der Theile, ansehen. Jch halte es nicht für wahrschein- lich, daß es völlig so sey. Es nähert sich diese Entste- hungsart zu sehr der bloßen Apposition, und es scheinet das große Werk der Erzeugung bey den Thieren mehr in einer Evolution zu bestehen, die in dem Keim in dem Weibchen anfängt. Eine andere Entstehungsart neuer Organisationen anzunehmen, als dadurch, daß sich ent- wickelnde Theile auf eine neue Art vereiniget werden, da- zu fehlet es gänzlich an Gründen. Daher die buffo- nische Meinung höchstens eine Meinung ist, die et- was mögliches voraussetzet. Man sieht aber doch, wie nahe die eine Art zu erklären der andern gebracht werden könne, wenn man sie genauer entwickelt. Die Excre- tionen unorganischer Materien aus organisirten Körpern bringen keine Organisation hervor. Allein wenn das, was auf beyden Seiten in dem einen und in dem andern Geschlecht abgesondert wird, nichts anders als entwi- ckelte und organisirte Theile seyn sollten, so könnte ihre Verbindung unter einander eine neue Organisation aus- machen, die von jedem einzeln nimmermehr hätte bewir- ket werden können.
Dasjenige, was Keim des Thiers ist, es befinde sich in dem Männchen oder in dem Weibchen, hat durch eine Vereinigung mehrerer nach einem gewissen Punkte gerichteter organischer Fibern, die sich, indem sie ent- wickelt wurden, so zu sagen, dahin zusammenbogen, entstehen können. Jst der Saame oder das Ey die Grundlage, welche die Anfangspunkte zu allen sich ent- wickelnden Fibern, auf eine gewisse Weise neben einander liegend, in sich faßt, so können diese Fibern, wenn sie sich bey der Ausbildung des Thiers oder der Pflanze vergrößern und verlängern, auseinander gehen und in unzähligen Richtungen divergiren, aber dennoch eine ursprünglich ihnen anklebende Tendenz beybehalten, nach Einem solchen Vereinigungspunkte wieder zusammenzu-
laufen.
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und Entwickelung des Menſchen.
der Theile, anſehen. Jch halte es nicht fuͤr wahrſchein- lich, daß es voͤllig ſo ſey. Es naͤhert ſich dieſe Entſte- hungsart zu ſehr der bloßen Appoſition, und es ſcheinet das große Werk der Erzeugung bey den Thieren mehr in einer Evolution zu beſtehen, die in dem Keim in dem Weibchen anfaͤngt. Eine andere Entſtehungsart neuer Organiſationen anzunehmen, als dadurch, daß ſich ent- wickelnde Theile auf eine neue Art vereiniget werden, da- zu fehlet es gaͤnzlich an Gruͤnden. Daher die buffo- niſche Meinung hoͤchſtens eine Meinung iſt, die et- was moͤgliches vorausſetzet. Man ſieht aber doch, wie nahe die eine Art zu erklaͤren der andern gebracht werden koͤnne, wenn man ſie genauer entwickelt. Die Excre- tionen unorganiſcher Materien aus organiſirten Koͤrpern bringen keine Organiſation hervor. Allein wenn das, was auf beyden Seiten in dem einen und in dem andern Geſchlecht abgeſondert wird, nichts anders als entwi- ckelte und organiſirte Theile ſeyn ſollten, ſo koͤnnte ihre Verbindung unter einander eine neue Organiſation aus- machen, die von jedem einzeln nimmermehr haͤtte bewir- ket werden koͤnnen.
Dasjenige, was Keim des Thiers iſt, es befinde ſich in dem Maͤnnchen oder in dem Weibchen, hat durch eine Vereinigung mehrerer nach einem gewiſſen Punkte gerichteter organiſcher Fibern, die ſich, indem ſie ent- wickelt wurden, ſo zu ſagen, dahin zuſammenbogen, entſtehen koͤnnen. Jſt der Saame oder das Ey die Grundlage, welche die Anfangspunkte zu allen ſich ent- wickelnden Fibern, auf eine gewiſſe Weiſe neben einander liegend, in ſich faßt, ſo koͤnnen dieſe Fibern, wenn ſie ſich bey der Ausbildung des Thiers oder der Pflanze vergroͤßern und verlaͤngern, auseinander gehen und in unzaͤhligen Richtungen divergiren, aber dennoch eine urſpruͤnglich ihnen anklebende Tendenz beybehalten, nach Einem ſolchen Vereinigungspunkte wieder zuſammenzu-
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und Entwickelung des Menſchen.
der Theile, anſehen. Jch halte es nicht fuͤr wahrſchein-
lich, daß es voͤllig ſo ſey. Es naͤhert ſich dieſe Entſte-
hungsart zu ſehr der bloßen Appoſition, und es ſcheinet
das große Werk der Erzeugung bey den Thieren mehr
in einer Evolution zu beſtehen, die in dem Keim in dem
Weibchen anfaͤngt. Eine andere Entſtehungsart neuer
Organiſationen anzunehmen, als dadurch, daß ſich ent-
wickelnde Theile auf eine neue Art vereiniget werden, da-
zu fehlet es gaͤnzlich an Gruͤnden. Daher die buffo-
niſche Meinung hoͤchſtens eine Meinung iſt, die et-
was moͤgliches vorausſetzet. Man ſieht aber doch, wie
nahe die eine Art zu erklaͤren der andern gebracht werden
koͤnne, wenn man ſie genauer entwickelt. Die Excre-
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bringen keine Organiſation hervor. Allein wenn das,
was auf beyden Seiten in dem einen und in dem andern
Geſchlecht abgeſondert wird, nichts anders als entwi-
ckelte und organiſirte Theile ſeyn ſollten, ſo koͤnnte ihre
Verbindung unter einander eine neue Organiſation aus-
machen, die von jedem einzeln nimmermehr haͤtte bewir-
ket werden koͤnnen.
Dasjenige, was Keim des Thiers iſt, es befinde
ſich in dem Maͤnnchen oder in dem Weibchen, hat durch
eine Vereinigung mehrerer nach einem gewiſſen Punkte
gerichteter organiſcher Fibern, die ſich, indem ſie ent-
wickelt wurden, ſo zu ſagen, dahin zuſammenbogen,
entſtehen koͤnnen. Jſt der Saame oder das Ey die
Grundlage, welche die Anfangspunkte zu allen ſich ent-
wickelnden Fibern, auf eine gewiſſe Weiſe neben einander
liegend, in ſich faßt, ſo koͤnnen dieſe Fibern, wenn ſie
ſich bey der Ausbildung des Thiers oder der Pflanze
vergroͤßern und verlaͤngern, auseinander gehen und
in unzaͤhligen Richtungen divergiren, aber dennoch eine
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/549>, abgerufen am 22.11.2024.
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