"daß darinn gewisse solchergestalt präorganisirte Par- "tikeln vorhanden sind, aus deren Entwickelung ein "Polyp entstehen kann."
Aber wie? wenn die ganze Form des entwickelten Körpers schon in dem Keim enthalten ist; wenn die Entwickelung nichts anders als eine Erweiterung, eine Ausdehnung der Fibern ist, die schon da sind, nur ei- ne Vergrößerung derselben durch die Nahrung, die die Masse vermehret, ohne neue Formen hineinzubringen: warum sollte man denn nach dieser Vorstellungsart nicht berechtigt seyn zu sagen, der Keim enthielte das ganze Thier und die ganze Pflanze mit ihren Theilen im Kleinen in sich?
Die Antwort gab Herr Bonnet dadurch: *) Jn- dem die Theile vergrößert werden, bekommen sie Ver- hältnisse ihrer Größe nach, die sie vorher nicht hatten. Die Ausfüllung von der Nahrung geht nicht in allen Maschen oder Formen in gleichem Verhältniß vor sich; einige werden mehr, andre weniger am Umfang und an Solidität vergrößert. Der Grund hiezu liegt zwar in ihnen selbst, aber doch auch in dem Ueberfluß oder in dem Mangel der Säfte, die sich für solche Maschen schicken; einige davon können sich so zusammenziehen, daß sie sich zu verlieren scheinen. Nun entsteht zwar das ausgebildete Wesen durch die bloße Vergröße- rung der Formen in dem Keim, und jeder Theil in jenem hat seinen Anfangspunkt und seine erste An- lage in dem Keim; allein da doch die Verhältnisse der Theile ihren Größen nach sich ändern, so konnte man darum das Thier im Kleinen in dem Keim nicht su- chen, weil dieser Ausdruck nicht nur die Anfänge der Theile, sondern auch dasselbige Verhältniß der Größe und Gestalt zwischen den Anfängen und zwischen den Theilen selbst zu enthalten scheinet.
Herr
*) Ueber die organisirten Körper, I Th. Art. 36, 37.
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und Entwickelung des Menſchen.
„daß darinn gewiſſe ſolchergeſtalt praͤorganiſirte Par- „tikeln vorhanden ſind, aus deren Entwickelung ein „Polyp entſtehen kann.‟
Aber wie? wenn die ganze Form des entwickelten Koͤrpers ſchon in dem Keim enthalten iſt; wenn die Entwickelung nichts anders als eine Erweiterung, eine Ausdehnung der Fibern iſt, die ſchon da ſind, nur ei- ne Vergroͤßerung derſelben durch die Nahrung, die die Maſſe vermehret, ohne neue Formen hineinzubringen: warum ſollte man denn nach dieſer Vorſtellungsart nicht berechtigt ſeyn zu ſagen, der Keim enthielte das ganze Thier und die ganze Pflanze mit ihren Theilen im Kleinen in ſich?
Die Antwort gab Herr Bonnet dadurch: *) Jn- dem die Theile vergroͤßert werden, bekommen ſie Ver- haͤltniſſe ihrer Groͤße nach, die ſie vorher nicht hatten. Die Ausfuͤllung von der Nahrung geht nicht in allen Maſchen oder Formen in gleichem Verhaͤltniß vor ſich; einige werden mehr, andre weniger am Umfang und an Soliditaͤt vergroͤßert. Der Grund hiezu liegt zwar in ihnen ſelbſt, aber doch auch in dem Ueberfluß oder in dem Mangel der Saͤfte, die ſich fuͤr ſolche Maſchen ſchicken; einige davon koͤnnen ſich ſo zuſammenziehen, daß ſie ſich zu verlieren ſcheinen. Nun entſteht zwar das ausgebildete Weſen durch die bloße Vergroͤße- rung der Formen in dem Keim, und jeder Theil in jenem hat ſeinen Anfangspunkt und ſeine erſte An- lage in dem Keim; allein da doch die Verhaͤltniſſe der Theile ihren Groͤßen nach ſich aͤndern, ſo konnte man darum das Thier im Kleinen in dem Keim nicht ſu- chen, weil dieſer Ausdruck nicht nur die Anfaͤnge der Theile, ſondern auch daſſelbige Verhaͤltniß der Groͤße und Geſtalt zwiſchen den Anfaͤngen und zwiſchen den Theilen ſelbſt zu enthalten ſcheinet.
Herr
*) Ueber die organiſirten Koͤrper, I Th. Art. 36, 37.
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und Entwickelung des Menſchen.
„daß darinn gewiſſe ſolchergeſtalt praͤorganiſirte Par-
„tikeln vorhanden ſind, aus deren Entwickelung ein
„Polyp entſtehen kann.‟
Aber wie? wenn die ganze Form des entwickelten
Koͤrpers ſchon in dem Keim enthalten iſt; wenn die
Entwickelung nichts anders als eine Erweiterung, eine
Ausdehnung der Fibern iſt, die ſchon da ſind, nur ei-
ne Vergroͤßerung derſelben durch die Nahrung, die die
Maſſe vermehret, ohne neue Formen hineinzubringen:
warum ſollte man denn nach dieſer Vorſtellungsart
nicht berechtigt ſeyn zu ſagen, der Keim enthielte das
ganze Thier und die ganze Pflanze mit ihren Theilen
im Kleinen in ſich?
Die Antwort gab Herr Bonnet dadurch: *) Jn-
dem die Theile vergroͤßert werden, bekommen ſie Ver-
haͤltniſſe ihrer Groͤße nach, die ſie vorher nicht hatten.
Die Ausfuͤllung von der Nahrung geht nicht in allen
Maſchen oder Formen in gleichem Verhaͤltniß vor ſich;
einige werden mehr, andre weniger am Umfang und
an Soliditaͤt vergroͤßert. Der Grund hiezu liegt zwar
in ihnen ſelbſt, aber doch auch in dem Ueberfluß oder
in dem Mangel der Saͤfte, die ſich fuͤr ſolche Maſchen
ſchicken; einige davon koͤnnen ſich ſo zuſammenziehen,
daß ſie ſich zu verlieren ſcheinen. Nun entſteht zwar
das ausgebildete Weſen durch die bloße Vergroͤße-
rung der Formen in dem Keim, und jeder Theil in
jenem hat ſeinen Anfangspunkt und ſeine erſte An-
lage in dem Keim; allein da doch die Verhaͤltniſſe der
Theile ihren Groͤßen nach ſich aͤndern, ſo konnte man
darum das Thier im Kleinen in dem Keim nicht ſu-
chen, weil dieſer Ausdruck nicht nur die Anfaͤnge der
Theile, ſondern auch daſſelbige Verhaͤltniß der Groͤße
und Geſtalt zwiſchen den Anfaͤngen und zwiſchen den
Theilen ſelbſt zu enthalten ſcheinet.
Herr
*) Ueber die organiſirten Koͤrper, I Th. Art. 36, 37.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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