Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
Zweeter Abschnitt.
Von der Entwickelung des menschlichen Körpers.
I.
Vorerinnerung.

Wieferne die Bildung organisirter Körper unaus-
forschlich ist? Absicht der gegenwärtigen Be-
trachtung.

1.

Ehe ich mich in diese Betrachtung über die Entwicke-
lung des Körpers einlasse, muß ich zweyerley vor-
her erinnern.

Jch habe die Schwierigkeiten gefühlt, welche bey
einer Untersuchung vorkommen, wo auf Einer Seite
von Haller und Bonnet den ganzen Umfang der
bisher bekanntgewordenen Erfahrungen vor Augen ver-
glichen, und nach der reifsten Ueberlegung urtheilten, es
sey der Begrif von einer Entwickelung, der das
Verfahren der Natur darstelle, und wo auf der andern
Seite Wolf, *) der so tief in die Natur der Generation
eindringet, daß es Mühe kostet ihm nachzukommen,
eben dieselbigen Fakta vor Augen hat, und dennoch den
Ausspruch thut, es sey nicht die Evolution, sondern der
Begrif von der Epigenesis, die richtige Vorstellung.
Andere große Männer, Buffon, Needham, haben
sich nicht ganz zu der einen noch zu der andern Parthey
gesellet, sondern sich selbst eine eigene Jdee davon ab-
strahirt. Jch will von der Autorität anderer, die sich
entweder für das eine oder das andere System erklären,
nichts sagen. Wo solche Männer schon erkannt haben
und unter sich uneinig sind, da wird man doch nicht vermu-

then,
*) Theoria generationis.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Zweeter Abſchnitt.
Von der Entwickelung des menſchlichen Koͤrpers.
I.
Vorerinnerung.

Wieferne die Bildung organiſirter Koͤrper unaus-
forſchlich iſt? Abſicht der gegenwaͤrtigen Be-
trachtung.

1.

Ehe ich mich in dieſe Betrachtung uͤber die Entwicke-
lung des Koͤrpers einlaſſe, muß ich zweyerley vor-
her erinnern.

Jch habe die Schwierigkeiten gefuͤhlt, welche bey
einer Unterſuchung vorkommen, wo auf Einer Seite
von Haller und Bonnet den ganzen Umfang der
bisher bekanntgewordenen Erfahrungen vor Augen ver-
glichen, und nach der reifſten Ueberlegung urtheilten, es
ſey der Begrif von einer Entwickelung, der das
Verfahren der Natur darſtelle, und wo auf der andern
Seite Wolf, *) der ſo tief in die Natur der Generation
eindringet, daß es Muͤhe koſtet ihm nachzukommen,
eben dieſelbigen Fakta vor Augen hat, und dennoch den
Ausſpruch thut, es ſey nicht die Evolution, ſondern der
Begrif von der Epigeneſis, die richtige Vorſtellung.
Andere große Maͤnner, Buffon, Needham, haben
ſich nicht ganz zu der einen noch zu der andern Parthey
geſellet, ſondern ſich ſelbſt eine eigene Jdee davon ab-
ſtrahirt. Jch will von der Autoritaͤt anderer, die ſich
entweder fuͤr das eine oder das andere Syſtem erklaͤren,
nichts ſagen. Wo ſolche Maͤnner ſchon erkannt haben
und unter ſich uneinig ſind, da wird man doch nicht vermu-

then,
*) Theoria generationis.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0478" n="448"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Zweeter Ab&#x017F;chnitt</hi>.<lb/>
Von der Entwickelung des men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rpers.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq">I.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Vorerinnerung.</hi> </head><lb/>
            <argument>
              <p>Wieferne die Bildung organi&#x017F;irter Ko&#x0364;rper unaus-<lb/>
for&#x017F;chlich i&#x017F;t? Ab&#x017F;icht der gegenwa&#x0364;rtigen Be-<lb/>
trachtung.</p>
            </argument><lb/>
            <div n="4">
              <head>1.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">E</hi>he ich mich in die&#x017F;e Betrachtung u&#x0364;ber die Entwicke-<lb/>
lung des Ko&#x0364;rpers einla&#x017F;&#x017F;e, muß ich zweyerley vor-<lb/>
her erinnern.</p><lb/>
              <p>Jch habe die Schwierigkeiten gefu&#x0364;hlt, welche bey<lb/>
einer Unter&#x017F;uchung vorkommen, wo auf Einer Seite<lb/><hi rendition="#fr">von Haller</hi> und <hi rendition="#fr">Bonnet</hi> den ganzen Umfang der<lb/>
bisher bekanntgewordenen Erfahrungen vor Augen ver-<lb/>
glichen, und nach der reif&#x017F;ten Ueberlegung urtheilten, es<lb/>
&#x017F;ey der <hi rendition="#fr">Begrif von einer Entwickelung,</hi> der das<lb/>
Verfahren der Natur dar&#x017F;telle, und wo auf der andern<lb/>
Seite <hi rendition="#fr">Wolf,</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Theoria generationis.</hi></note> der &#x017F;o tief in die Natur der Generation<lb/>
eindringet, daß es Mu&#x0364;he ko&#x017F;tet ihm nachzukommen,<lb/>
eben die&#x017F;elbigen Fakta vor Augen hat, und dennoch den<lb/>
Aus&#x017F;pruch thut, es &#x017F;ey nicht die Evolution, &#x017F;ondern der<lb/>
Begrif von der Epigene&#x017F;is, die richtige Vor&#x017F;tellung.<lb/>
Andere große Ma&#x0364;nner, <hi rendition="#fr">Buffon, Needham,</hi> haben<lb/>
&#x017F;ich nicht ganz zu der einen noch zu der andern Parthey<lb/>
ge&#x017F;ellet, &#x017F;ondern &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t eine eigene Jdee davon ab-<lb/>
&#x017F;trahirt. Jch will von der Autorita&#x0364;t anderer, die &#x017F;ich<lb/>
entweder fu&#x0364;r das eine oder das andere Sy&#x017F;tem erkla&#x0364;ren,<lb/>
nichts &#x017F;agen. Wo &#x017F;olche Ma&#x0364;nner &#x017F;chon erkannt haben<lb/>
und unter &#x017F;ich uneinig &#x017F;ind, da wird man doch nicht vermu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">then,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0478] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt Zweeter Abſchnitt. Von der Entwickelung des menſchlichen Koͤrpers. I. Vorerinnerung. Wieferne die Bildung organiſirter Koͤrper unaus- forſchlich iſt? Abſicht der gegenwaͤrtigen Be- trachtung. 1. Ehe ich mich in dieſe Betrachtung uͤber die Entwicke- lung des Koͤrpers einlaſſe, muß ich zweyerley vor- her erinnern. Jch habe die Schwierigkeiten gefuͤhlt, welche bey einer Unterſuchung vorkommen, wo auf Einer Seite von Haller und Bonnet den ganzen Umfang der bisher bekanntgewordenen Erfahrungen vor Augen ver- glichen, und nach der reifſten Ueberlegung urtheilten, es ſey der Begrif von einer Entwickelung, der das Verfahren der Natur darſtelle, und wo auf der andern Seite Wolf, *) der ſo tief in die Natur der Generation eindringet, daß es Muͤhe koſtet ihm nachzukommen, eben dieſelbigen Fakta vor Augen hat, und dennoch den Ausſpruch thut, es ſey nicht die Evolution, ſondern der Begrif von der Epigeneſis, die richtige Vorſtellung. Andere große Maͤnner, Buffon, Needham, haben ſich nicht ganz zu der einen noch zu der andern Parthey geſellet, ſondern ſich ſelbſt eine eigene Jdee davon ab- ſtrahirt. Jch will von der Autoritaͤt anderer, die ſich entweder fuͤr das eine oder das andere Syſtem erklaͤren, nichts ſagen. Wo ſolche Maͤnner ſchon erkannt haben und unter ſich uneinig ſind, da wird man doch nicht vermu- then, *) Theoria generationis.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/478
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/478>, abgerufen am 22.12.2024.