehlen, daß
bey dieſem Beſtreben nicht mehrere Faſern ſeitwaͤrts
einander begegnen ſollten. Anfangs begegnen ſich bloß
die innern Bewegungen in ihnen, wodurch ihre Theile
erſchuͤttert und in der Lage etwas geaͤndert werden.
Dieß iſt nothwendig, auch da wo nur eine Vergroͤße-
rung ſtatt finden ſoll, indem die eindringenden Nah-
rungspartikeln Platz haben muͤſſen, wo ſie abgeſetzet
werden koͤnnen. Haben ſich nun dieſe Erſchuͤtterungen
zwoer benachbarten Fibern, wie zween Kreiſe auf dem
Waſſer, einander beruͤhret und endlich gar bey wieder-
holter Wallung einander durchkreuzet: ſo iſt zugleich
auch, indem eine Spur dieſer Bewegungen zuruͤckbleibt,
der Anfang zu einer Zwiſchenfiber gemacht, welche von
der einen zur andern gezogen wird, dann| beyde verbin-
det, und nun eine neue Maſche oder eine neue Raute in
dem Netz zwiſchen ihnen macht.

Die wachſende Kraft in dem Koͤrper, die ani-
ma vegetativa
des Ariſtoteles, oder die weſentliche
Kraft
bey dem Hr. Wolf, zeiget ſich alſo als ein
Analogon von der vorſtellenden, aſſociirenden und dich-
tenden Kraft der Seele. Wir nennen die letztere eine
Vorſtellungskraft: aber man muß ſich beſcheiden, daß
dieſer Name nichts mehr als eine allgemeine und unbe-
ſtimmte Wirkungsart von ihr angebe, nichts mehr als
einen allgemeinen Zug, der etwan ſo viel ſagen will, als
wir von der Entwickelungskraft des Koͤrpers wiſſen, daß
auch dieß eine Kraft ſey die Nahrung aufzunehmen,
zu vertheilen, mit ſich zu vereinigen und ſich dadurch zu
erweitern, zu vergroͤßern und neue Theile anzuſetzen.
Wie unendlich viel mehr beſtimmtes iſt in der menſch-
lichen Entwickelungskraft vorhanden, wovon wir keine
Vorſtellung haben, oder ſie doch wenigſtens durch den
erwehnten Charakter nicht angeben?

V. Vom
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[552/0582] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt ſich ſelbſt aus und waͤchſt. Es kann nicht fehlen, daß bey dieſem Beſtreben nicht mehrere Faſern ſeitwaͤrts einander begegnen ſollten. Anfangs begegnen ſich bloß die innern Bewegungen in ihnen, wodurch ihre Theile erſchuͤttert und in der Lage etwas geaͤndert werden. Dieß iſt nothwendig, auch da wo nur eine Vergroͤße- rung ſtatt finden ſoll, indem die eindringenden Nah- rungspartikeln Platz haben muͤſſen, wo ſie abgeſetzet werden koͤnnen. Haben ſich nun dieſe Erſchuͤtterungen zwoer benachbarten Fibern, wie zween Kreiſe auf dem Waſſer, einander beruͤhret und endlich gar bey wieder- holter Wallung einander durchkreuzet: ſo iſt zugleich auch, indem eine Spur dieſer Bewegungen zuruͤckbleibt, der Anfang zu einer Zwiſchenfiber gemacht, welche von der einen zur andern gezogen wird, dann| beyde verbin- det, und nun eine neue Maſche oder eine neue Raute in dem Netz zwiſchen ihnen macht. Die wachſende Kraft in dem Koͤrper, die ani- ma vegetativa des Ariſtoteles, oder die weſentliche Kraft bey dem Hr. Wolf, zeiget ſich alſo als ein Analogon von der vorſtellenden, aſſociirenden und dich- tenden Kraft der Seele. Wir nennen die letztere eine Vorſtellungskraft: aber man muß ſich beſcheiden, daß dieſer Name nichts mehr als eine allgemeine und unbe- ſtimmte Wirkungsart von ihr angebe, nichts mehr als einen allgemeinen Zug, der etwan ſo viel ſagen will, als wir von der Entwickelungskraft des Koͤrpers wiſſen, daß auch dieß eine Kraft ſey die Nahrung aufzunehmen, zu vertheilen, mit ſich zu vereinigen und ſich dadurch zu erweitern, zu vergroͤßern und neue Theile anzuſetzen. Wie unendlich viel mehr beſtimmtes iſt in der menſch- lichen Entwickelungskraft vorhanden, wovon wir keine Vorſtellung haben, oder ſie doch wenigſtens durch den erwehnten Charakter nicht angeben? V. Vom

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/582>, abgerufen am 22.11.2024.