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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
stande ihren Grund hatten. Die Unwissenheit zu ge-
stehen, wo man nichts weiß, und nicht weiter in die
Aufforschung der ersten Ursachen sich einzulassen, als
Erfahrung und Vernunft noch leuchten oder schimmern,
und gegen Vermuthungen mistrauisch zu seyn, das sind
sonsten Pflichten eines bedachtsamen Naturforschers.

Alle diese Bildungen sind "Zusammenfügungen ge-
"wisser Theile zu Einem Ganzen, welche nach gewissen
"Regeln und in einer gewissen Ordnung erfolgen."
Es ist ein Princip dieser Bildung vorhanden, welches
in den zusammengehenden Theilen der Materie und in
ihrer Lage gegen einander, die sie vorher hatten, ehe sie
vereiniget wurden, enthalten war, oder auch weiter zu-
rück lag in den Ursachen und Kräften, wovon ihre Be-
wegungen zu Einer Stelle hin abhangen. Da die
Salztheilchen in Krystallen anschießen, wenn das Was-
ser, worinn sie aufgelöst sind, abdampfet: so muß dieß
nothwendig in ihren innern Anziehungskräften und in
der Lage, in der sie aufgelöset in dem Menstruum bey
einander liegen, seinen Grund haben. Jhre Kräfte,
womit sie auf einander wirken, stehen also in solchen
Stellungen und Beziehungen gegen einander, daß da-
rinn der Grund von der Richtung lieget, die sie bey ih-
rer Vereinigung nehmen, das ist, der Grund von der
Art und von der Ordnung, worinn sie zusammenkom-
men. Hier ist also der gesammte Grund der Bildung
zertheilet durch alle Partikeln, die in ihrer Lage bey ein-
ander als ein geordnetes Ganzes zu betrachten sind.
Denn aus der Verwirrung als aus einem Chaos die
Regelmäßigkeit erklären wollen hieße so viel, als Et-
was aus Nichts begreiflich machen.

Wird nun dieser Allgemeinbegriff von dem Bil-
dungsgrunde
näher bestimmt, so kann solches erst-
lich in Hinsicht der Größe der Ordnung und der
Regelmäßigkeit
geschehen. Jn den organischen Kör-

pern

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſtande ihren Grund hatten. Die Unwiſſenheit zu ge-
ſtehen, wo man nichts weiß, und nicht weiter in die
Aufforſchung der erſten Urſachen ſich einzulaſſen, als
Erfahrung und Vernunft noch leuchten oder ſchimmern,
und gegen Vermuthungen mistrauiſch zu ſeyn, das ſind
ſonſten Pflichten eines bedachtſamen Naturforſchers.

Alle dieſe Bildungen ſind „Zuſammenfuͤgungen ge-
„wiſſer Theile zu Einem Ganzen, welche nach gewiſſen
„Regeln und in einer gewiſſen Ordnung erfolgen.‟
Es iſt ein Princip dieſer Bildung vorhanden, welches
in den zuſammengehenden Theilen der Materie und in
ihrer Lage gegen einander, die ſie vorher hatten, ehe ſie
vereiniget wurden, enthalten war, oder auch weiter zu-
ruͤck lag in den Urſachen und Kraͤften, wovon ihre Be-
wegungen zu Einer Stelle hin abhangen. Da die
Salztheilchen in Kryſtallen anſchießen, wenn das Waſ-
ſer, worinn ſie aufgeloͤſt ſind, abdampfet: ſo muß dieß
nothwendig in ihren innern Anziehungskraͤften und in
der Lage, in der ſie aufgeloͤſet in dem Menſtruum bey
einander liegen, ſeinen Grund haben. Jhre Kraͤfte,
womit ſie auf einander wirken, ſtehen alſo in ſolchen
Stellungen und Beziehungen gegen einander, daß da-
rinn der Grund von der Richtung lieget, die ſie bey ih-
rer Vereinigung nehmen, das iſt, der Grund von der
Art und von der Ordnung, worinn ſie zuſammenkom-
men. Hier iſt alſo der geſammte Grund der Bildung
zertheilet durch alle Partikeln, die in ihrer Lage bey ein-
ander als ein geordnetes Ganzes zu betrachten ſind.
Denn aus der Verwirrung als aus einem Chaos die
Regelmaͤßigkeit erklaͤren wollen hieße ſo viel, als Et-
was aus Nichts begreiflich machen.

Wird nun dieſer Allgemeinbegriff von dem Bil-
dungsgrunde
naͤher beſtimmt, ſo kann ſolches erſt-
lich in Hinſicht der Groͤße der Ordnung und der
Regelmaͤßigkeit
geſchehen. Jn den organiſchen Koͤr-

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[474/0504] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt ſtande ihren Grund hatten. Die Unwiſſenheit zu ge- ſtehen, wo man nichts weiß, und nicht weiter in die Aufforſchung der erſten Urſachen ſich einzulaſſen, als Erfahrung und Vernunft noch leuchten oder ſchimmern, und gegen Vermuthungen mistrauiſch zu ſeyn, das ſind ſonſten Pflichten eines bedachtſamen Naturforſchers. Alle dieſe Bildungen ſind „Zuſammenfuͤgungen ge- „wiſſer Theile zu Einem Ganzen, welche nach gewiſſen „Regeln und in einer gewiſſen Ordnung erfolgen.‟ Es iſt ein Princip dieſer Bildung vorhanden, welches in den zuſammengehenden Theilen der Materie und in ihrer Lage gegen einander, die ſie vorher hatten, ehe ſie vereiniget wurden, enthalten war, oder auch weiter zu- ruͤck lag in den Urſachen und Kraͤften, wovon ihre Be- wegungen zu Einer Stelle hin abhangen. Da die Salztheilchen in Kryſtallen anſchießen, wenn das Waſ- ſer, worinn ſie aufgeloͤſt ſind, abdampfet: ſo muß dieß nothwendig in ihren innern Anziehungskraͤften und in der Lage, in der ſie aufgeloͤſet in dem Menſtruum bey einander liegen, ſeinen Grund haben. Jhre Kraͤfte, womit ſie auf einander wirken, ſtehen alſo in ſolchen Stellungen und Beziehungen gegen einander, daß da- rinn der Grund von der Richtung lieget, die ſie bey ih- rer Vereinigung nehmen, das iſt, der Grund von der Art und von der Ordnung, worinn ſie zuſammenkom- men. Hier iſt alſo der geſammte Grund der Bildung zertheilet durch alle Partikeln, die in ihrer Lage bey ein- ander als ein geordnetes Ganzes zu betrachten ſind. Denn aus der Verwirrung als aus einem Chaos die Regelmaͤßigkeit erklaͤren wollen hieße ſo viel, als Et- was aus Nichts begreiflich machen. Wird nun dieſer Allgemeinbegriff von dem Bil- dungsgrunde naͤher beſtimmt, ſo kann ſolches erſt- lich in Hinſicht der Groͤße der Ordnung und der Regelmaͤßigkeit geſchehen. Jn den organiſchen Koͤr- pern

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/504>, abgerufen am 21.11.2024.