Wenn man diese gemeinen Erfahrungen, die man bey der Erziehung in Menge haben kann, von Fertig- keiten, welche durch Uebung erzeuget werden, genauer an- siehet: so findet sich dabey doch manches, das wohl in Betracht zu ziehen ist, ehe man das Jnnere, was in dieser Entstehungsart liegt, aus ihnen schließen kann. Die Uebung ist eine Anwendung des Vermögens, das von Natur, oder wenigstens vorher vorhanden ist. Jed- wede einzelne Handlung von der Art, daß sie die Wirk- famkeit desselbigen Vermögens oder derselbigen Kraft erfodert, kann als ein Theil der ganzen Uebung des Vermögens angesehen werden. Aber sie ist doch nur dann in dem eigentlichen Sinn des Worts eine Ue- bung, wenn sie auf eine solche Art unternommen wird, daß aus ihr eine Erhöhung des Vermögens erfolget, oder daß der vorher erlangte Grad der Fertigkeit durch sie erhöhet, oder doch in ihrer Größe, die sie schon hat, erhalten werde. Soll dieß aber eine Folge der Hand- lung seyn, so muß auch, wie die Erfahrung lehret, die Kraft mit einem gewissen angemessenen Grade der Jn- tension wirken, und weder zu schwach noch zu stark da- bey gebraucht werden. Wer ohne eine merkliche An- strengung oder ohne den gehörigen Grad der Aufmerk- samkeit etwas verrichtet, gewinnt für sein Vermögen selbst wenig oder nichts. Die Anstrengung muß bis an eine gewisse Gränze gehen, wo sie anfängt unange- nehm und schmerzhast zu werden. Und so sehr schädlich ist es auch nicht, wenigstens nicht bey einer starken Kraft, wenn sie dann und wann einmal etwas darüber hinaus| gehet. Die Kraft, welche gestärkt und ge- schärfet werden soll, muß auch bearbeitet und angegrif- fen werden. Dagegen kann auch allerdings auf der an- dern Seite zuviel geschehen. Eine zu starke, und noch mehr eine anhaltende Ueberspannung der Kräfte schwä- chet sie, und setzet das Vermögen, das vorher schon da
war,
und Entwickelung des Menſchen.
Wenn man dieſe gemeinen Erfahrungen, die man bey der Erziehung in Menge haben kann, von Fertig- keiten, welche durch Uebung erzeuget werden, genauer an- ſiehet: ſo findet ſich dabey doch manches, das wohl in Betracht zu ziehen iſt, ehe man das Jnnere, was in dieſer Entſtehungsart liegt, aus ihnen ſchließen kann. Die Uebung iſt eine Anwendung des Vermoͤgens, das von Natur, oder wenigſtens vorher vorhanden iſt. Jed- wede einzelne Handlung von der Art, daß ſie die Wirk- famkeit deſſelbigen Vermoͤgens oder derſelbigen Kraft erfodert, kann als ein Theil der ganzen Uebung des Vermoͤgens angeſehen werden. Aber ſie iſt doch nur dann in dem eigentlichen Sinn des Worts eine Ue- bung, wenn ſie auf eine ſolche Art unternommen wird, daß aus ihr eine Erhoͤhung des Vermoͤgens erfolget, oder daß der vorher erlangte Grad der Fertigkeit durch ſie erhoͤhet, oder doch in ihrer Groͤße, die ſie ſchon hat, erhalten werde. Soll dieß aber eine Folge der Hand- lung ſeyn, ſo muß auch, wie die Erfahrung lehret, die Kraft mit einem gewiſſen angemeſſenen Grade der Jn- tenſion wirken, und weder zu ſchwach noch zu ſtark da- bey gebraucht werden. Wer ohne eine merkliche An- ſtrengung oder ohne den gehoͤrigen Grad der Aufmerk- ſamkeit etwas verrichtet, gewinnt fuͤr ſein Vermoͤgen ſelbſt wenig oder nichts. Die Anſtrengung muß bis an eine gewiſſe Graͤnze gehen, wo ſie anfaͤngt unange- nehm und ſchmerzhaſt zu werden. Und ſo ſehr ſchaͤdlich iſt es auch nicht, wenigſtens nicht bey einer ſtarken Kraft, wenn ſie dann und wann einmal etwas daruͤber hinaus| gehet. Die Kraft, welche geſtaͤrkt und ge- ſchaͤrfet werden ſoll, muß auch bearbeitet und angegrif- fen werden. Dagegen kann auch allerdings auf der an- dern Seite zuviel geſchehen. Eine zu ſtarke, und noch mehr eine anhaltende Ueberſpannung der Kraͤfte ſchwaͤ- chet ſie, und ſetzet das Vermoͤgen, das vorher ſchon da
war,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0411"n="381"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/><p>Wenn man dieſe gemeinen Erfahrungen, die man<lb/>
bey der Erziehung in Menge haben kann, von Fertig-<lb/>
keiten, welche durch Uebung erzeuget werden, genauer an-<lb/>ſiehet: ſo findet ſich dabey doch manches, das wohl in<lb/>
Betracht zu ziehen iſt, ehe man das Jnnere, was in<lb/>
dieſer Entſtehungsart liegt, aus ihnen ſchließen kann.<lb/>
Die Uebung iſt eine Anwendung des Vermoͤgens, das<lb/>
von Natur, oder wenigſtens vorher vorhanden iſt. Jed-<lb/>
wede einzelne Handlung von der Art, daß ſie die Wirk-<lb/>
famkeit deſſelbigen Vermoͤgens oder derſelbigen Kraft<lb/>
erfodert, kann als ein Theil der ganzen Uebung des<lb/>
Vermoͤgens angeſehen werden. Aber ſie iſt doch nur<lb/>
dann in dem eigentlichen Sinn des Worts eine <hirendition="#fr">Ue-<lb/>
bung,</hi> wenn ſie auf eine ſolche Art unternommen wird,<lb/>
daß aus ihr eine Erhoͤhung des Vermoͤgens erfolget,<lb/>
oder daß der vorher erlangte Grad der Fertigkeit durch<lb/>ſie erhoͤhet, oder doch in ihrer Groͤße, die ſie ſchon hat,<lb/>
erhalten werde. Soll dieß aber eine Folge der Hand-<lb/>
lung ſeyn, ſo muß auch, wie die Erfahrung lehret, die<lb/>
Kraft mit einem gewiſſen angemeſſenen Grade der Jn-<lb/>
tenſion wirken, und weder zu ſchwach noch zu ſtark da-<lb/>
bey gebraucht werden. Wer ohne eine merkliche An-<lb/>ſtrengung oder ohne den gehoͤrigen Grad der Aufmerk-<lb/>ſamkeit etwas verrichtet, gewinnt fuͤr ſein Vermoͤgen<lb/>ſelbſt wenig oder nichts. Die Anſtrengung muß bis<lb/>
an eine gewiſſe Graͤnze gehen, wo ſie anfaͤngt unange-<lb/>
nehm und ſchmerzhaſt zu werden. Und ſo ſehr ſchaͤdlich<lb/>
iſt es auch nicht, wenigſtens nicht bey einer ſtarken<lb/>
Kraft, wenn ſie dann und wann einmal etwas daruͤber<lb/>
hinaus| gehet. Die Kraft, welche geſtaͤrkt und ge-<lb/>ſchaͤrfet werden ſoll, muß auch bearbeitet und angegrif-<lb/>
fen werden. Dagegen kann auch allerdings auf der an-<lb/>
dern Seite zuviel geſchehen. Eine zu ſtarke, und noch<lb/>
mehr eine anhaltende Ueberſpannung der Kraͤfte ſchwaͤ-<lb/>
chet ſie, und ſetzet das Vermoͤgen, das vorher ſchon da<lb/><fwplace="bottom"type="catch">war,</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[381/0411]
und Entwickelung des Menſchen.
Wenn man dieſe gemeinen Erfahrungen, die man
bey der Erziehung in Menge haben kann, von Fertig-
keiten, welche durch Uebung erzeuget werden, genauer an-
ſiehet: ſo findet ſich dabey doch manches, das wohl in
Betracht zu ziehen iſt, ehe man das Jnnere, was in
dieſer Entſtehungsart liegt, aus ihnen ſchließen kann.
Die Uebung iſt eine Anwendung des Vermoͤgens, das
von Natur, oder wenigſtens vorher vorhanden iſt. Jed-
wede einzelne Handlung von der Art, daß ſie die Wirk-
famkeit deſſelbigen Vermoͤgens oder derſelbigen Kraft
erfodert, kann als ein Theil der ganzen Uebung des
Vermoͤgens angeſehen werden. Aber ſie iſt doch nur
dann in dem eigentlichen Sinn des Worts eine Ue-
bung, wenn ſie auf eine ſolche Art unternommen wird,
daß aus ihr eine Erhoͤhung des Vermoͤgens erfolget,
oder daß der vorher erlangte Grad der Fertigkeit durch
ſie erhoͤhet, oder doch in ihrer Groͤße, die ſie ſchon hat,
erhalten werde. Soll dieß aber eine Folge der Hand-
lung ſeyn, ſo muß auch, wie die Erfahrung lehret, die
Kraft mit einem gewiſſen angemeſſenen Grade der Jn-
tenſion wirken, und weder zu ſchwach noch zu ſtark da-
bey gebraucht werden. Wer ohne eine merkliche An-
ſtrengung oder ohne den gehoͤrigen Grad der Aufmerk-
ſamkeit etwas verrichtet, gewinnt fuͤr ſein Vermoͤgen
ſelbſt wenig oder nichts. Die Anſtrengung muß bis
an eine gewiſſe Graͤnze gehen, wo ſie anfaͤngt unange-
nehm und ſchmerzhaſt zu werden. Und ſo ſehr ſchaͤdlich
iſt es auch nicht, wenigſtens nicht bey einer ſtarken
Kraft, wenn ſie dann und wann einmal etwas daruͤber
hinaus| gehet. Die Kraft, welche geſtaͤrkt und ge-
ſchaͤrfet werden ſoll, muß auch bearbeitet und angegrif-
fen werden. Dagegen kann auch allerdings auf der an-
dern Seite zuviel geſchehen. Eine zu ſtarke, und noch
mehr eine anhaltende Ueberſpannung der Kraͤfte ſchwaͤ-
chet ſie, und ſetzet das Vermoͤgen, das vorher ſchon da
war,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/411>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.