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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
durch gewisse Jdeenassociationen auf diejenige Art von
Veränderungen, und auf die Seite von ihnen geleitet
werde, die in den besondern Gefühlen die Gegenstände
des Vermögens sind. Aber, kann man antworten, ist
nicht auch das Vermögen zu sehen, dasselbige Empfin-
dungsvermögen, womit wir hören, nur auf die Eindrü-
cke des Lichts auf die Augen angewendet? Und würden
wir uns nicht deswegen doch irren, wenn wir schließen
wollten, ein Wesen, welches fühlen kann, braucht wei-
ter nichts als den Eindrücken des Lichts ausgesetzet zu
seyn, um zu sehen, ohne eine eigene Anlage seiner Na-
tur mehr zu haben? Laß Adam im Paradies ohnge-
fehr so raisonnirt haben, als ihn Büffon raisonniren
läßt; laß ihn, ohne noch sich selbst von seinen Kräften zu
unterscheiden und die verschiedenen Organe zu kennen,
seine innere menschliche Empfindungen verglichen, auf-
gelöset und zergliedert haben: wird er nicht glauben müs-
sen, wenn er den Baum siehet und den Gesang eines
Vogels höret, daß diese Veränderungen nur darinn un-
terschieden sind, daß verschiedene äußere Ursachen auf
ihn wirken? Daß, um diese zween Eindrücke zu em-
pfangen, verschiedene Einrichtungen in ihm, an ver-
schiedenen Seiten, als so viele besondere Gänge zu sei-
nem Jnnern erfodert werden, wird er vielleicht so wenig
vermuthen, als er darauf verfallen kann, daß um eine
Rose und eine Nelke zu riechen zwo verschiedene Fi-
bern in feiner Nase nöthig sind, wie Hr. Bonnet be-
hauptet. Man sieht die Anwendung leicht. Möchte
nicht etwan jede der auch nahe verwandten Gefühlsarten
ihre besondere Einrichtung in der Seele, an unterschie-
denen Seiten in ihr, erfodern, wodurch allein es mög-
lich wird solche Eindrücke, welche die Gegenstände die-
ser Gefühle sind, abgesondert anzunehmen, oder derje-
nigen Jdeenverknüpfung fähig zu werden, die dazu er-
fodert wird? Und würden denn diese besondern An-

lagen
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und Entwickelung des Menſchen.
durch gewiſſe Jdeenaſſociationen auf diejenige Art von
Veraͤnderungen, und auf die Seite von ihnen geleitet
werde, die in den beſondern Gefuͤhlen die Gegenſtaͤnde
des Vermoͤgens ſind. Aber, kann man antworten, iſt
nicht auch das Vermoͤgen zu ſehen, daſſelbige Empfin-
dungsvermoͤgen, womit wir hoͤren, nur auf die Eindruͤ-
cke des Lichts auf die Augen angewendet? Und wuͤrden
wir uns nicht deswegen doch irren, wenn wir ſchließen
wollten, ein Weſen, welches fuͤhlen kann, braucht wei-
ter nichts als den Eindruͤcken des Lichts ausgeſetzet zu
ſeyn, um zu ſehen, ohne eine eigene Anlage ſeiner Na-
tur mehr zu haben? Laß Adam im Paradies ohnge-
fehr ſo raiſonnirt haben, als ihn Buͤffon raiſonniren
laͤßt; laß ihn, ohne noch ſich ſelbſt von ſeinen Kraͤften zu
unterſcheiden und die verſchiedenen Organe zu kennen,
ſeine innere menſchliche Empfindungen verglichen, auf-
geloͤſet und zergliedert haben: wird er nicht glauben muͤſ-
ſen, wenn er den Baum ſiehet und den Geſang eines
Vogels hoͤret, daß dieſe Veraͤnderungen nur darinn un-
terſchieden ſind, daß verſchiedene aͤußere Urſachen auf
ihn wirken? Daß, um dieſe zween Eindruͤcke zu em-
pfangen, verſchiedene Einrichtungen in ihm, an ver-
ſchiedenen Seiten, als ſo viele beſondere Gaͤnge zu ſei-
nem Jnnern erfodert werden, wird er vielleicht ſo wenig
vermuthen, als er darauf verfallen kann, daß um eine
Roſe und eine Nelke zu riechen zwo verſchiedene Fi-
bern in feiner Naſe noͤthig ſind, wie Hr. Bonnet be-
hauptet. Man ſieht die Anwendung leicht. Moͤchte
nicht etwan jede der auch nahe verwandten Gefuͤhlsarten
ihre beſondere Einrichtung in der Seele, an unterſchie-
denen Seiten in ihr, erfodern, wodurch allein es moͤg-
lich wird ſolche Eindruͤcke, welche die Gegenſtaͤnde die-
ſer Gefuͤhle ſind, abgeſondert anzunehmen, oder derje-
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[441/0471] und Entwickelung des Menſchen. durch gewiſſe Jdeenaſſociationen auf diejenige Art von Veraͤnderungen, und auf die Seite von ihnen geleitet werde, die in den beſondern Gefuͤhlen die Gegenſtaͤnde des Vermoͤgens ſind. Aber, kann man antworten, iſt nicht auch das Vermoͤgen zu ſehen, daſſelbige Empfin- dungsvermoͤgen, womit wir hoͤren, nur auf die Eindruͤ- cke des Lichts auf die Augen angewendet? Und wuͤrden wir uns nicht deswegen doch irren, wenn wir ſchließen wollten, ein Weſen, welches fuͤhlen kann, braucht wei- ter nichts als den Eindruͤcken des Lichts ausgeſetzet zu ſeyn, um zu ſehen, ohne eine eigene Anlage ſeiner Na- tur mehr zu haben? Laß Adam im Paradies ohnge- fehr ſo raiſonnirt haben, als ihn Buͤffon raiſonniren laͤßt; laß ihn, ohne noch ſich ſelbſt von ſeinen Kraͤften zu unterſcheiden und die verſchiedenen Organe zu kennen, ſeine innere menſchliche Empfindungen verglichen, auf- geloͤſet und zergliedert haben: wird er nicht glauben muͤſ- ſen, wenn er den Baum ſiehet und den Geſang eines Vogels hoͤret, daß dieſe Veraͤnderungen nur darinn un- terſchieden ſind, daß verſchiedene aͤußere Urſachen auf ihn wirken? Daß, um dieſe zween Eindruͤcke zu em- pfangen, verſchiedene Einrichtungen in ihm, an ver- ſchiedenen Seiten, als ſo viele beſondere Gaͤnge zu ſei- nem Jnnern erfodert werden, wird er vielleicht ſo wenig vermuthen, als er darauf verfallen kann, daß um eine Roſe und eine Nelke zu riechen zwo verſchiedene Fi- bern in feiner Naſe noͤthig ſind, wie Hr. Bonnet be- hauptet. Man ſieht die Anwendung leicht. Moͤchte nicht etwan jede der auch nahe verwandten Gefuͤhlsarten ihre beſondere Einrichtung in der Seele, an unterſchie- denen Seiten in ihr, erfodern, wodurch allein es moͤg- lich wird ſolche Eindruͤcke, welche die Gegenſtaͤnde die- ſer Gefuͤhle ſind, abgeſondert anzunehmen, oder derje- nigen Jdeenverknuͤpfung faͤhig zu werden, die dazu er- fodert wird? Und wuͤrden denn dieſe beſondern An- lagen E e 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/471>, abgerufen am 22.11.2024.