hirns doch nicht ganz unthätig. Sie besitzet die Kraft, eine gegenwärtige Vorstellung zu unterhalten, oder auf eine andere fortzugehen. Dadurch kann sie ihren gegenwärtigen Zustand selbstthätig fortsetzen, wenn sie die dazu gehörige sinnliche Gehirnsbewegung unterhält; und dieß geschieht, so oft wir die Aufmerksamkeit auf eine Vorstellung verwenden, oder mit andern Worten, so oft die Seele in einem höhern Grade mit ihrer Aktivi- tät auf die in Bewegung gebrachte Fiber zurückwirket. Eben so kann sie eine Vorstellung vorübergehen lassen, wenn sie ihre Kraft von der bewegten Fiber abziehet, und auf eine andre anwendet.
Es geschieht das eine oder das andere, je nachdem ihre gegenwärtige Modifikation ihr gefällt oder miß- fällt. Diese Affektion hänget aber von einem gewissen Verhältniß zwischen der Größe der Bewegung und der Beschaffenhenheit der Fiber ab, welche beweget wird. Jst das Verhältniß der Bewegung zu der Kraft der Fiber so, daß jene dieser angemessen ist, oder die Fiber weder stärker noch schwächer erschüttert wird, als die Verbindung ihrer Theile und ihre Nervenkraft es ver- tragen kann, ohne übermäßig gespannt zu werden: so ist solch eine Bewegung ihr angemessen, und die daraus entstehende Empfindniß ist angenehm. Mehr oder Weniger, als dieses Maß gehet, macht die Bewe- gung unangenehm, und verursachet entweder Schmer- zen oder Langeweile.
Aber jedwede sinnliche Bewegung, die durch die Thätigkeit der Seele unterhalten wird, erreget zugleich eine Menge von sinnlichen Bewegungen in andern Fi- bern; -- vorausgesetzt, daß die Leichtigkeiten dazu ih- nen schon in vorhergegangenen Empfindungen beyge- bracht sind, und daß zwischen diesen und jenen mittel- bar oder unmittelbar eine Verbindung nach dem Gesetz der Association zu Stande gebracht ist. Daher kann
auch
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
hirns doch nicht ganz unthaͤtig. Sie beſitzet die Kraft, eine gegenwaͤrtige Vorſtellung zu unterhalten, oder auf eine andere fortzugehen. Dadurch kann ſie ihren gegenwaͤrtigen Zuſtand ſelbſtthaͤtig fortſetzen, wenn ſie die dazu gehoͤrige ſinnliche Gehirnsbewegung unterhaͤlt; und dieß geſchieht, ſo oft wir die Aufmerkſamkeit auf eine Vorſtellung verwenden, oder mit andern Worten, ſo oft die Seele in einem hoͤhern Grade mit ihrer Aktivi- taͤt auf die in Bewegung gebrachte Fiber zuruͤckwirket. Eben ſo kann ſie eine Vorſtellung voruͤbergehen laſſen, wenn ſie ihre Kraft von der bewegten Fiber abziehet, und auf eine andre anwendet.
Es geſchieht das eine oder das andere, je nachdem ihre gegenwaͤrtige Modifikation ihr gefaͤllt oder miß- faͤllt. Dieſe Affektion haͤnget aber von einem gewiſſen Verhaͤltniß zwiſchen der Groͤße der Bewegung und der Beſchaffenhenheit der Fiber ab, welche beweget wird. Jſt das Verhaͤltniß der Bewegung zu der Kraft der Fiber ſo, daß jene dieſer angemeſſen iſt, oder die Fiber weder ſtaͤrker noch ſchwaͤcher erſchuͤttert wird, als die Verbindung ihrer Theile und ihre Nervenkraft es ver- tragen kann, ohne uͤbermaͤßig geſpannt zu werden: ſo iſt ſolch eine Bewegung ihr angemeſſen, und die daraus entſtehende Empfindniß iſt angenehm. Mehr oder Weniger, als dieſes Maß gehet, macht die Bewe- gung unangenehm, und verurſachet entweder Schmer- zen oder Langeweile.
Aber jedwede ſinnliche Bewegung, die durch die Thaͤtigkeit der Seele unterhalten wird, erreget zugleich eine Menge von ſinnlichen Bewegungen in andern Fi- bern; — vorausgeſetzt, daß die Leichtigkeiten dazu ih- nen ſchon in vorhergegangenen Empfindungen beyge- bracht ſind, und daß zwiſchen dieſen und jenen mittel- bar oder unmittelbar eine Verbindung nach dem Geſetz der Aſſociation zu Stande gebracht iſt. Daher kann
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
hirns doch nicht ganz unthaͤtig. Sie beſitzet die Kraft,
eine gegenwaͤrtige Vorſtellung zu unterhalten, oder
auf eine andere fortzugehen. Dadurch kann ſie ihren
gegenwaͤrtigen Zuſtand ſelbſtthaͤtig fortſetzen, wenn ſie
die dazu gehoͤrige ſinnliche Gehirnsbewegung unterhaͤlt;
und dieß geſchieht, ſo oft wir die Aufmerkſamkeit auf
eine Vorſtellung verwenden, oder mit andern Worten,
ſo oft die Seele in einem hoͤhern Grade mit ihrer Aktivi-
taͤt auf die in Bewegung gebrachte Fiber zuruͤckwirket.
Eben ſo kann ſie eine Vorſtellung voruͤbergehen laſſen,
wenn ſie ihre Kraft von der bewegten Fiber abziehet,
und auf eine andre anwendet.
Es geſchieht das eine oder das andere, je nachdem
ihre gegenwaͤrtige Modifikation ihr gefaͤllt oder miß-
faͤllt. Dieſe Affektion haͤnget aber von einem gewiſſen
Verhaͤltniß zwiſchen der Groͤße der Bewegung und der
Beſchaffenhenheit der Fiber ab, welche beweget wird.
Jſt das Verhaͤltniß der Bewegung zu der Kraft der
Fiber ſo, daß jene dieſer angemeſſen iſt, oder die Fiber
weder ſtaͤrker noch ſchwaͤcher erſchuͤttert wird, als die
Verbindung ihrer Theile und ihre Nervenkraft es ver-
tragen kann, ohne uͤbermaͤßig geſpannt zu werden: ſo
iſt ſolch eine Bewegung ihr angemeſſen, und die daraus
entſtehende Empfindniß iſt angenehm. Mehr oder
Weniger, als dieſes Maß gehet, macht die Bewe-
gung unangenehm, und verurſachet entweder Schmer-
zen oder Langeweile.
Aber jedwede ſinnliche Bewegung, die durch die
Thaͤtigkeit der Seele unterhalten wird, erreget zugleich
eine Menge von ſinnlichen Bewegungen in andern Fi-
bern; — vorausgeſetzt, daß die Leichtigkeiten dazu ih-
nen ſchon in vorhergegangenen Empfindungen beyge-
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bar oder unmittelbar eine Verbindung nach dem Geſetz
der Aſſociation zu Stande gebracht iſt. Daher kann
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/274>, abgerufen am 24.11.2024.
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