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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
pern ist die Mannichfaltigkeit der Theile, die verbunden
werden, und der Arten, wie sie es werden, unendlich groß
in Vergleichung mit der, die in den Kunstmaschinen
und in den mineralischen Körpern vorkommt; unend-
lich groß, wenigstens in Rücksicht auf unsern Verstand,
der das Verhältniß der Mannichfaltigkeit und Regel-
mäßigkeit, welches in den größten Kunstwerken des
menschlichen Witzes, ingleichen in den Salzen und mi-
neralischen Konkretionen vorhanden ist, zu derjenigen,
die in einem einfachen Theil einer Pflanze lieget, nicht
ausmessen kann. Die Organisation ist ein unend-
lich zusammengesetzter Mechanismus.
Allein
dieser Unterschied, so unendlich groß er ist, kann doch
als ein Unterschied an Größe und Vielheit betrachtet
werden.

Ferner kann der Allgemeinbegriff der Bildung da-
durch näher bestimmt werden, daß eine Ungleichheit
zwischen den bildenden Ursachen in Rücksicht ihres Bei-
trages zu der Form vorhanden ist. Vielleicht haben
alle Salztheilchen in ihrer Lage einen gleichen Antheil
an der Figur der Krystalle, die aus ihrer Verbindung
entstehen; vielleicht bestimmt Eins diese Figur mehr, als
das andere, entweder seiner innern Beschaffenheiten,
oder nur seiner Lage wegen. Laß Eins von diesen Thei-
len vor den übrigen einen Vorzug als Mitursache ha-
ben; laß diesen Vorzug in dem Jnnern, in den Kräf-
ten, in der Masse, oder in der Verbindung des ersten
Grundstoffs in ihm, oder sonsten wo, gegründet seyn:
so ist es schon ein vorzügliches Princip der Bil-
dung, eine Form
oder ein Keim, wenn dieser
Theil zugleich ein Bestandtheil desjenigen wird, was in
der Bildung hervorkommt. Je mehr der Vorzug als
Bildungsgrund in einer der zur Bildung beywirkenden
Ursachen zunimmt, und je geringer der Antheil ist, den
die übrigen daran haben, desto mehr passet auf jene der

Begriff

und Entwickelung des Menſchen.
pern iſt die Mannichfaltigkeit der Theile, die verbunden
werden, und der Arten, wie ſie es werden, unendlich groß
in Vergleichung mit der, die in den Kunſtmaſchinen
und in den mineraliſchen Koͤrpern vorkommt; unend-
lich groß, wenigſtens in Ruͤckſicht auf unſern Verſtand,
der das Verhaͤltniß der Mannichfaltigkeit und Regel-
maͤßigkeit, welches in den groͤßten Kunſtwerken des
menſchlichen Witzes, ingleichen in den Salzen und mi-
neraliſchen Konkretionen vorhanden iſt, zu derjenigen,
die in einem einfachen Theil einer Pflanze lieget, nicht
ausmeſſen kann. Die Organiſation iſt ein unend-
lich zuſammengeſetzter Mechanismus.
Allein
dieſer Unterſchied, ſo unendlich groß er iſt, kann doch
als ein Unterſchied an Groͤße und Vielheit betrachtet
werden.

Ferner kann der Allgemeinbegriff der Bildung da-
durch naͤher beſtimmt werden, daß eine Ungleichheit
zwiſchen den bildenden Urſachen in Ruͤckſicht ihres Bei-
trages zu der Form vorhanden iſt. Vielleicht haben
alle Salztheilchen in ihrer Lage einen gleichen Antheil
an der Figur der Kryſtalle, die aus ihrer Verbindung
entſtehen; vielleicht beſtimmt Eins dieſe Figur mehr, als
das andere, entweder ſeiner innern Beſchaffenheiten,
oder nur ſeiner Lage wegen. Laß Eins von dieſen Thei-
len vor den uͤbrigen einen Vorzug als Miturſache ha-
ben; laß dieſen Vorzug in dem Jnnern, in den Kraͤf-
ten, in der Maſſe, oder in der Verbindung des erſten
Grundſtoffs in ihm, oder ſonſten wo, gegruͤndet ſeyn:
ſo iſt es ſchon ein vorzuͤgliches Princip der Bil-
dung, eine Form
oder ein Keim, wenn dieſer
Theil zugleich ein Beſtandtheil desjenigen wird, was in
der Bildung hervorkommt. Je mehr der Vorzug als
Bildungsgrund in einer der zur Bildung beywirkenden
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die uͤbrigen daran haben, deſto mehr paſſet auf jene der

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[475/0505] und Entwickelung des Menſchen. pern iſt die Mannichfaltigkeit der Theile, die verbunden werden, und der Arten, wie ſie es werden, unendlich groß in Vergleichung mit der, die in den Kunſtmaſchinen und in den mineraliſchen Koͤrpern vorkommt; unend- lich groß, wenigſtens in Ruͤckſicht auf unſern Verſtand, der das Verhaͤltniß der Mannichfaltigkeit und Regel- maͤßigkeit, welches in den groͤßten Kunſtwerken des menſchlichen Witzes, ingleichen in den Salzen und mi- neraliſchen Konkretionen vorhanden iſt, zu derjenigen, die in einem einfachen Theil einer Pflanze lieget, nicht ausmeſſen kann. Die Organiſation iſt ein unend- lich zuſammengeſetzter Mechanismus. Allein dieſer Unterſchied, ſo unendlich groß er iſt, kann doch als ein Unterſchied an Groͤße und Vielheit betrachtet werden. Ferner kann der Allgemeinbegriff der Bildung da- durch naͤher beſtimmt werden, daß eine Ungleichheit zwiſchen den bildenden Urſachen in Ruͤckſicht ihres Bei- trages zu der Form vorhanden iſt. Vielleicht haben alle Salztheilchen in ihrer Lage einen gleichen Antheil an der Figur der Kryſtalle, die aus ihrer Verbindung entſtehen; vielleicht beſtimmt Eins dieſe Figur mehr, als das andere, entweder ſeiner innern Beſchaffenheiten, oder nur ſeiner Lage wegen. Laß Eins von dieſen Thei- len vor den uͤbrigen einen Vorzug als Miturſache ha- ben; laß dieſen Vorzug in dem Jnnern, in den Kraͤf- ten, in der Maſſe, oder in der Verbindung des erſten Grundſtoffs in ihm, oder ſonſten wo, gegruͤndet ſeyn: ſo iſt es ſchon ein vorzuͤgliches Princip der Bil- dung, eine Form oder ein Keim, wenn dieſer Theil zugleich ein Beſtandtheil desjenigen wird, was in der Bildung hervorkommt. Je mehr der Vorzug als Bildungsgrund in einer der zur Bildung beywirkenden Urſachen zunimmt, und je geringer der Antheil iſt, den die uͤbrigen daran haben, deſto mehr paſſet auf jene der Begriff

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/505>, abgerufen am 22.11.2024.