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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
Glied der ganzen Reihe mitwirket, dennoch davon die
Ursache nicht ist, daß gerade eine solche Bewegung auf
einen solchen Eindruck erfolget. Diese letztere Verbin-
dung hängt allein von dem Zusammenhange der Nerven,
und von der Organisation ab. Auf diese Art stellen wir
uns wenigstens die Verbindung in solchen Reihen vor,
die von der Willkür der Seele unabhängig sind. Daß
es aber in dem Menschen dergleichen bloß organische
Reihen gebe, oder doch solche, die ihnen nahe kommen,
wird sich aus dem folgenden offenbaren.

Jhr zweeter Charakter ist dieser: Sie sind nur be-
stimmt in Hinsicht der Art der Bewegung und
der Art und Weise der Aktion, welche erfolget, nicht
aber in Hinsicht des äußern Gegenstandes, wor-
auf die Aktion gerichtet wird. Die durch organische
Kräfte bestimmten Bewegungen können weiter durch
ihre körperlichen Ursachen nicht bestimmt seyn, als nur
insoferne, daß in gewissen Theilen des Körpers ge-
wisse Bestrebungen und Bewegungen erfolgen; nicht
dahin, daß diese besonders auf ein gewisses Objekt ge-
richtet sind. Alle organische Handlungen sind also nur
der Form nach
bestimmt, das ist, in so weit sie in ge-
wissen Thätigkeitsarten und Kraftäußerungen bestehen.
Ein hitziger Kopf wird auf der Gasse an den Arm ge-
stoßen; er fährt auf, und greift nach seinem Degen.
Er würde unter andern Umständen einen Stock oder
eine Peitsche ergriffen haben, da seine Bewegung nach
dem Degen, als einem besondern Werkzeuge seiner Rache,
durch die entstandene Leidenschaft, und die dadurch er-
regte organische Aktion des Körpers nicht bestimmt seyn
konnte. Hiezu, daß seine Bewegung nach dem Degen
gieng, war eine Jdee in der Seele nothwendig, die
sich zu dem Hange sich zu vertheidigen gesellen mußte.
Also giebt es in dieser Handlung eine Reihe von Ver-
änderungen, die nicht gänzlich zu den organischen ge-

hören

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Glied der ganzen Reihe mitwirket, dennoch davon die
Urſache nicht iſt, daß gerade eine ſolche Bewegung auf
einen ſolchen Eindruck erfolget. Dieſe letztere Verbin-
dung haͤngt allein von dem Zuſammenhange der Nerven,
und von der Organiſation ab. Auf dieſe Art ſtellen wir
uns wenigſtens die Verbindung in ſolchen Reihen vor,
die von der Willkuͤr der Seele unabhaͤngig ſind. Daß
es aber in dem Menſchen dergleichen bloß organiſche
Reihen gebe, oder doch ſolche, die ihnen nahe kommen,
wird ſich aus dem folgenden offenbaren.

Jhr zweeter Charakter iſt dieſer: Sie ſind nur be-
ſtimmt in Hinſicht der Art der Bewegung und
der Art und Weiſe der Aktion, welche erfolget, nicht
aber in Hinſicht des aͤußern Gegenſtandes, wor-
auf die Aktion gerichtet wird. Die durch organiſche
Kraͤfte beſtimmten Bewegungen koͤnnen weiter durch
ihre koͤrperlichen Urſachen nicht beſtimmt ſeyn, als nur
inſoferne, daß in gewiſſen Theilen des Koͤrpers ge-
wiſſe Beſtrebungen und Bewegungen erfolgen; nicht
dahin, daß dieſe beſonders auf ein gewiſſes Objekt ge-
richtet ſind. Alle organiſche Handlungen ſind alſo nur
der Form nach
beſtimmt, das iſt, in ſo weit ſie in ge-
wiſſen Thaͤtigkeitsarten und Kraftaͤußerungen beſtehen.
Ein hitziger Kopf wird auf der Gaſſe an den Arm ge-
ſtoßen; er faͤhrt auf, und greift nach ſeinem Degen.
Er wuͤrde unter andern Umſtaͤnden einen Stock oder
eine Peitſche ergriffen haben, da ſeine Bewegung nach
dem Degen, als einem beſondern Werkzeuge ſeiner Rache,
durch die entſtandene Leidenſchaft, und die dadurch er-
regte organiſche Aktion des Koͤrpers nicht beſtimmt ſeyn
konnte. Hiezu, daß ſeine Bewegung nach dem Degen
gieng, war eine Jdee in der Seele nothwendig, die
ſich zu dem Hange ſich zu vertheidigen geſellen mußte.
Alſo giebt es in dieſer Handlung eine Reihe von Ver-
aͤnderungen, die nicht gaͤnzlich zu den organiſchen ge-

hoͤren
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[322/0352] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen Glied der ganzen Reihe mitwirket, dennoch davon die Urſache nicht iſt, daß gerade eine ſolche Bewegung auf einen ſolchen Eindruck erfolget. Dieſe letztere Verbin- dung haͤngt allein von dem Zuſammenhange der Nerven, und von der Organiſation ab. Auf dieſe Art ſtellen wir uns wenigſtens die Verbindung in ſolchen Reihen vor, die von der Willkuͤr der Seele unabhaͤngig ſind. Daß es aber in dem Menſchen dergleichen bloß organiſche Reihen gebe, oder doch ſolche, die ihnen nahe kommen, wird ſich aus dem folgenden offenbaren. Jhr zweeter Charakter iſt dieſer: Sie ſind nur be- ſtimmt in Hinſicht der Art der Bewegung und der Art und Weiſe der Aktion, welche erfolget, nicht aber in Hinſicht des aͤußern Gegenſtandes, wor- auf die Aktion gerichtet wird. Die durch organiſche Kraͤfte beſtimmten Bewegungen koͤnnen weiter durch ihre koͤrperlichen Urſachen nicht beſtimmt ſeyn, als nur inſoferne, daß in gewiſſen Theilen des Koͤrpers ge- wiſſe Beſtrebungen und Bewegungen erfolgen; nicht dahin, daß dieſe beſonders auf ein gewiſſes Objekt ge- richtet ſind. Alle organiſche Handlungen ſind alſo nur der Form nach beſtimmt, das iſt, in ſo weit ſie in ge- wiſſen Thaͤtigkeitsarten und Kraftaͤußerungen beſtehen. Ein hitziger Kopf wird auf der Gaſſe an den Arm ge- ſtoßen; er faͤhrt auf, und greift nach ſeinem Degen. Er wuͤrde unter andern Umſtaͤnden einen Stock oder eine Peitſche ergriffen haben, da ſeine Bewegung nach dem Degen, als einem beſondern Werkzeuge ſeiner Rache, durch die entſtandene Leidenſchaft, und die dadurch er- regte organiſche Aktion des Koͤrpers nicht beſtimmt ſeyn konnte. Hiezu, daß ſeine Bewegung nach dem Degen gieng, war eine Jdee in der Seele nothwendig, die ſich zu dem Hange ſich zu vertheidigen geſellen mußte. Alſo giebt es in dieſer Handlung eine Reihe von Ver- aͤnderungen, die nicht gaͤnzlich zu den organiſchen ge- hoͤren

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/352>, abgerufen am 22.11.2024.