hin, daß sie als eine gegenwärtige Vorstellung in der Seele erscheine?
Allein man kann auch gerne zugeben, daß die Jm- pression von der Rose, wenn diese empfunden wird, die ehemalige Jmpression von der Nelke erneuere. Jn diesem Fall würde doch die letztere auf die erstere eine so schwa- che Beziehung haben, als eine Einbildung auf eine Empfindung ist. Sollte also jene diese in etwas modi- ficiren, wie eine kleine Seitenbewegung in einem Kör- per eine andere stärkere abändert, so könnte ihr Einfluß doch nicht größer seyn, als es ihre eigene Stärke er- laubet; und alsdenn möchte dieser Einfluß, wenn die Einbildung von der Rose nur nicht noch eine wahre Nachempfindung, oder doch sehr lebhaft ist, so unbe- deutend geringe seyn, daß man ihn nicht bemerken kann. Die folgende Empfindung von der Nelke, könnte als eine ganz reine Empfindung von der Nelke sich darstel- len. So würde die Jmpression von der Nelke ihre ei- gene Natur und ihre eigenen Folgen in uns haben, und sich wie ein eigener verschiedener sinnlicher Eindruck in derselbigen Fiber festsetzen, in der sich der Eindruck von der Rose schon vorher festgesetzet hatte. Jst aber dieß einmal geschehen, warum sollte nicht eine jede derselben auch auf die ihr eigene Art, bey der Abwesenheit der Objekte erneuret, und als eine besondere Phantasie in uns reproduciret werden können, ohne sich mit der an- dern zu vermischen?
Sehen wir auf das, was wirklich geschieht, wenn wir unmittelbar nach der Rose auch die Nelke vor die Nase halten, so zeiget sich eine Wirkung, die der bon- netischen Jdee, daß es zwo verschiedene Fibern sind, welche von diesen Eindrücken gerührt werden, fast mehr entgegen ist, als sie bestätiget. Die vorhergegan- gene Empfindung modificiret die nachfolgende, und modificiret sie so sehr, daß der Duft der Nelke nicht so
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im Menſchen.
hin, daß ſie als eine gegenwaͤrtige Vorſtellung in der Seele erſcheine?
Allein man kann auch gerne zugeben, daß die Jm- preſſion von der Roſe, wenn dieſe empfunden wird, die ehemalige Jmpreſſion von der Nelke erneuere. Jn dieſem Fall wuͤrde doch die letztere auf die erſtere eine ſo ſchwa- che Beziehung haben, als eine Einbildung auf eine Empfindung iſt. Sollte alſo jene dieſe in etwas modi- ficiren, wie eine kleine Seitenbewegung in einem Koͤr- per eine andere ſtaͤrkere abaͤndert, ſo koͤnnte ihr Einfluß doch nicht groͤßer ſeyn, als es ihre eigene Staͤrke er- laubet; und alsdenn moͤchte dieſer Einfluß, wenn die Einbildung von der Roſe nur nicht noch eine wahre Nachempfindung, oder doch ſehr lebhaft iſt, ſo unbe- deutend geringe ſeyn, daß man ihn nicht bemerken kann. Die folgende Empfindung von der Nelke, koͤnnte als eine ganz reine Empfindung von der Nelke ſich darſtel- len. So wuͤrde die Jmpreſſion von der Nelke ihre ei- gene Natur und ihre eigenen Folgen in uns haben, und ſich wie ein eigener verſchiedener ſinnlicher Eindruck in derſelbigen Fiber feſtſetzen, in der ſich der Eindruck von der Roſe ſchon vorher feſtgeſetzet hatte. Jſt aber dieß einmal geſchehen, warum ſollte nicht eine jede derſelben auch auf die ihr eigene Art, bey der Abweſenheit der Objekte erneuret, und als eine beſondere Phantaſie in uns reproduciret werden koͤnnen, ohne ſich mit der an- dern zu vermiſchen?
Sehen wir auf das, was wirklich geſchieht, wenn wir unmittelbar nach der Roſe auch die Nelke vor die Naſe halten, ſo zeiget ſich eine Wirkung, die der bon- netiſchen Jdee, daß es zwo verſchiedene Fibern ſind, welche von dieſen Eindruͤcken geruͤhrt werden, faſt mehr entgegen iſt, als ſie beſtaͤtiget. Die vorhergegan- gene Empfindung modificiret die nachfolgende, und modificiret ſie ſo ſehr, daß der Duft der Nelke nicht ſo
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hin, daß ſie als eine gegenwaͤrtige Vorſtellung in der Seele
erſcheine?
Allein man kann auch gerne zugeben, daß die Jm-
preſſion von der Roſe, wenn dieſe empfunden wird, die
ehemalige Jmpreſſion von der Nelke erneuere. Jn dieſem
Fall wuͤrde doch die letztere auf die erſtere eine ſo ſchwa-
che Beziehung haben, als eine Einbildung auf eine
Empfindung iſt. Sollte alſo jene dieſe in etwas modi-
ficiren, wie eine kleine Seitenbewegung in einem Koͤr-
per eine andere ſtaͤrkere abaͤndert, ſo koͤnnte ihr Einfluß
doch nicht groͤßer ſeyn, als es ihre eigene Staͤrke er-
laubet; und alsdenn moͤchte dieſer Einfluß, wenn die
Einbildung von der Roſe nur nicht noch eine wahre
Nachempfindung, oder doch ſehr lebhaft iſt, ſo unbe-
deutend geringe ſeyn, daß man ihn nicht bemerken kann.
Die folgende Empfindung von der Nelke, koͤnnte als
eine ganz reine Empfindung von der Nelke ſich darſtel-
len. So wuͤrde die Jmpreſſion von der Nelke ihre ei-
gene Natur und ihre eigenen Folgen in uns haben, und
ſich wie ein eigener verſchiedener ſinnlicher Eindruck in
derſelbigen Fiber feſtſetzen, in der ſich der Eindruck von
der Roſe ſchon vorher feſtgeſetzet hatte. Jſt aber dieß
einmal geſchehen, warum ſollte nicht eine jede derſelben
auch auf die ihr eigene Art, bey der Abweſenheit der
Objekte erneuret, und als eine beſondere Phantaſie in
uns reproduciret werden koͤnnen, ohne ſich mit der an-
dern zu vermiſchen?
Sehen wir auf das, was wirklich geſchieht, wenn
wir unmittelbar nach der Roſe auch die Nelke vor die
Naſe halten, ſo zeiget ſich eine Wirkung, die der bon-
netiſchen Jdee, daß es zwo verſchiedene Fibern ſind,
welche von dieſen Eindruͤcken geruͤhrt werden, faſt mehr
entgegen iſt, als ſie beſtaͤtiget. Die vorhergegan-
gene Empfindung modificiret die nachfolgende, und
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/291>, abgerufen am 24.11.2024.
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