innere Materie aufgelöset würde, davon es, so zu sagen, die Grundeinheit ist; ob es alsdenn mehr als das Ver- mögen unter ähnlichen Umständen wiederum fühlend zu werden behalten würde, kann ich aus den vorherge- henden Schlüssen nicht so ausmachen, wie es nach der gewöhnlichen Vorstellungsart derer, die das Jch als eine substanzielle Einheit ansehen, entschieden seyn würde.
Was endlich die Natur unsers Selbstgefühls und der Vorstellungen betrifft, die wir von unsern eigenen Wirkungen haben, so können sie, nach den hier ange- stellten Raisonnements, nichts mehr als Schein seyn; so wie die unmittelbare Beobachtung uns auch nicht be- rechtiget, sie für etwas mehr anzusehen, wie ich vorher (XI, 3.) gezeigt habe. Denn wir empfinden die Aktus unsers Gefühls, und des Denkens, und des Wollens nur in ihren Wirkungen, das ist, in den Veränderungen und Folgen, die davon in dem gesammten Seelenwesen, das ist, in einem zusammengesetzten Wesen, abhangen. Diese Empfindung entstehet also auf eine ähnliche Art, wie die Empfindung eines äußerlichen körperlichen Ge- genstandes, von dem eine Jmpression auf die innern Organe vorhanden ist. Jene ist eine Empfindung in- nerer Modificationen in der Materie, die aber ihre Ur- sache, von der sie abhängt, und auf die sie als Wirkung bezogen wird, in der Aktion des Jchs, das ist, eines einfa- chen Wesens, hat, und die auch eine zusammengesetzte Aktion des einfachen Jchs selbst seyn kann. Man muß zum mindesten einsehen, daß die Psychologen es bisher nicht bewiesen haben, daß diese Vorstellung unreimlich sey. Und wenn das ist, so ist es auch offenbar, daß die zwote Empfindung von der ersten Empfindung eines äußern Objekts, und überhaupt, das Gefühl unserer eigenen Gemüthsbewegungen, unserer Denkthätigkeiten und unsers Willens, und also auch die Vorstellungen aus diesen Empfindungen in allen Hinsichten nur Er-
schei-
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
innere Materie aufgeloͤſet wuͤrde, davon es, ſo zu ſagen, die Grundeinheit iſt; ob es alsdenn mehr als das Ver- moͤgen unter aͤhnlichen Umſtaͤnden wiederum fuͤhlend zu werden behalten wuͤrde, kann ich aus den vorherge- henden Schluͤſſen nicht ſo ausmachen, wie es nach der gewoͤhnlichen Vorſtellungsart derer, die das Jch als eine ſubſtanzielle Einheit anſehen, entſchieden ſeyn wuͤrde.
Was endlich die Natur unſers Selbſtgefuͤhls und der Vorſtellungen betrifft, die wir von unſern eigenen Wirkungen haben, ſo koͤnnen ſie, nach den hier ange- ſtellten Raiſonnements, nichts mehr als Schein ſeyn; ſo wie die unmittelbare Beobachtung uns auch nicht be- rechtiget, ſie fuͤr etwas mehr anzuſehen, wie ich vorher (XI, 3.) gezeigt habe. Denn wir empfinden die Aktus unſers Gefuͤhls, und des Denkens, und des Wollens nur in ihren Wirkungen, das iſt, in den Veraͤnderungen und Folgen, die davon in dem geſammten Seelenweſen, das iſt, in einem zuſammengeſetzten Weſen, abhangen. Dieſe Empfindung entſtehet alſo auf eine aͤhnliche Art, wie die Empfindung eines aͤußerlichen koͤrperlichen Ge- genſtandes, von dem eine Jmpreſſion auf die innern Organe vorhanden iſt. Jene iſt eine Empfindung in- nerer Modificationen in der Materie, die aber ihre Ur- ſache, von der ſie abhaͤngt, und auf die ſie als Wirkung bezogen wird, in der Aktion des Jchs, das iſt, eines einfa- chen Weſens, hat, und die auch eine zuſammengeſetzte Aktion des einfachen Jchs ſelbſt ſeyn kann. Man muß zum mindeſten einſehen, daß die Pſychologen es bisher nicht bewieſen haben, daß dieſe Vorſtellung unreimlich ſey. Und wenn das iſt, ſo iſt es auch offenbar, daß die zwote Empfindung von der erſten Empfindung eines aͤußern Objekts, und uͤberhaupt, das Gefuͤhl unſerer eigenen Gemuͤthsbewegungen, unſerer Denkthaͤtigkeiten und unſers Willens, und alſo auch die Vorſtellungen aus dieſen Empfindungen in allen Hinſichten nur Er-
ſchei-
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
innere Materie aufgeloͤſet wuͤrde, davon es, ſo zu ſagen,
die Grundeinheit iſt; ob es alsdenn mehr als das Ver-
moͤgen unter aͤhnlichen Umſtaͤnden wiederum fuͤhlend
zu werden behalten wuͤrde, kann ich aus den vorherge-
henden Schluͤſſen nicht ſo ausmachen, wie es nach der
gewoͤhnlichen Vorſtellungsart derer, die das Jch als eine
ſubſtanzielle Einheit anſehen, entſchieden ſeyn wuͤrde.
Was endlich die Natur unſers Selbſtgefuͤhls und
der Vorſtellungen betrifft, die wir von unſern eigenen
Wirkungen haben, ſo koͤnnen ſie, nach den hier ange-
ſtellten Raiſonnements, nichts mehr als Schein ſeyn;
ſo wie die unmittelbare Beobachtung uns auch nicht be-
rechtiget, ſie fuͤr etwas mehr anzuſehen, wie ich vorher
(XI, 3.) gezeigt habe. Denn wir empfinden die Aktus
unſers Gefuͤhls, und des Denkens, und des Wollens nur
in ihren Wirkungen, das iſt, in den Veraͤnderungen
und Folgen, die davon in dem geſammten Seelenweſen,
das iſt, in einem zuſammengeſetzten Weſen, abhangen.
Dieſe Empfindung entſtehet alſo auf eine aͤhnliche Art,
wie die Empfindung eines aͤußerlichen koͤrperlichen Ge-
genſtandes, von dem eine Jmpreſſion auf die innern
Organe vorhanden iſt. Jene iſt eine Empfindung in-
nerer Modificationen in der Materie, die aber ihre Ur-
ſache, von der ſie abhaͤngt, und auf die ſie als Wirkung
bezogen wird, in der Aktion des Jchs, das iſt, eines einfa-
chen Weſens, hat, und die auch eine zuſammengeſetzte
Aktion des einfachen Jchs ſelbſt ſeyn kann. Man muß
zum mindeſten einſehen, daß die Pſychologen es bisher
nicht bewieſen haben, daß dieſe Vorſtellung unreimlich
ſey. Und wenn das iſt, ſo iſt es auch offenbar, daß
die zwote Empfindung von der erſten Empfindung eines
aͤußern Objekts, und uͤberhaupt, das Gefuͤhl unſerer
eigenen Gemuͤthsbewegungen, unſerer Denkthaͤtigkeiten
und unſers Willens, und alſo auch die Vorſtellungen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/242>, abgerufen am 24.11.2024.
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