cken ein Vergnügen liege. Die im Empfinden geübte Kraft nimmt die Eindrücke schon stärker auf, und ist zugleich empfindlicher in Hinsicht ihrer Uebereinstim- mung mit dem innern Zustande und der innern Verän- derungen, die darauf folgen. Aber dieß neue Vergnü- gen verursacht auch neue Bedürfnisse und neue Triebe. Wenn das Kind sich satt gegessen hat: so nimmt es sei- ne Puppe und spielet damit. Die Lust in diesen Ein- drücken ist eine andere Empfindung, als die Lust, die es in dem Essen empfunden hatte; jene klebet zwar an den Gesichts und Gehörseindrücken, weil sie solche beglei- tet und auf sie folget, aber gewiß nicht, weil das vo- rige Vergnügen aus dem Genuß des Essens nur vermit- telst einer Jdeenassociation wiedererweckt wird, noch weil es von den Empfindungen des Geschmacks nun auf die Eindrücke des Gesichts und des Gehörs übergetragen wird. Jndessen haben die vorhergegangenen stärkern Empfindungen des Geschmacks und des Gefühls das Empfindungsvermögen vorbereitet, und es der feinern und schwächern Eindrücke der obern Sinne empfänglich gemacht, oder wenigstens die schon vorhandene natürli- che Empfänglichkeit dazu erhöhet.
Die Wirkungen dieser neu entdeckten Vergnügen aus den feinern Sinnen müssen freilich wieder un- merklich werden, wenn Schmerzen, Hunger und Durst, das ist, ein andrer thierischer Trieb von neuem sich einstellet und den Menschen einnimmt. Dazu sind sie zu schwach, sich gegen diese zu halten. Elende Völker, die alles thun müssen um nur zu le- ben, und wenn sie dieß gethan haben, völlig ermüdet sind, merken nicht auf die Schönheit des Himmels, noch auf die harmonischen Töne der Vögel. Aber so bald wiederum die Sättigung erfolget ist, und die thä- tige Kraft nur nicht so ganz erschöpft ist, daß sie noch einige Regungen behalten hat, so ergreift sie mit desto
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
cken ein Vergnuͤgen liege. Die im Empfinden geuͤbte Kraft nimmt die Eindruͤcke ſchon ſtaͤrker auf, und iſt zugleich empfindlicher in Hinſicht ihrer Uebereinſtim- mung mit dem innern Zuſtande und der innern Veraͤn- derungen, die darauf folgen. Aber dieß neue Vergnuͤ- gen verurſacht auch neue Beduͤrfniſſe und neue Triebe. Wenn das Kind ſich ſatt gegeſſen hat: ſo nimmt es ſei- ne Puppe und ſpielet damit. Die Luſt in dieſen Ein- druͤcken iſt eine andere Empfindung, als die Luſt, die es in dem Eſſen empfunden hatte; jene klebet zwar an den Geſichts und Gehoͤrseindruͤcken, weil ſie ſolche beglei- tet und auf ſie folget, aber gewiß nicht, weil das vo- rige Vergnuͤgen aus dem Genuß des Eſſens nur vermit- telſt einer Jdeenaſſociation wiedererweckt wird, noch weil es von den Empfindungen des Geſchmacks nun auf die Eindruͤcke des Geſichts und des Gehoͤrs uͤbergetragen wird. Jndeſſen haben die vorhergegangenen ſtaͤrkern Empfindungen des Geſchmacks und des Gefuͤhls das Empfindungsvermoͤgen vorbereitet, und es der feinern und ſchwaͤchern Eindruͤcke der obern Sinne empfaͤnglich gemacht, oder wenigſtens die ſchon vorhandene natuͤrli- che Empfaͤnglichkeit dazu erhoͤhet.
Die Wirkungen dieſer neu entdeckten Vergnuͤgen aus den feinern Sinnen muͤſſen freilich wieder un- merklich werden, wenn Schmerzen, Hunger und Durſt, das iſt, ein andrer thieriſcher Trieb von neuem ſich einſtellet und den Menſchen einnimmt. Dazu ſind ſie zu ſchwach, ſich gegen dieſe zu halten. Elende Voͤlker, die alles thun muͤſſen um nur zu le- ben, und wenn ſie dieß gethan haben, voͤllig ermuͤdet ſind, merken nicht auf die Schoͤnheit des Himmels, noch auf die harmoniſchen Toͤne der Voͤgel. Aber ſo bald wiederum die Saͤttigung erfolget iſt, und die thaͤ- tige Kraft nur nicht ſo ganz erſchoͤpft iſt, daß ſie noch einige Regungen behalten hat, ſo ergreift ſie mit deſto
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
cken ein Vergnuͤgen liege. Die im Empfinden geuͤbte
Kraft nimmt die Eindruͤcke ſchon ſtaͤrker auf, und iſt
zugleich empfindlicher in Hinſicht ihrer Uebereinſtim-
mung mit dem innern Zuſtande und der innern Veraͤn-
derungen, die darauf folgen. Aber dieß neue Vergnuͤ-
gen verurſacht auch neue Beduͤrfniſſe und neue Triebe.
Wenn das Kind ſich ſatt gegeſſen hat: ſo nimmt es ſei-
ne Puppe und ſpielet damit. Die Luſt in dieſen Ein-
druͤcken iſt eine andere Empfindung, als die Luſt, die
es in dem Eſſen empfunden hatte; jene klebet zwar an
den Geſichts und Gehoͤrseindruͤcken, weil ſie ſolche beglei-
tet und auf ſie folget, aber gewiß nicht, weil das vo-
rige Vergnuͤgen aus dem Genuß des Eſſens nur vermit-
telſt einer Jdeenaſſociation wiedererweckt wird, noch
weil es von den Empfindungen des Geſchmacks nun auf
die Eindruͤcke des Geſichts und des Gehoͤrs uͤbergetragen
wird. Jndeſſen haben die vorhergegangenen ſtaͤrkern
Empfindungen des Geſchmacks und des Gefuͤhls das
Empfindungsvermoͤgen vorbereitet, und es der feinern
und ſchwaͤchern Eindruͤcke der obern Sinne empfaͤnglich
gemacht, oder wenigſtens die ſchon vorhandene natuͤrli-
che Empfaͤnglichkeit dazu erhoͤhet.
Die Wirkungen dieſer neu entdeckten Vergnuͤgen
aus den feinern Sinnen muͤſſen freilich wieder un-
merklich werden, wenn Schmerzen, Hunger und
Durſt, das iſt, ein andrer thieriſcher Trieb von neuem
ſich einſtellet und den Menſchen einnimmt. Dazu
ſind ſie zu ſchwach, ſich gegen dieſe zu halten.
Elende Voͤlker, die alles thun muͤſſen um nur zu le-
ben, und wenn ſie dieß gethan haben, voͤllig ermuͤdet
ſind, merken nicht auf die Schoͤnheit des Himmels,
noch auf die harmoniſchen Toͤne der Voͤgel. Aber ſo
bald wiederum die Saͤttigung erfolget iſt, und die thaͤ-
tige Kraft nur nicht ſo ganz erſchoͤpft iſt, daß ſie noch
einige Regungen behalten hat, ſo ergreift ſie mit deſto
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/454>, abgerufen am 22.11.2024.
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