Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

im Menschen.
sie zuweilen von dem Körper ohne Seele verrichtet wer-
den; und auch umgekehrt, daß die Seelenkraft sie in
ihrer Ordnung hervorbringen könne, wenn gleich die
gewöhnliche vorhergehende und bestimmende Ursache im
Körper nicht vorhanden ist. Hier haben wir den Grund-
strich in der Jdee von der thierischen Natur des Men-
schen; von der Seite sie angesehen, wo sie uns auf ei-
nen analogischen Grund führet, uns von dem Seelen-
wesen eine ähnliche Vorstellung zu machen.

13.

Es läßt sich nun auch wohl begreifen, daß eine
Beywirkung der Seele zu den thierischen Bewegun-
gen, welche in dem Menschen die kleinste ist, eben so
groß seyn könne, als sie bey andern Thieren ist, wenn
sie die größte ist. Vielleicht ist der Einfluß der Seele
zu unsern bloß organischen Bewegungen noch eben so
groß, als der Einfluß der Seele bey der Auster bey
solchen Bewegungen ist, die sie am meisten in ihrer Ge-
walt hat, oder die am meisten von ihrer Seelenkraft
abhangen. Vorzügliche Eigenmacht und Selbstthätig-
keit in der Seele, und eine vorzügliche relative Größe
ihres Einflusses in die ganze thierische Natur ist Eine
von den Eigenheiten des Menschen. Wir finden die-
sen schon nicht so groß, auch bey den vollkommensten
Thieren, die dem Menschen am nächsten zu stehen schei-
nen. Von welchem Grade mag nun wohl diese relative
Wichtigkeit der Seelenkraft (das dominium monadis
dominantis
) in den Jnsekten und Gewürmen, und
endlich in den Polypen, in den Stein- und Pflanzen-
thieren seyn? Jn den Pflanzen findet sich nach der
Jdee, die wir von ihnen haben, nichts als bloße kör-
perliche Organisation.
Denn wir finden ihre we-
sentliche Kraft,
als das Princip ihres Wachsens und
Lebens, nicht so in Einem Theile vereiniget, als bey den

Thie-

im Menſchen.
ſie zuweilen von dem Koͤrper ohne Seele verrichtet wer-
den; und auch umgekehrt, daß die Seelenkraft ſie in
ihrer Ordnung hervorbringen koͤnne, wenn gleich die
gewoͤhnliche vorhergehende und beſtimmende Urſache im
Koͤrper nicht vorhanden iſt. Hier haben wir den Grund-
ſtrich in der Jdee von der thieriſchen Natur des Men-
ſchen; von der Seite ſie angeſehen, wo ſie uns auf ei-
nen analogiſchen Grund fuͤhret, uns von dem Seelen-
weſen eine aͤhnliche Vorſtellung zu machen.

13.

Es laͤßt ſich nun auch wohl begreifen, daß eine
Beywirkung der Seele zu den thieriſchen Bewegun-
gen, welche in dem Menſchen die kleinſte iſt, eben ſo
groß ſeyn koͤnne, als ſie bey andern Thieren iſt, wenn
ſie die groͤßte iſt. Vielleicht iſt der Einfluß der Seele
zu unſern bloß organiſchen Bewegungen noch eben ſo
groß, als der Einfluß der Seele bey der Auſter bey
ſolchen Bewegungen iſt, die ſie am meiſten in ihrer Ge-
walt hat, oder die am meiſten von ihrer Seelenkraft
abhangen. Vorzuͤgliche Eigenmacht und Selbſtthaͤtig-
keit in der Seele, und eine vorzuͤgliche relative Groͤße
ihres Einfluſſes in die ganze thieriſche Natur iſt Eine
von den Eigenheiten des Menſchen. Wir finden die-
ſen ſchon nicht ſo groß, auch bey den vollkommenſten
Thieren, die dem Menſchen am naͤchſten zu ſtehen ſchei-
nen. Von welchem Grade mag nun wohl dieſe relative
Wichtigkeit der Seelenkraft (das dominium monadis
dominantis
) in den Jnſekten und Gewuͤrmen, und
endlich in den Polypen, in den Stein- und Pflanzen-
thieren ſeyn? Jn den Pflanzen findet ſich nach der
Jdee, die wir von ihnen haben, nichts als bloße koͤr-
perliche Organiſation.
Denn wir finden ihre we-
ſentliche Kraft,
als das Princip ihres Wachſens und
Lebens, nicht ſo in Einem Theile vereiniget, als bey den

Thie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0379" n="349"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ie zuweilen von dem Ko&#x0364;rper ohne Seele verrichtet wer-<lb/>
den; und auch umgekehrt, daß die Seelenkraft &#x017F;ie in<lb/>
ihrer Ordnung hervorbringen ko&#x0364;nne, wenn gleich die<lb/>
gewo&#x0364;hnliche vorhergehende und be&#x017F;timmende Ur&#x017F;ache im<lb/>
Ko&#x0364;rper nicht vorhanden i&#x017F;t. Hier haben wir den Grund-<lb/>
&#x017F;trich in der Jdee von der thieri&#x017F;chen Natur des Men-<lb/>
&#x017F;chen; von der Seite &#x017F;ie ange&#x017F;ehen, wo &#x017F;ie uns auf ei-<lb/>
nen analogi&#x017F;chen Grund fu&#x0364;hret, uns von dem Seelen-<lb/>
we&#x017F;en eine a&#x0364;hnliche Vor&#x017F;tellung zu machen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>13.</head><lb/>
              <p>Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich nun auch wohl begreifen, daß eine<lb/>
Beywirkung der Seele zu den <hi rendition="#fr">thieri&#x017F;chen</hi> Bewegun-<lb/>
gen, welche in dem Men&#x017F;chen die <hi rendition="#fr">klein&#x017F;te</hi> i&#x017F;t, eben &#x017F;o<lb/>
groß &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, als &#x017F;ie bey andern Thieren i&#x017F;t, wenn<lb/>
&#x017F;ie die <hi rendition="#fr">gro&#x0364;ßte</hi> i&#x017F;t. Vielleicht i&#x017F;t der Einfluß der Seele<lb/>
zu un&#x017F;ern <hi rendition="#fr">bloß organi&#x017F;chen</hi> Bewegungen noch eben &#x017F;o<lb/>
groß, als der Einfluß der Seele bey der Au&#x017F;ter bey<lb/>
&#x017F;olchen Bewegungen i&#x017F;t, die &#x017F;ie am mei&#x017F;ten in ihrer Ge-<lb/>
walt hat, oder die am mei&#x017F;ten von ihrer Seelenkraft<lb/>
abhangen. Vorzu&#x0364;gliche Eigenmacht und Selb&#x017F;ttha&#x0364;tig-<lb/>
keit in der Seele, und eine vorzu&#x0364;gliche <hi rendition="#fr">relative Gro&#x0364;ße</hi><lb/>
ihres Einflu&#x017F;&#x017F;es in die ganze thieri&#x017F;che Natur i&#x017F;t Eine<lb/>
von den Eigenheiten des Men&#x017F;chen. Wir finden die-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;chon nicht &#x017F;o groß, auch bey den vollkommen&#x017F;ten<lb/>
Thieren, die dem Men&#x017F;chen am na&#x0364;ch&#x017F;ten zu &#x017F;tehen &#x017F;chei-<lb/>
nen. Von welchem Grade mag nun wohl die&#x017F;e relative<lb/>
Wichtigkeit der Seelenkraft (das <hi rendition="#aq">dominium monadis<lb/>
dominantis</hi>) in den Jn&#x017F;ekten und Gewu&#x0364;rmen, und<lb/>
endlich in den Polypen, in den Stein- und Pflanzen-<lb/>
thieren &#x017F;eyn? Jn den Pflanzen findet &#x017F;ich nach der<lb/>
Jdee, die wir von ihnen haben, nichts als <hi rendition="#fr">bloße ko&#x0364;r-<lb/>
perliche Organi&#x017F;ation.</hi> Denn wir finden ihre <hi rendition="#fr">we-<lb/>
&#x017F;entliche Kraft,</hi> als das Princip ihres Wach&#x017F;ens und<lb/>
Lebens, nicht &#x017F;o in Einem Theile vereiniget, als bey den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Thie-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0379] im Menſchen. ſie zuweilen von dem Koͤrper ohne Seele verrichtet wer- den; und auch umgekehrt, daß die Seelenkraft ſie in ihrer Ordnung hervorbringen koͤnne, wenn gleich die gewoͤhnliche vorhergehende und beſtimmende Urſache im Koͤrper nicht vorhanden iſt. Hier haben wir den Grund- ſtrich in der Jdee von der thieriſchen Natur des Men- ſchen; von der Seite ſie angeſehen, wo ſie uns auf ei- nen analogiſchen Grund fuͤhret, uns von dem Seelen- weſen eine aͤhnliche Vorſtellung zu machen. 13. Es laͤßt ſich nun auch wohl begreifen, daß eine Beywirkung der Seele zu den thieriſchen Bewegun- gen, welche in dem Menſchen die kleinſte iſt, eben ſo groß ſeyn koͤnne, als ſie bey andern Thieren iſt, wenn ſie die groͤßte iſt. Vielleicht iſt der Einfluß der Seele zu unſern bloß organiſchen Bewegungen noch eben ſo groß, als der Einfluß der Seele bey der Auſter bey ſolchen Bewegungen iſt, die ſie am meiſten in ihrer Ge- walt hat, oder die am meiſten von ihrer Seelenkraft abhangen. Vorzuͤgliche Eigenmacht und Selbſtthaͤtig- keit in der Seele, und eine vorzuͤgliche relative Groͤße ihres Einfluſſes in die ganze thieriſche Natur iſt Eine von den Eigenheiten des Menſchen. Wir finden die- ſen ſchon nicht ſo groß, auch bey den vollkommenſten Thieren, die dem Menſchen am naͤchſten zu ſtehen ſchei- nen. Von welchem Grade mag nun wohl dieſe relative Wichtigkeit der Seelenkraft (das dominium monadis dominantis) in den Jnſekten und Gewuͤrmen, und endlich in den Polypen, in den Stein- und Pflanzen- thieren ſeyn? Jn den Pflanzen findet ſich nach der Jdee, die wir von ihnen haben, nichts als bloße koͤr- perliche Organiſation. Denn wir finden ihre we- ſentliche Kraft, als das Princip ihres Wachſens und Lebens, nicht ſo in Einem Theile vereiniget, als bey den Thie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/379
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/379>, abgerufen am 22.12.2024.