Dennoch hat diese Abänderung, nach seiner eigenen Erklärung, ihren vornehmsten Grund in einer vorher schon vorhandenen Beziehung der ursprünglichen Thei- le des Keims auf einander, obgleich die Nahrung hierinn Einfluß hat, indem sie einige Formen vorzüg- lich vor andern vergrößern kann. Die Elementarfi- bern der Knochen z. B. müssen schon ursprünglich mehr Festigkeit besitzen, oder doch zum wenigsten mehr So- lidescibilität, und unfähiger seyn gedehnt zu werden, als die Elemente der Häute der Gefäße. *)
Die Perioden der Bildung, des Auswachsens und der Fortdauer unterscheiden sich bey den Thieren und Pflanzen äußerlich am meisten an den verschiede- nen Graden, worinn die sich entwickelnden Körper sich ähnlich bleiben oder unähnlich werden. Jn dem em- bryonischen Zustande geht die größte Veränderung in der Figur und Gestalt vor; während des Auswach- sens von der Kindheit bis zur Mannheit bleibet sich das Ganze mehr ähnlich. Es kommen wenige ganz neue Theile mehr hervor, doch noch einige, und ihre relativen Größen verändern sich in etwas, immer we- niger, je näher die Entwickelung an ihre höchste Stu- fe kommt. Jst endlich der Körper völlig ausgewach- sen, so bleibet das Ganze wie es ist, und auch die Vergrößerung hört auf. Die Fortdauer in diesem Beharrungsstande ist eine ununterbrochene gleichför- mige Verminderung und Vermehrung der Materie, die so weggehet und sich so wieder ansetzet, daß die Verhältnisse an Größe und Figur in allen Theilen die- selbigen bleiben. Die Entwickelung geht indessen ih- ren Gang fort, und wir wissen es zu gut, daß es kei- nen völligen Stillstand in irgend einer Form gebe, und daß es nur die schwächere, in kurzer Zeit nicht zu be-
merken-
*)Art. 37.
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und Entwickelung des Menſchen.
Dennoch hat dieſe Abaͤnderung, nach ſeiner eigenen Erklaͤrung, ihren vornehmſten Grund in einer vorher ſchon vorhandenen Beziehung der urſpruͤnglichen Thei- le des Keims auf einander, obgleich die Nahrung hierinn Einfluß hat, indem ſie einige Formen vorzuͤg- lich vor andern vergroͤßern kann. Die Elementarfi- bern der Knochen z. B. muͤſſen ſchon urſpruͤnglich mehr Feſtigkeit beſitzen, oder doch zum wenigſten mehr So- lideſcibilitaͤt, und unfaͤhiger ſeyn gedehnt zu werden, als die Elemente der Haͤute der Gefaͤße. *)
Die Perioden der Bildung, des Auswachſens und der Fortdauer unterſcheiden ſich bey den Thieren und Pflanzen aͤußerlich am meiſten an den verſchiede- nen Graden, worinn die ſich entwickelnden Koͤrper ſich aͤhnlich bleiben oder unaͤhnlich werden. Jn dem em- bryoniſchen Zuſtande geht die groͤßte Veraͤnderung in der Figur und Geſtalt vor; waͤhrend des Auswach- ſens von der Kindheit bis zur Mannheit bleibet ſich das Ganze mehr aͤhnlich. Es kommen wenige ganz neue Theile mehr hervor, doch noch einige, und ihre relativen Groͤßen veraͤndern ſich in etwas, immer we- niger, je naͤher die Entwickelung an ihre hoͤchſte Stu- fe kommt. Jſt endlich der Koͤrper voͤllig ausgewach- ſen, ſo bleibet das Ganze wie es iſt, und auch die Vergroͤßerung hoͤrt auf. Die Fortdauer in dieſem Beharrungsſtande iſt eine ununterbrochene gleichfoͤr- mige Verminderung und Vermehrung der Materie, die ſo weggehet und ſich ſo wieder anſetzet, daß die Verhaͤltniſſe an Groͤße und Figur in allen Theilen die- ſelbigen bleiben. Die Entwickelung geht indeſſen ih- ren Gang fort, und wir wiſſen es zu gut, daß es kei- nen voͤlligen Stillſtand in irgend einer Form gebe, und daß es nur die ſchwaͤchere, in kurzer Zeit nicht zu be-
merken-
*)Art. 37.
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und Entwickelung des Menſchen.
Dennoch hat dieſe Abaͤnderung, nach ſeiner eigenen
Erklaͤrung, ihren vornehmſten Grund in einer vorher
ſchon vorhandenen Beziehung der urſpruͤnglichen Thei-
le des Keims auf einander, obgleich die Nahrung
hierinn Einfluß hat, indem ſie einige Formen vorzuͤg-
lich vor andern vergroͤßern kann. Die Elementarfi-
bern der Knochen z. B. muͤſſen ſchon urſpruͤnglich mehr
Feſtigkeit beſitzen, oder doch zum wenigſten mehr So-
lideſcibilitaͤt, und unfaͤhiger ſeyn gedehnt zu werden,
als die Elemente der Haͤute der Gefaͤße. *)
Die Perioden der Bildung, des Auswachſens
und der Fortdauer unterſcheiden ſich bey den Thieren
und Pflanzen aͤußerlich am meiſten an den verſchiede-
nen Graden, worinn die ſich entwickelnden Koͤrper ſich
aͤhnlich bleiben oder unaͤhnlich werden. Jn dem em-
bryoniſchen Zuſtande geht die groͤßte Veraͤnderung in
der Figur und Geſtalt vor; waͤhrend des Auswach-
ſens von der Kindheit bis zur Mannheit bleibet ſich
das Ganze mehr aͤhnlich. Es kommen wenige ganz
neue Theile mehr hervor, doch noch einige, und ihre
relativen Groͤßen veraͤndern ſich in etwas, immer we-
niger, je naͤher die Entwickelung an ihre hoͤchſte Stu-
fe kommt. Jſt endlich der Koͤrper voͤllig ausgewach-
ſen, ſo bleibet das Ganze wie es iſt, und auch die
Vergroͤßerung hoͤrt auf. Die Fortdauer in dieſem
Beharrungsſtande iſt eine ununterbrochene gleichfoͤr-
mige Verminderung und Vermehrung der Materie,
die ſo weggehet und ſich ſo wieder anſetzet, daß die
Verhaͤltniſſe an Groͤße und Figur in allen Theilen die-
ſelbigen bleiben. Die Entwickelung geht indeſſen ih-
ren Gang fort, und wir wiſſen es zu gut, daß es kei-
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*) Art. 37.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/529>, abgerufen am 22.11.2024.
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