Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen auf die Reproduktionen und auf den Zustand des Kör-pers, die das letztere bestätigen. Man hat Beyspiele, daß eine starke Seele, die sich zu fassen weis, so gar die aus einer Krankheit entspringenden Unordnungen der Phantasie bis auf einen gewissen Grad bezähmen und mäßigen kann. *) Die Wirkungen, die wir davon er- fahren, wenn die Seele sich selbstthätig begreift, und die Macht, womit sie alsdenn Jdeen hervorzieht, wel- che denen entgegen sind, die das Gehirn ihr darstellet, und die Reihen von neuen Vorstellungen, die wir dar- um, weil wir standhaft wollen, in uns hervorbringen und unterhalten: dieß alles sind eben so viele Data, die uns in gleicher Maße auf den Gedanken führen, die Seele müsse ihre einmal empfangenen Modifikationen aus sich selbst erneuern und alsdenn die entsprechende, materielle Jdee durch ihre Aktion aufs Gehirn hervor- ziehen können, als umgekehrt die Macht der Phantasie über uns auf eine wiederschwingende Kraft des Gehirns hinweiset. Es gehört nicht viel Umsuchens dazu, um jeder Art von Beyspielen, welche das letztere wahr- schein- *) Wilhelm der Dritte, Prinz von Oranien ward 1675
mit gefährlichen Blattern befallen, in welcher Krank- heit sein Vater das Leben verloren hatte. Der Prinz überstand sie, und man schrieb dieß besonders seiner Standhaftigkeit und Geistesstärke zu, wodurch er die Verirrung des Verstandes abhielt, die in dieser, wie vielleicht in allen andern Krankheiten, sehr viel schlim- me Folgen hat. (Toze Geschichte der vereinigten Niederlande; 10. B. S. 891.) An sich ist die Sache nicht unmöglich; und da derselbige Prinz bey andern Gelegenheiten eine so große Selbstmacht über sich bewie- sen hat, so ist es wahrscheinlich, daß dieß Lob der Ge- schichte keine Schmeicheley sey. Ueberhaupt hat das Haus Oranien eine ganze Reihe von Fürsten hervorge- bracht, die sich als Menschen durch eine bewunderns- würdige Seelengröße auszeichneten. XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen auf die Reproduktionen und auf den Zuſtand des Koͤr-pers, die das letztere beſtaͤtigen. Man hat Beyſpiele, daß eine ſtarke Seele, die ſich zu faſſen weis, ſo gar die aus einer Krankheit entſpringenden Unordnungen der Phantaſie bis auf einen gewiſſen Grad bezaͤhmen und maͤßigen kann. *) Die Wirkungen, die wir davon er- fahren, wenn die Seele ſich ſelbſtthaͤtig begreift, und die Macht, womit ſie alsdenn Jdeen hervorzieht, wel- che denen entgegen ſind, die das Gehirn ihr darſtellet, und die Reihen von neuen Vorſtellungen, die wir dar- um, weil wir ſtandhaft wollen, in uns hervorbringen und unterhalten: dieß alles ſind eben ſo viele Data, die uns in gleicher Maße auf den Gedanken fuͤhren, die Seele muͤſſe ihre einmal empfangenen Modifikationen aus ſich ſelbſt erneuern und alsdenn die entſprechende, materielle Jdee durch ihre Aktion aufs Gehirn hervor- ziehen koͤnnen, als umgekehrt die Macht der Phantaſie uͤber uns auf eine wiederſchwingende Kraft des Gehirns hinweiſet. Es gehoͤrt nicht viel Umſuchens dazu, um jeder Art von Beyſpielen, welche das letztere wahr- ſchein- *) Wilhelm der Dritte, Prinz von Oranien ward 1675
mit gefaͤhrlichen Blattern befallen, in welcher Krank- heit ſein Vater das Leben verloren hatte. Der Prinz uͤberſtand ſie, und man ſchrieb dieß beſonders ſeiner Standhaftigkeit und Geiſtesſtaͤrke zu, wodurch er die Verirrung des Verſtandes abhielt, die in dieſer, wie vielleicht in allen andern Krankheiten, ſehr viel ſchlim- me Folgen hat. (Toze Geſchichte der vereinigten Niederlande; 10. B. S. 891.) An ſich iſt die Sache nicht unmoͤglich; und da derſelbige Prinz bey andern Gelegenheiten eine ſo große Selbſtmacht uͤber ſich bewie- ſen hat, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß dieß Lob der Ge- ſchichte keine Schmeicheley ſey. Ueberhaupt hat das Haus Oranien eine ganze Reihe von Fuͤrſten hervorge- bracht, die ſich als Menſchen durch eine bewunderns- wuͤrdige Seelengroͤße auszeichneten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0324" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Verſuch. Ueber das Seelenweſen</hi></fw><lb/> auf die Reproduktionen und auf den Zuſtand des Koͤr-<lb/> pers, die das letztere beſtaͤtigen. Man hat Beyſpiele,<lb/> daß eine ſtarke Seele, die ſich zu faſſen weis, ſo gar<lb/> die aus einer Krankheit entſpringenden Unordnungen der<lb/> Phantaſie bis auf einen gewiſſen Grad bezaͤhmen und<lb/> maͤßigen kann. <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#fr">Wilhelm der Dritte,</hi> Prinz von Oranien ward 1675<lb/> mit gefaͤhrlichen Blattern befallen, in welcher Krank-<lb/> heit ſein Vater das Leben verloren hatte. Der Prinz<lb/> uͤberſtand ſie, und man ſchrieb dieß beſonders ſeiner<lb/> Standhaftigkeit und Geiſtesſtaͤrke zu, wodurch er die<lb/> Verirrung des Verſtandes abhielt, die in dieſer, wie<lb/> vielleicht in allen andern Krankheiten, ſehr viel ſchlim-<lb/> me Folgen hat. (<hi rendition="#fr">Toze Geſchichte der vereinigten<lb/> Niederlande;</hi> 10. B. S. 891.) An ſich iſt die Sache<lb/> nicht unmoͤglich; und da derſelbige Prinz bey andern<lb/> Gelegenheiten eine ſo große Selbſtmacht uͤber ſich bewie-<lb/> ſen hat, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß dieß Lob der Ge-<lb/> ſchichte keine Schmeicheley ſey. Ueberhaupt hat das<lb/> Haus Oranien eine ganze Reihe von Fuͤrſten hervorge-<lb/> bracht, die ſich als Menſchen durch eine bewunderns-<lb/> wuͤrdige Seelengroͤße auszeichneten.</note> Die Wirkungen, die wir davon er-<lb/> fahren, wenn die Seele ſich ſelbſtthaͤtig begreift, und<lb/> die Macht, womit ſie alsdenn Jdeen hervorzieht, wel-<lb/> che denen entgegen ſind, die das Gehirn ihr darſtellet,<lb/> und die Reihen von neuen Vorſtellungen, die wir dar-<lb/> um, weil wir ſtandhaft wollen, in uns hervorbringen<lb/> und unterhalten: dieß alles ſind eben ſo viele Data, die<lb/> uns in gleicher Maße auf den Gedanken fuͤhren, die<lb/> Seele muͤſſe ihre einmal empfangenen Modifikationen<lb/> aus ſich ſelbſt erneuern und alsdenn die entſprechende,<lb/> materielle Jdee durch ihre Aktion aufs Gehirn hervor-<lb/> ziehen koͤnnen, als umgekehrt die Macht der Phantaſie<lb/> uͤber uns auf eine wiederſchwingende Kraft des Gehirns<lb/> hinweiſet. Es gehoͤrt nicht viel Umſuchens dazu, um<lb/> jeder Art von Beyſpielen, welche das letztere wahr-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſchein-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [294/0324]
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
auf die Reproduktionen und auf den Zuſtand des Koͤr-
pers, die das letztere beſtaͤtigen. Man hat Beyſpiele,
daß eine ſtarke Seele, die ſich zu faſſen weis, ſo gar
die aus einer Krankheit entſpringenden Unordnungen der
Phantaſie bis auf einen gewiſſen Grad bezaͤhmen und
maͤßigen kann. *) Die Wirkungen, die wir davon er-
fahren, wenn die Seele ſich ſelbſtthaͤtig begreift, und
die Macht, womit ſie alsdenn Jdeen hervorzieht, wel-
che denen entgegen ſind, die das Gehirn ihr darſtellet,
und die Reihen von neuen Vorſtellungen, die wir dar-
um, weil wir ſtandhaft wollen, in uns hervorbringen
und unterhalten: dieß alles ſind eben ſo viele Data, die
uns in gleicher Maße auf den Gedanken fuͤhren, die
Seele muͤſſe ihre einmal empfangenen Modifikationen
aus ſich ſelbſt erneuern und alsdenn die entſprechende,
materielle Jdee durch ihre Aktion aufs Gehirn hervor-
ziehen koͤnnen, als umgekehrt die Macht der Phantaſie
uͤber uns auf eine wiederſchwingende Kraft des Gehirns
hinweiſet. Es gehoͤrt nicht viel Umſuchens dazu, um
jeder Art von Beyſpielen, welche das letztere wahr-
ſchein-
*) Wilhelm der Dritte, Prinz von Oranien ward 1675
mit gefaͤhrlichen Blattern befallen, in welcher Krank-
heit ſein Vater das Leben verloren hatte. Der Prinz
uͤberſtand ſie, und man ſchrieb dieß beſonders ſeiner
Standhaftigkeit und Geiſtesſtaͤrke zu, wodurch er die
Verirrung des Verſtandes abhielt, die in dieſer, wie
vielleicht in allen andern Krankheiten, ſehr viel ſchlim-
me Folgen hat. (Toze Geſchichte der vereinigten
Niederlande; 10. B. S. 891.) An ſich iſt die Sache
nicht unmoͤglich; und da derſelbige Prinz bey andern
Gelegenheiten eine ſo große Selbſtmacht uͤber ſich bewie-
ſen hat, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß dieß Lob der Ge-
ſchichte keine Schmeicheley ſey. Ueberhaupt hat das
Haus Oranien eine ganze Reihe von Fuͤrſten hervorge-
bracht, die ſich als Menſchen durch eine bewunderns-
wuͤrdige Seelengroͤße auszeichneten.
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