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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
mehr bestimmte Unfähigkeit: wie unendlich verschie-
den an Graden und Stufen kann die Bestimmtheit da-
zu nicht seyn?

Jede nähere Bestimmtheit kann schon eine Anlage
genannt werden, und diese eine Fähigkeit, insoferne
sie besonders in den wirksamen Kräften gesetzt wird.

Eine noch stärkere Anlage ist ein Hang, wenn
überhaupt die innern Bestimmungen, die Lage der Theile
und die Beziehung der Kräfte auf einander mehr da-
hin gehen, daß diese als eine andere Form entwickelt wird.
Dieser Hang wird Tendenz, wenn es besonders auf
die Richtung der thätigen Kräfte dabey ankommt. Ein
noch höherer Grad der Tendenz wird Naturtrieb, Jn-
stinkt.

Je höher diese Grade der Bestimmtheit zu einer
Form sind, desto weniger läßt sich solche durch den Ein-
fluß der äußern mitbildenden Ursachen abändern. Der
Keim muß eine desto größere Gewalt leiden, je stärker
seiner Anlage entgegengearbeitet wird. Wenn die Be-
obachtungen an den Bastarten und Mißgeburten, und
die wir von den auf die Kinder fortgepflanzten Beschaf-
fenheiten der Eltern haben, uns nicht lehrten, daß es
wiederum unter diesen, durch den Keim bestimmten
Formen, noch eine große Verschiedenheit gebe: so möchte
man sich vielleicht berechtiget halten, die nähern Be-
stimmungen dieser Unterschiede für leere metaphysische
Subtilitäten zu halten. So aber sind die Beobachtun-
gen für uns unverständlich, wenn man an diese Subti-
litäten nicht will.

Entweder läßt die Naturanlage sich abändern, ohne
daß der Keim gestöret und seine Entwickelungskraft
vernichtet werde, oder sie ist so unabänderlich, daß Hin-
dernisse, welche die Entwickelung in einer gewissen Form
unmöglich machen, zugleich auch die ganze Entwickelung
aufheben. Die Formen von der letztern Art gehören

vor

und Entwickelung des Menſchen.
mehr beſtimmte Unfaͤhigkeit: wie unendlich verſchie-
den an Graden und Stufen kann die Beſtimmtheit da-
zu nicht ſeyn?

Jede naͤhere Beſtimmtheit kann ſchon eine Anlage
genannt werden, und dieſe eine Faͤhigkeit, inſoferne
ſie beſonders in den wirkſamen Kraͤften geſetzt wird.

Eine noch ſtaͤrkere Anlage iſt ein Hang, wenn
uͤberhaupt die innern Beſtimmungen, die Lage der Theile
und die Beziehung der Kraͤfte auf einander mehr da-
hin gehen, daß dieſe als eine andere Form entwickelt wird.
Dieſer Hang wird Tendenz, wenn es beſonders auf
die Richtung der thaͤtigen Kraͤfte dabey ankommt. Ein
noch hoͤherer Grad der Tendenz wird Naturtrieb, Jn-
ſtinkt.

Je hoͤher dieſe Grade der Beſtimmtheit zu einer
Form ſind, deſto weniger laͤßt ſich ſolche durch den Ein-
fluß der aͤußern mitbildenden Urſachen abaͤndern. Der
Keim muß eine deſto groͤßere Gewalt leiden, je ſtaͤrker
ſeiner Anlage entgegengearbeitet wird. Wenn die Be-
obachtungen an den Baſtarten und Mißgeburten, und
die wir von den auf die Kinder fortgepflanzten Beſchaf-
fenheiten der Eltern haben, uns nicht lehrten, daß es
wiederum unter dieſen, durch den Keim beſtimmten
Formen, noch eine große Verſchiedenheit gebe: ſo moͤchte
man ſich vielleicht berechtiget halten, die naͤhern Be-
ſtimmungen dieſer Unterſchiede fuͤr leere metaphyſiſche
Subtilitaͤten zu halten. So aber ſind die Beobachtun-
gen fuͤr uns unverſtaͤndlich, wenn man an dieſe Subti-
litaͤten nicht will.

Entweder laͤßt die Naturanlage ſich abaͤndern, ohne
daß der Keim geſtoͤret und ſeine Entwickelungskraft
vernichtet werde, oder ſie iſt ſo unabaͤnderlich, daß Hin-
derniſſe, welche die Entwickelung in einer gewiſſen Form
unmoͤglich machen, zugleich auch die ganze Entwickelung
aufheben. Die Formen von der letztern Art gehoͤren

vor
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[523/0553] und Entwickelung des Menſchen. mehr beſtimmte Unfaͤhigkeit: wie unendlich verſchie- den an Graden und Stufen kann die Beſtimmtheit da- zu nicht ſeyn? Jede naͤhere Beſtimmtheit kann ſchon eine Anlage genannt werden, und dieſe eine Faͤhigkeit, inſoferne ſie beſonders in den wirkſamen Kraͤften geſetzt wird. Eine noch ſtaͤrkere Anlage iſt ein Hang, wenn uͤberhaupt die innern Beſtimmungen, die Lage der Theile und die Beziehung der Kraͤfte auf einander mehr da- hin gehen, daß dieſe als eine andere Form entwickelt wird. Dieſer Hang wird Tendenz, wenn es beſonders auf die Richtung der thaͤtigen Kraͤfte dabey ankommt. Ein noch hoͤherer Grad der Tendenz wird Naturtrieb, Jn- ſtinkt. Je hoͤher dieſe Grade der Beſtimmtheit zu einer Form ſind, deſto weniger laͤßt ſich ſolche durch den Ein- fluß der aͤußern mitbildenden Urſachen abaͤndern. Der Keim muß eine deſto groͤßere Gewalt leiden, je ſtaͤrker ſeiner Anlage entgegengearbeitet wird. Wenn die Be- obachtungen an den Baſtarten und Mißgeburten, und die wir von den auf die Kinder fortgepflanzten Beſchaf- fenheiten der Eltern haben, uns nicht lehrten, daß es wiederum unter dieſen, durch den Keim beſtimmten Formen, noch eine große Verſchiedenheit gebe: ſo moͤchte man ſich vielleicht berechtiget halten, die naͤhern Be- ſtimmungen dieſer Unterſchiede fuͤr leere metaphyſiſche Subtilitaͤten zu halten. So aber ſind die Beobachtun- gen fuͤr uns unverſtaͤndlich, wenn man an dieſe Subti- litaͤten nicht will. Entweder laͤßt die Naturanlage ſich abaͤndern, ohne daß der Keim geſtoͤret und ſeine Entwickelungskraft vernichtet werde, oder ſie iſt ſo unabaͤnderlich, daß Hin- derniſſe, welche die Entwickelung in einer gewiſſen Form unmoͤglich machen, zugleich auch die ganze Entwickelung aufheben. Die Formen von der letztern Art gehoͤren vor

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/553>, abgerufen am 22.11.2024.