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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
einer weitern Bedeutung Recht geben. Wenn eine neue
Form, eine neue Fiber oder eine neue Raute bey derje-
nigen oder innerhalb derjenigen entstehen soll, die schon
vorhanden ist: so folget aus den obigen Betrachtungen
(III. 1. 4.) daß dieses allerdings geschehen könne und ge-
schehen müsse, wenn die hinzugekommene Materie auf
eine solche Art aneinander gebracht wird, wie es der Na-
tur der ganzen formenden Organisation gemäß ist. Denn
in diesem Fall muß ihre Verbindung unendlich mannich-
faltig und organisch seyn. Wenn ferner die hiebey vor-
kommende Wirkungsart näher betrachtet wird, so kom-
men wir auch auf mehrere nähere Bestimmungen, die
hiebey möglich sind. Die zusammengebrachte Materie
kann von den formenden Gefäßen so nebeneinander ge-
legt werden, es können z. E. die Säfte aus allen Poris
einer Fiber abgesondert und dann so vereiniget werden, daß
sie nun selbst eine neue Fiber ausmachen, wie die Ap-
position
es erkläret. Und wenn das nämliche an allen
Seiten einer Masche oder Raute geschieht, so wird eine
neue Masche oder Raute gebildet seyn. Wenn es so ist,
so geht hier nichts vor, als eine Vereinigung der auf
eine schickliche Art abgesonderten Säfte, ohne eine Ent-
wickelung
der Formen oder Fibern, welche da waren
und formten. Allein wenn man nun zugleich auf den
vorher gemachten Unterschied zwischen einer bloß un-
organischen Excretion,
und zwischen einer neuen
organischen Form,
Rücksicht nimmt: so wird man
es doch nicht so leicht begreiflich finden, wie die
letztere auf die erwehnte Weise erzeuget werde?
Dagegen wenn die vorhandenen Fibern sich entwi-
ckeln, die Materie inwendig in sich aufnehmen, sich
verähnlichen, dann sich ausdehnen und hie und da Spros-
sen hervortreiben, die, indem sie hervorgehen, mit ein-
ander zusammenkommen, sich fügen und zu einer Fiber,
Raute, Masche, sich verbinden: so ist es leichter zu be-

greifen

und Entwickelung des Menſchen.
einer weitern Bedeutung Recht geben. Wenn eine neue
Form, eine neue Fiber oder eine neue Raute bey derje-
nigen oder innerhalb derjenigen entſtehen ſoll, die ſchon
vorhanden iſt: ſo folget aus den obigen Betrachtungen
(III. 1. 4.) daß dieſes allerdings geſchehen koͤnne und ge-
ſchehen muͤſſe, wenn die hinzugekommene Materie auf
eine ſolche Art aneinander gebracht wird, wie es der Na-
tur der ganzen formenden Organiſation gemaͤß iſt. Denn
in dieſem Fall muß ihre Verbindung unendlich mannich-
faltig und organiſch ſeyn. Wenn ferner die hiebey vor-
kommende Wirkungsart naͤher betrachtet wird, ſo kom-
men wir auch auf mehrere naͤhere Beſtimmungen, die
hiebey moͤglich ſind. Die zuſammengebrachte Materie
kann von den formenden Gefaͤßen ſo nebeneinander ge-
legt werden, es koͤnnen z. E. die Saͤfte aus allen Poris
einer Fiber abgeſondert und dann ſo vereiniget werden, daß
ſie nun ſelbſt eine neue Fiber ausmachen, wie die Ap-
poſition
es erklaͤret. Und wenn das naͤmliche an allen
Seiten einer Maſche oder Raute geſchieht, ſo wird eine
neue Maſche oder Raute gebildet ſeyn. Wenn es ſo iſt,
ſo geht hier nichts vor, als eine Vereinigung der auf
eine ſchickliche Art abgeſonderten Saͤfte, ohne eine Ent-
wickelung
der Formen oder Fibern, welche da waren
und formten. Allein wenn man nun zugleich auf den
vorher gemachten Unterſchied zwiſchen einer bloß un-
organiſchen Excretion,
und zwiſchen einer neuen
organiſchen Form,
Ruͤckſicht nimmt: ſo wird man
es doch nicht ſo leicht begreiflich finden, wie die
letztere auf die erwehnte Weiſe erzeuget werde?
Dagegen wenn die vorhandenen Fibern ſich entwi-
ckeln, die Materie inwendig in ſich aufnehmen, ſich
veraͤhnlichen, dann ſich ausdehnen und hie und da Sproſ-
ſen hervortreiben, die, indem ſie hervorgehen, mit ein-
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[511/0541] und Entwickelung des Menſchen. einer weitern Bedeutung Recht geben. Wenn eine neue Form, eine neue Fiber oder eine neue Raute bey derje- nigen oder innerhalb derjenigen entſtehen ſoll, die ſchon vorhanden iſt: ſo folget aus den obigen Betrachtungen (III. 1. 4.) daß dieſes allerdings geſchehen koͤnne und ge- ſchehen muͤſſe, wenn die hinzugekommene Materie auf eine ſolche Art aneinander gebracht wird, wie es der Na- tur der ganzen formenden Organiſation gemaͤß iſt. Denn in dieſem Fall muß ihre Verbindung unendlich mannich- faltig und organiſch ſeyn. Wenn ferner die hiebey vor- kommende Wirkungsart naͤher betrachtet wird, ſo kom- men wir auch auf mehrere naͤhere Beſtimmungen, die hiebey moͤglich ſind. Die zuſammengebrachte Materie kann von den formenden Gefaͤßen ſo nebeneinander ge- legt werden, es koͤnnen z. E. die Saͤfte aus allen Poris einer Fiber abgeſondert und dann ſo vereiniget werden, daß ſie nun ſelbſt eine neue Fiber ausmachen, wie die Ap- poſition es erklaͤret. Und wenn das naͤmliche an allen Seiten einer Maſche oder Raute geſchieht, ſo wird eine neue Maſche oder Raute gebildet ſeyn. Wenn es ſo iſt, ſo geht hier nichts vor, als eine Vereinigung der auf eine ſchickliche Art abgeſonderten Saͤfte, ohne eine Ent- wickelung der Formen oder Fibern, welche da waren und formten. Allein wenn man nun zugleich auf den vorher gemachten Unterſchied zwiſchen einer bloß un- organiſchen Excretion, und zwiſchen einer neuen organiſchen Form, Ruͤckſicht nimmt: ſo wird man es doch nicht ſo leicht begreiflich finden, wie die letztere auf die erwehnte Weiſe erzeuget werde? Dagegen wenn die vorhandenen Fibern ſich entwi- ckeln, die Materie inwendig in ſich aufnehmen, ſich veraͤhnlichen, dann ſich ausdehnen und hie und da Sproſ- ſen hervortreiben, die, indem ſie hervorgehen, mit ein- ander zuſammenkommen, ſich fuͤgen und zu einer Fiber, Raute, Maſche, ſich verbinden: ſo iſt es leichter zu be- greifen

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/541>, abgerufen am 22.11.2024.