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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
gen davon. Den Grillen nimmt man den Kopf ab,
und dennoch locken sie durch das Schwirren ihrer Flü-
gel einander zur Begattung, und gewisse Schmetterlin-
ge sollen sich sogar, einer ähnlichen Beraubung unerach-
tet, wirklich begatten, wenn sie nur vorhero, welcher
Umstand hier wohl zu bemerken ist, dergleichen schon
mehrmalen in dem Leben verrichtet, und also dieser
Handlung gewohnt sind. Wenn der Kopf des Thiers
fehlt, so fehlet auch der Zusammenhang zwischen dem
ersten Eindruck und den herausgehenden Bewegungen,
der in dem Kopfe und in der Seele seyn konnte; und da
dennoch die Verbindung nicht gänzlich aufhöret, so ist
es offenbar, daß außer dem Gehirn in dem organischen
Körper und in den Nerven ein Konduktor vorhanden
seyn müsse, durch welchen die Reihe von Eindrücken und
Bewegungen fortgepflanzet werden.

Dagegen giebt es eine Menge von Beyspielen, daß
auf eine lebhafte Einbildung und auf das damit verbun-
dene Wollen der Seele, ohne einen vorhergegangenen
körperlichen Eindruck, solche Bewegungen in dem thie-
rischen Körper erfolgen, die sonsten nur entstehen, wenn
ein sie bewirkender Eindruck von außen vorhanden ist.
Hieher gehören fast alle Wirkungen der Einbildungs-
kraft, wovon die Aerzte so viele besondere Erfahrungen
haben. So hat z. B. jemanden geträumet, daß er
ein Purgirmittel eingenommen; und es ist entstanden,
was sonsten nur von der Arzney gewirket wird. Ein
anderer hat Brod in Gestalt der Pillen genommen, wo-
mit ihn der Arzt hintergangen hatte; und es ist eine
Ausleerung erfolget auf eine solche Art, wie wahre Pil-
len sie hervorgebracht hätten. Diese letzte Erfahrung
ist hier noch mehr entscheidend, als die vorhergehende.
Denn bey jener konnte es etwas zweifelhaft seyn, ob die
Vorstellung im Traume die wahre Ursache von der kör-
perlichen Bewegung gewesen, sondern nicht vielmehr

nur
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im Menſchen.
gen davon. Den Grillen nimmt man den Kopf ab,
und dennoch locken ſie durch das Schwirren ihrer Fluͤ-
gel einander zur Begattung, und gewiſſe Schmetterlin-
ge ſollen ſich ſogar, einer aͤhnlichen Beraubung unerach-
tet, wirklich begatten, wenn ſie nur vorhero, welcher
Umſtand hier wohl zu bemerken iſt, dergleichen ſchon
mehrmalen in dem Leben verrichtet, und alſo dieſer
Handlung gewohnt ſind. Wenn der Kopf des Thiers
fehlt, ſo fehlet auch der Zuſammenhang zwiſchen dem
erſten Eindruck und den herausgehenden Bewegungen,
der in dem Kopfe und in der Seele ſeyn konnte; und da
dennoch die Verbindung nicht gaͤnzlich aufhoͤret, ſo iſt
es offenbar, daß außer dem Gehirn in dem organiſchen
Koͤrper und in den Nerven ein Konduktor vorhanden
ſeyn muͤſſe, durch welchen die Reihe von Eindruͤcken und
Bewegungen fortgepflanzet werden.

Dagegen giebt es eine Menge von Beyſpielen, daß
auf eine lebhafte Einbildung und auf das damit verbun-
dene Wollen der Seele, ohne einen vorhergegangenen
koͤrperlichen Eindruck, ſolche Bewegungen in dem thie-
riſchen Koͤrper erfolgen, die ſonſten nur entſtehen, wenn
ein ſie bewirkender Eindruck von außen vorhanden iſt.
Hieher gehoͤren faſt alle Wirkungen der Einbildungs-
kraft, wovon die Aerzte ſo viele beſondere Erfahrungen
haben. So hat z. B. jemanden getraͤumet, daß er
ein Purgirmittel eingenommen; und es iſt entſtanden,
was ſonſten nur von der Arzney gewirket wird. Ein
anderer hat Brod in Geſtalt der Pillen genommen, wo-
mit ihn der Arzt hintergangen hatte; und es iſt eine
Ausleerung erfolget auf eine ſolche Art, wie wahre Pil-
len ſie hervorgebracht haͤtten. Dieſe letzte Erfahrung
iſt hier noch mehr entſcheidend, als die vorhergehende.
Denn bey jener konnte es etwas zweifelhaft ſeyn, ob die
Vorſtellung im Traume die wahre Urſache von der koͤr-
perlichen Bewegung geweſen, ſondern nicht vielmehr

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[311/0341] im Menſchen. gen davon. Den Grillen nimmt man den Kopf ab, und dennoch locken ſie durch das Schwirren ihrer Fluͤ- gel einander zur Begattung, und gewiſſe Schmetterlin- ge ſollen ſich ſogar, einer aͤhnlichen Beraubung unerach- tet, wirklich begatten, wenn ſie nur vorhero, welcher Umſtand hier wohl zu bemerken iſt, dergleichen ſchon mehrmalen in dem Leben verrichtet, und alſo dieſer Handlung gewohnt ſind. Wenn der Kopf des Thiers fehlt, ſo fehlet auch der Zuſammenhang zwiſchen dem erſten Eindruck und den herausgehenden Bewegungen, der in dem Kopfe und in der Seele ſeyn konnte; und da dennoch die Verbindung nicht gaͤnzlich aufhoͤret, ſo iſt es offenbar, daß außer dem Gehirn in dem organiſchen Koͤrper und in den Nerven ein Konduktor vorhanden ſeyn muͤſſe, durch welchen die Reihe von Eindruͤcken und Bewegungen fortgepflanzet werden. Dagegen giebt es eine Menge von Beyſpielen, daß auf eine lebhafte Einbildung und auf das damit verbun- dene Wollen der Seele, ohne einen vorhergegangenen koͤrperlichen Eindruck, ſolche Bewegungen in dem thie- riſchen Koͤrper erfolgen, die ſonſten nur entſtehen, wenn ein ſie bewirkender Eindruck von außen vorhanden iſt. Hieher gehoͤren faſt alle Wirkungen der Einbildungs- kraft, wovon die Aerzte ſo viele beſondere Erfahrungen haben. So hat z. B. jemanden getraͤumet, daß er ein Purgirmittel eingenommen; und es iſt entſtanden, was ſonſten nur von der Arzney gewirket wird. Ein anderer hat Brod in Geſtalt der Pillen genommen, wo- mit ihn der Arzt hintergangen hatte; und es iſt eine Ausleerung erfolget auf eine ſolche Art, wie wahre Pil- len ſie hervorgebracht haͤtten. Dieſe letzte Erfahrung iſt hier noch mehr entſcheidend, als die vorhergehende. Denn bey jener konnte es etwas zweifelhaft ſeyn, ob die Vorſtellung im Traume die wahre Urſache von der koͤr- perlichen Bewegung geweſen, ſondern nicht vielmehr nur U 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/341>, abgerufen am 24.11.2024.