lung wird der Verstand bloß auf die Receptivität und auf das Gefühl eingeschränket, worinn, als in einem passiven Vermögen, kein Vermögen sich anders zu be- stimmen statt finden kann. Es läßt sich ebenfalls vieles zur Behauptung der zwoten Meinung sagen. Alles kommt darauf an, wie man sich erkläret, und in der Anwendung auf einzelne Thätigkeiten verstanden seyn wolle, wie aus dem Folgenden erhellen wird.
Ueberhaupt die Sache betrachtet, so kann man sich allenthalben eine Selbstmacht über sich in der Seele vorstellen, wo sie mit ihrer Selbstthätigkeit arbeitet; sie beschäftige sich als Erkenntnißkraft, sie mache Vor- stellungen, sie erwecke sie wieder, sie verbinde sie, sie trenne sie; oder sie bearbeite solche als Denkkraft, sie urtheile, sie überlege, sie schließe; oder endlich sie wirke mit ihrer Aktivität, sie bewege den Körper und ihre Sinnglieder, oder sie modificire sich selbst. Wo sie in selbstthätigen Aeußerungen von Schritt zu Schritt fortgehet, da läßt sich, bey allen diesen Uebergängen von der Thätigkeit in dem vorhergehenden Augenblick zu der in dem nächst folgenden, es als möglich vorstellen, daß sie sich in ihrer Gewalt habe, und in jedwedem Moment sich zum Stillstande bringen, oder anderswohin wenden könne. So lehren es auch die Beobachtungen. Jn allen diesen verschiedenartigen Verrichtungen zeiget sich die Seele hie oder da als eine ihrer selbst mächtige Kraft. Die Sphäre der Selbstmacht über sich gehet also so weit heraus, als die Sphäre der thätigen Kraft der Seele.
Allein weit gefehlt ist es dennoch, daß die Seele in allen und jeden Momenten, die in der ganzen Dauer einer jeden unterscheidbaren einzelnen Handlung, und auch in der einfachsten, angenommen, in den zu- sammengesetzten aber beobachtet werden können, wirk- lich frey handeln sollte. Die freyesten Handlungen sind
es
B 3
und Freyheit.
lung wird der Verſtand bloß auf die Receptivitaͤt und auf das Gefuͤhl eingeſchraͤnket, worinn, als in einem paſſiven Vermoͤgen, kein Vermoͤgen ſich anders zu be- ſtimmen ſtatt finden kann. Es laͤßt ſich ebenfalls vieles zur Behauptung der zwoten Meinung ſagen. Alles kommt darauf an, wie man ſich erklaͤret, und in der Anwendung auf einzelne Thaͤtigkeiten verſtanden ſeyn wolle, wie aus dem Folgenden erhellen wird.
Ueberhaupt die Sache betrachtet, ſo kann man ſich allenthalben eine Selbſtmacht uͤber ſich in der Seele vorſtellen, wo ſie mit ihrer Selbſtthaͤtigkeit arbeitet; ſie beſchaͤftige ſich als Erkenntnißkraft, ſie mache Vor- ſtellungen, ſie erwecke ſie wieder, ſie verbinde ſie, ſie trenne ſie; oder ſie bearbeite ſolche als Denkkraft, ſie urtheile, ſie uͤberlege, ſie ſchließe; oder endlich ſie wirke mit ihrer Aktivitaͤt, ſie bewege den Koͤrper und ihre Sinnglieder, oder ſie modificire ſich ſelbſt. Wo ſie in ſelbſtthaͤtigen Aeußerungen von Schritt zu Schritt fortgehet, da laͤßt ſich, bey allen dieſen Uebergaͤngen von der Thaͤtigkeit in dem vorhergehenden Augenblick zu der in dem naͤchſt folgenden, es als moͤglich vorſtellen, daß ſie ſich in ihrer Gewalt habe, und in jedwedem Moment ſich zum Stillſtande bringen, oder anderswohin wenden koͤnne. So lehren es auch die Beobachtungen. Jn allen dieſen verſchiedenartigen Verrichtungen zeiget ſich die Seele hie oder da als eine ihrer ſelbſt maͤchtige Kraft. Die Sphaͤre der Selbſtmacht uͤber ſich gehet alſo ſo weit heraus, als die Sphaͤre der thaͤtigen Kraft der Seele.
Allein weit gefehlt iſt es dennoch, daß die Seele in allen und jeden Momenten, die in der ganzen Dauer einer jeden unterſcheidbaren einzelnen Handlung, und auch in der einfachſten, angenommen, in den zu- ſammengeſetzten aber beobachtet werden koͤnnen, wirk- lich frey handeln ſollte. Die freyeſten Handlungen ſind
es
B 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0051"n="21"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Freyheit.</hi></fw><lb/>
lung wird der Verſtand bloß auf die Receptivitaͤt und<lb/>
auf das Gefuͤhl eingeſchraͤnket, worinn, als in einem<lb/>
paſſiven Vermoͤgen, kein Vermoͤgen ſich anders zu be-<lb/>ſtimmen ſtatt finden kann. Es laͤßt ſich ebenfalls<lb/>
vieles zur Behauptung der zwoten Meinung ſagen.<lb/>
Alles kommt darauf an, wie man ſich erklaͤret, und in<lb/>
der Anwendung auf einzelne Thaͤtigkeiten verſtanden ſeyn<lb/>
wolle, wie aus dem Folgenden erhellen wird.</p><lb/><p>Ueberhaupt die Sache betrachtet, ſo kann man ſich<lb/>
allenthalben eine <hirendition="#fr">Selbſtmacht uͤber ſich</hi> in der Seele<lb/>
vorſtellen, wo ſie mit ihrer <hirendition="#fr">Selbſtthaͤtigkeit</hi> arbeitet;<lb/>ſie beſchaͤftige ſich als Erkenntnißkraft, ſie mache Vor-<lb/>ſtellungen, ſie erwecke ſie wieder, ſie verbinde ſie, ſie<lb/>
trenne ſie; oder ſie bearbeite ſolche als Denkkraft,<lb/>ſie urtheile, ſie uͤberlege, ſie ſchließe; oder endlich ſie<lb/>
wirke mit ihrer Aktivitaͤt, ſie bewege den Koͤrper und<lb/>
ihre Sinnglieder, oder ſie modificire ſich ſelbſt. Wo<lb/>ſie in ſelbſtthaͤtigen Aeußerungen von Schritt zu Schritt<lb/>
fortgehet, da laͤßt ſich, bey allen dieſen Uebergaͤngen von<lb/>
der Thaͤtigkeit in dem vorhergehenden Augenblick zu der<lb/>
in dem naͤchſt folgenden, es als moͤglich vorſtellen, daß<lb/>ſie ſich in ihrer Gewalt habe, und in jedwedem Moment<lb/>ſich zum Stillſtande bringen, oder anderswohin wenden<lb/>
koͤnne. So lehren es auch die Beobachtungen. Jn<lb/>
allen dieſen verſchiedenartigen Verrichtungen zeiget ſich<lb/>
die Seele hie oder da als eine ihrer ſelbſt maͤchtige Kraft.<lb/>
Die Sphaͤre der <hirendition="#fr">Selbſtmacht uͤber ſich</hi> gehet alſo ſo<lb/>
weit heraus, als die Sphaͤre der thaͤtigen Kraft der<lb/>
Seele.</p><lb/><p>Allein weit gefehlt iſt es dennoch, daß die Seele in<lb/>
allen und jeden Momenten, die in der ganzen Dauer<lb/>
einer jeden unterſcheidbaren einzelnen Handlung, und<lb/>
auch in der einfachſten, angenommen, in den zu-<lb/>ſammengeſetzten aber beobachtet werden koͤnnen, wirk-<lb/>
lich frey handeln ſollte. Die freyeſten Handlungen ſind<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">es</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[21/0051]
und Freyheit.
lung wird der Verſtand bloß auf die Receptivitaͤt und
auf das Gefuͤhl eingeſchraͤnket, worinn, als in einem
paſſiven Vermoͤgen, kein Vermoͤgen ſich anders zu be-
ſtimmen ſtatt finden kann. Es laͤßt ſich ebenfalls
vieles zur Behauptung der zwoten Meinung ſagen.
Alles kommt darauf an, wie man ſich erklaͤret, und in
der Anwendung auf einzelne Thaͤtigkeiten verſtanden ſeyn
wolle, wie aus dem Folgenden erhellen wird.
Ueberhaupt die Sache betrachtet, ſo kann man ſich
allenthalben eine Selbſtmacht uͤber ſich in der Seele
vorſtellen, wo ſie mit ihrer Selbſtthaͤtigkeit arbeitet;
ſie beſchaͤftige ſich als Erkenntnißkraft, ſie mache Vor-
ſtellungen, ſie erwecke ſie wieder, ſie verbinde ſie, ſie
trenne ſie; oder ſie bearbeite ſolche als Denkkraft,
ſie urtheile, ſie uͤberlege, ſie ſchließe; oder endlich ſie
wirke mit ihrer Aktivitaͤt, ſie bewege den Koͤrper und
ihre Sinnglieder, oder ſie modificire ſich ſelbſt. Wo
ſie in ſelbſtthaͤtigen Aeußerungen von Schritt zu Schritt
fortgehet, da laͤßt ſich, bey allen dieſen Uebergaͤngen von
der Thaͤtigkeit in dem vorhergehenden Augenblick zu der
in dem naͤchſt folgenden, es als moͤglich vorſtellen, daß
ſie ſich in ihrer Gewalt habe, und in jedwedem Moment
ſich zum Stillſtande bringen, oder anderswohin wenden
koͤnne. So lehren es auch die Beobachtungen. Jn
allen dieſen verſchiedenartigen Verrichtungen zeiget ſich
die Seele hie oder da als eine ihrer ſelbſt maͤchtige Kraft.
Die Sphaͤre der Selbſtmacht uͤber ſich gehet alſo ſo
weit heraus, als die Sphaͤre der thaͤtigen Kraft der
Seele.
Allein weit gefehlt iſt es dennoch, daß die Seele in
allen und jeden Momenten, die in der ganzen Dauer
einer jeden unterſcheidbaren einzelnen Handlung, und
auch in der einfachſten, angenommen, in den zu-
ſammengeſetzten aber beobachtet werden koͤnnen, wirk-
lich frey handeln ſollte. Die freyeſten Handlungen ſind
es
B 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/51>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.