eine Fiber, die neben der andern lieget, dieselbige verlängerte Fiber ist.
Jndessen fällt darum das Resultat aus der Auflö- sung der Vermögen, worinnen ihre Aeußerungen auf einige wenige allgemeine Grundkräfte gebracht werden, nicht weg. Alles, was die Seele leidet und thut, kann zuletzt im Fühlen, Vorstellen, Denken und Wol- len bestehen; alle ihre Vermögen können nichts an- ders, als nur in Hinsicht der Richtungen, die dassel- bige Grundprincip nimmt, und in Hinsicht der Gegen- stände verschieden seyn, und, diesen Unterschied abge- rechnet, der Form und Wirkungsart nach dieselben seyn. So viel will jene Reduktion nur sagen. Aber mehr auch nicht. Sie kann eine andre Frage nicht entscheiden, die, wenn man gleich die blos objektivi- sche Verschiedenheit bey Seite setzet, noch übrig ist. Wohin soll man die Verschiedenheit in den Richtun- gen und Seiten bringen, an welchen die überall ein- förmig wirkende Kraft hervorgehet? Jst das Vermö- gen, nach einer Richtung zu wirken, nicht eben sowohl eine eigene Anlage für sich, als jeder Kanal oder jede Fiber, wodurch diese Richtung bestimmt wird, ein eigener Kanal oder eine eigene Fiber ist? Jst jene nicht ein eigener Grundzug in der Seele? Wenn es den Otaheitern von Natur an dem Zuge fehlet, der zu dem Gefühl der Schamhaftigkeit bey gewissen na- türlichen Handlungen gehört, so werden sie bey aller Aufklärung, die ihnen beygebracht werden möchte, und bey aller Verfeinerung des Gefühls, so wenig von dieser Schamlosigkeit befreyet werden, als ein Blinder sehend wird, wenn er an seinen übrigen Sin- nen und am Verstande schon ein Saunderson würde.
5. Bey
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
eine Fiber, die neben der andern lieget, dieſelbige verlaͤngerte Fiber iſt.
Jndeſſen faͤllt darum das Reſultat aus der Aufloͤ- ſung der Vermoͤgen, worinnen ihre Aeußerungen auf einige wenige allgemeine Grundkraͤfte gebracht werden, nicht weg. Alles, was die Seele leidet und thut, kann zuletzt im Fuͤhlen, Vorſtellen, Denken und Wol- len beſtehen; alle ihre Vermoͤgen koͤnnen nichts an- ders, als nur in Hinſicht der Richtungen, die daſſel- bige Grundprincip nimmt, und in Hinſicht der Gegen- ſtaͤnde verſchieden ſeyn, und, dieſen Unterſchied abge- rechnet, der Form und Wirkungsart nach dieſelben ſeyn. So viel will jene Reduktion nur ſagen. Aber mehr auch nicht. Sie kann eine andre Frage nicht entſcheiden, die, wenn man gleich die blos objektivi- ſche Verſchiedenheit bey Seite ſetzet, noch uͤbrig iſt. Wohin ſoll man die Verſchiedenheit in den Richtun- gen und Seiten bringen, an welchen die uͤberall ein- foͤrmig wirkende Kraft hervorgehet? Jſt das Vermoͤ- gen, nach einer Richtung zu wirken, nicht eben ſowohl eine eigene Anlage fuͤr ſich, als jeder Kanal oder jede Fiber, wodurch dieſe Richtung beſtimmt wird, ein eigener Kanal oder eine eigene Fiber iſt? Jſt jene nicht ein eigener Grundzug in der Seele? Wenn es den Otaheitern von Natur an dem Zuge fehlet, der zu dem Gefuͤhl der Schamhaftigkeit bey gewiſſen na- tuͤrlichen Handlungen gehoͤrt, ſo werden ſie bey aller Aufklaͤrung, die ihnen beygebracht werden moͤchte, und bey aller Verfeinerung des Gefuͤhls, ſo wenig von dieſer Schamloſigkeit befreyet werden, als ein Blinder ſehend wird, wenn er an ſeinen uͤbrigen Sin- nen und am Verſtande ſchon ein Saunderſon wuͤrde.
5. Bey
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
eine Fiber, die neben der andern lieget, dieſelbige
verlaͤngerte Fiber iſt.
Jndeſſen faͤllt darum das Reſultat aus der Aufloͤ-
ſung der Vermoͤgen, worinnen ihre Aeußerungen auf
einige wenige allgemeine Grundkraͤfte gebracht werden,
nicht weg. Alles, was die Seele leidet und thut,
kann zuletzt im Fuͤhlen, Vorſtellen, Denken und Wol-
len beſtehen; alle ihre Vermoͤgen koͤnnen nichts an-
ders, als nur in Hinſicht der Richtungen, die daſſel-
bige Grundprincip nimmt, und in Hinſicht der Gegen-
ſtaͤnde verſchieden ſeyn, und, dieſen Unterſchied abge-
rechnet, der Form und Wirkungsart nach dieſelben
ſeyn. So viel will jene Reduktion nur ſagen. Aber
mehr auch nicht. Sie kann eine andre Frage nicht
entſcheiden, die, wenn man gleich die blos objektivi-
ſche Verſchiedenheit bey Seite ſetzet, noch uͤbrig iſt.
Wohin ſoll man die Verſchiedenheit in den Richtun-
gen und Seiten bringen, an welchen die uͤberall ein-
foͤrmig wirkende Kraft hervorgehet? Jſt das Vermoͤ-
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eine eigene Anlage fuͤr ſich, als jeder Kanal oder jede
Fiber, wodurch dieſe Richtung beſtimmt wird, ein
eigener Kanal oder eine eigene Fiber iſt? Jſt jene
nicht ein eigener Grundzug in der Seele? Wenn es
den Otaheitern von Natur an dem Zuge fehlet, der
zu dem Gefuͤhl der Schamhaftigkeit bey gewiſſen na-
tuͤrlichen Handlungen gehoͤrt, ſo werden ſie bey aller
Aufklaͤrung, die ihnen beygebracht werden moͤchte,
und bey aller Verfeinerung des Gefuͤhls, ſo wenig
von dieſer Schamloſigkeit befreyet werden, als ein
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nen und am Verſtande ſchon ein Saunderſon
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5. Bey
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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