hören kann. Jn der Seele unterscheidet man die Trie- be, wohin auch die angebornen, oder die Jnstinkte zu rechnen sind, als bloße Bestrebungen zu gewissen Thätigkeitsarten, von den Begierden, welche auf be- stimmte Objekte gerichtet sind. Die bloß organi- schen Vewegungen sind in dem Körper dasselbige, was Trieb und Jnstinkte in der Seele sind.
An und für sich ist es doch nicht unmöglich, wie die Liebhaber der mechanischen Physiologie es sich vorstellen, daß es dergleichen bloß organische Folgen von Ver- änderungen in dem Körper gebe, woran auch in dem lebenden Thiere die Seele nicht den geringsten Antheil hat, die sie nicht fühlet und noch weniger gewahr- nimmt. Gesetzt aber, man wollte hierinn nach Stahls Grundsätzen denken, und jede Veränderung in dem Kör- per des lebenden Thiers für eine wahre thierische Ver- änderung ansehen, woran die Seele als fühlendes, und der Körper als bewegendes, Wesen einigen Antheil habe: so ist so viel offenbar, daß die Beywirkung der Seele bey denen Veränderungen, die wir für die unwillkür- lichsten halten, sehr eingeschränkt und unbedeutend seyn müsse. Man kann also den Beytrag der Seele allen- falls nur als einen solchen ansehen, der in der Theorie zwar als wirklich vorhanden angenommen werden müsse, aber in der Anwendung für nichts geachtet werden kön- ne. Die Seele ist bey ihnen, wenn sie solche fühlt und erkennet, bloß Zuschauerin und höchstens nichts mehr, als was die Seele in dem Gehirn nach der Bonneti- schen Hypothese ist, die in einigen Fällen das Vermö- gen besitzet, die sinnlichen Bewegungen in den Fibern, welche sich selbst aneinander reihen, zu verstärken und zu schwächen. Aber dazu ist die Seele nicht fähig, daß sie solche von neuem aus sich bewirken, oder die Ord- nung, in der sie nach der Struktur des Körpers erfol- gen, auf eine andere Art umändern könnte, als inso-
ferne
X 2
im Menſchen.
hoͤren kann. Jn der Seele unterſcheidet man die Trie- be, wohin auch die angebornen, oder die Jnſtinkte zu rechnen ſind, als bloße Beſtrebungen zu gewiſſen Thaͤtigkeitsarten, von den Begierden, welche auf be- ſtimmte Objekte gerichtet ſind. Die bloß organi- ſchen Vewegungen ſind in dem Koͤrper daſſelbige, was Trieb und Jnſtinkte in der Seele ſind.
An und fuͤr ſich iſt es doch nicht unmoͤglich, wie die Liebhaber der mechaniſchen Phyſiologie es ſich vorſtellen, daß es dergleichen bloß organiſche Folgen von Ver- aͤnderungen in dem Koͤrper gebe, woran auch in dem lebenden Thiere die Seele nicht den geringſten Antheil hat, die ſie nicht fuͤhlet und noch weniger gewahr- nimmt. Geſetzt aber, man wollte hierinn nach Stahls Grundſaͤtzen denken, und jede Veraͤnderung in dem Koͤr- per des lebenden Thiers fuͤr eine wahre thieriſche Ver- aͤnderung anſehen, woran die Seele als fuͤhlendes, und der Koͤrper als bewegendes, Weſen einigen Antheil habe: ſo iſt ſo viel offenbar, daß die Beywirkung der Seele bey denen Veraͤnderungen, die wir fuͤr die unwillkuͤr- lichſten halten, ſehr eingeſchraͤnkt und unbedeutend ſeyn muͤſſe. Man kann alſo den Beytrag der Seele allen- falls nur als einen ſolchen anſehen, der in der Theorie zwar als wirklich vorhanden angenommen werden muͤſſe, aber in der Anwendung fuͤr nichts geachtet werden koͤn- ne. Die Seele iſt bey ihnen, wenn ſie ſolche fuͤhlt und erkennet, bloß Zuſchauerin und hoͤchſtens nichts mehr, als was die Seele in dem Gehirn nach der Bonneti- ſchen Hypotheſe iſt, die in einigen Faͤllen das Vermoͤ- gen beſitzet, die ſinnlichen Bewegungen in den Fibern, welche ſich ſelbſt aneinander reihen, zu verſtaͤrken und zu ſchwaͤchen. Aber dazu iſt die Seele nicht faͤhig, daß ſie ſolche von neuem aus ſich bewirken, oder die Ord- nung, in der ſie nach der Struktur des Koͤrpers erfol- gen, auf eine andere Art umaͤndern koͤnnte, als inſo-
ferne
X 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0353"n="323"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">im Menſchen.</hi></fw><lb/>
hoͤren kann. Jn der Seele unterſcheidet man die <hirendition="#fr">Trie-<lb/>
be,</hi> wohin auch die angebornen, oder die <hirendition="#fr">Jnſtinkte</hi><lb/>
zu rechnen ſind, als bloße Beſtrebungen zu gewiſſen<lb/>
Thaͤtigkeitsarten, von den <hirendition="#fr">Begierden,</hi> welche auf be-<lb/>ſtimmte Objekte gerichtet ſind. Die <hirendition="#fr">bloß organi-<lb/>ſchen</hi> Vewegungen ſind in dem Koͤrper daſſelbige, was<lb/><hirendition="#fr">Trieb</hi> und <hirendition="#fr">Jnſtinkte</hi> in der Seele ſind.</p><lb/><p>An und fuͤr ſich iſt es doch nicht unmoͤglich, wie die<lb/>
Liebhaber der mechaniſchen Phyſiologie es ſich vorſtellen,<lb/>
daß es dergleichen <hirendition="#fr">bloß organiſche Folgen</hi> von Ver-<lb/>
aͤnderungen in dem Koͤrper gebe, woran auch in dem<lb/>
lebenden Thiere die Seele nicht den geringſten Antheil<lb/>
hat, die ſie nicht fuͤhlet und noch weniger gewahr-<lb/>
nimmt. Geſetzt aber, man wollte hierinn nach <hirendition="#fr">Stahls</hi><lb/>
Grundſaͤtzen denken, und jede Veraͤnderung in dem Koͤr-<lb/>
per des lebenden Thiers fuͤr eine wahre <hirendition="#fr">thieriſche</hi> Ver-<lb/>
aͤnderung anſehen, woran die Seele als fuͤhlendes, und<lb/>
der Koͤrper als bewegendes, Weſen einigen Antheil habe:<lb/>ſo iſt ſo viel offenbar, daß die Beywirkung der Seele<lb/>
bey denen Veraͤnderungen, die wir fuͤr die <hirendition="#fr">unwillkuͤr-<lb/>
lichſten</hi> halten, ſehr eingeſchraͤnkt und unbedeutend ſeyn<lb/>
muͤſſe. Man kann alſo den Beytrag der Seele allen-<lb/>
falls nur als einen ſolchen anſehen, der in der Theorie<lb/>
zwar als wirklich vorhanden angenommen werden muͤſſe,<lb/>
aber in der Anwendung fuͤr nichts geachtet werden koͤn-<lb/>
ne. Die Seele iſt bey ihnen, wenn ſie ſolche fuͤhlt und<lb/>
erkennet, bloß Zuſchauerin und hoͤchſtens nichts mehr,<lb/>
als was die Seele in dem Gehirn nach der <hirendition="#fr">Bonneti-<lb/>ſchen</hi> Hypotheſe iſt, die in einigen Faͤllen das Vermoͤ-<lb/>
gen beſitzet, die ſinnlichen Bewegungen in den Fibern,<lb/>
welche ſich ſelbſt aneinander reihen, zu verſtaͤrken und<lb/>
zu ſchwaͤchen. Aber dazu iſt die Seele nicht faͤhig, daß<lb/>ſie ſolche von neuem aus ſich bewirken, oder die Ord-<lb/>
nung, in der ſie nach der Struktur des Koͤrpers erfol-<lb/>
gen, auf eine andere Art umaͤndern koͤnnte, als inſo-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">X 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ferne</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[323/0353]
im Menſchen.
hoͤren kann. Jn der Seele unterſcheidet man die Trie-
be, wohin auch die angebornen, oder die Jnſtinkte
zu rechnen ſind, als bloße Beſtrebungen zu gewiſſen
Thaͤtigkeitsarten, von den Begierden, welche auf be-
ſtimmte Objekte gerichtet ſind. Die bloß organi-
ſchen Vewegungen ſind in dem Koͤrper daſſelbige, was
Trieb und Jnſtinkte in der Seele ſind.
An und fuͤr ſich iſt es doch nicht unmoͤglich, wie die
Liebhaber der mechaniſchen Phyſiologie es ſich vorſtellen,
daß es dergleichen bloß organiſche Folgen von Ver-
aͤnderungen in dem Koͤrper gebe, woran auch in dem
lebenden Thiere die Seele nicht den geringſten Antheil
hat, die ſie nicht fuͤhlet und noch weniger gewahr-
nimmt. Geſetzt aber, man wollte hierinn nach Stahls
Grundſaͤtzen denken, und jede Veraͤnderung in dem Koͤr-
per des lebenden Thiers fuͤr eine wahre thieriſche Ver-
aͤnderung anſehen, woran die Seele als fuͤhlendes, und
der Koͤrper als bewegendes, Weſen einigen Antheil habe:
ſo iſt ſo viel offenbar, daß die Beywirkung der Seele
bey denen Veraͤnderungen, die wir fuͤr die unwillkuͤr-
lichſten halten, ſehr eingeſchraͤnkt und unbedeutend ſeyn
muͤſſe. Man kann alſo den Beytrag der Seele allen-
falls nur als einen ſolchen anſehen, der in der Theorie
zwar als wirklich vorhanden angenommen werden muͤſſe,
aber in der Anwendung fuͤr nichts geachtet werden koͤn-
ne. Die Seele iſt bey ihnen, wenn ſie ſolche fuͤhlt und
erkennet, bloß Zuſchauerin und hoͤchſtens nichts mehr,
als was die Seele in dem Gehirn nach der Bonneti-
ſchen Hypotheſe iſt, die in einigen Faͤllen das Vermoͤ-
gen beſitzet, die ſinnlichen Bewegungen in den Fibern,
welche ſich ſelbſt aneinander reihen, zu verſtaͤrken und
zu ſchwaͤchen. Aber dazu iſt die Seele nicht faͤhig, daß
ſie ſolche von neuem aus ſich bewirken, oder die Ord-
nung, in der ſie nach der Struktur des Koͤrpers erfol-
gen, auf eine andere Art umaͤndern koͤnnte, als inſo-
ferne
X 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/353>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.