keit von einzeln unbestehbaren Punkten giebt, welche die Beschaffenheiten des einfachen Wesens vorstellen; und auf der andern Seite das Bild von einer zusam- mengesetzten Substanz, die aus mehrern reell ver- schiedenen Substanzen, welche einzeln für sich beste- hen, zusammengesetzet ist. Jeder Beweis für die Jm- materialität der Seele aus ihren Kraftäußerungen muß die letztere Vorstellung aufheben; aber es giebt, so viel ich weis, keine, mit der nicht jene erstere als eine bild- liche Vorstellung der Sache sich vereinigen lasse, und man kann sichs versichern, daß irgend etwas in unsern Raisonnements erschlichen sey, wenn wir auf eine Fol- gerung gerathen, die das Jch nothwendig von einem mathemathischen Punkt in Hinsicht der Ausdehnung machen würde. Denn diese Nebenidee ist in dem Be- griffe der Einfachheit nicht enthalten, sobald wir nur die Mehrheit in einem Kontinuum von einer Mehrheit reell unterschiedener und nur dicht an einander liegender phy- sischen Punkte zu unterscheiden wissen.
Das erste und vornehmste, was uns hier aufstößt, ist die Frage: ob fühlen, afficirt werden, gewahrneh- men, sich bestimmen, nur bloß kollektive Hand- lungen eines zusammengesetzten Ganzen seyn können, die aus gewissen Handlungen der einfachen Substanzen bestehen, welche einzeln genommen zwar seelenartige Kraftäußerungen genannt werden mögen, aber von den eigentlichen Seelenäußerungen unterschieden sind? und die vielleicht gar nur in Bewegungen bestehen, oder wenigstens zu einer Art von Wirkungen gehören, wo- von wir keine Vorstellungen haben?
Mich deucht, es fehle nichts an der Evidenz in der Antwort, die verschiedene Philosophen, und unter die- sen besonders der vortreffliche Verfasser des Phädons hierauf gegeben haben. Jst der Aktus des Fühlens aus einer Menge anderer Kraftäußerungen zusammen-
gesetzt,
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
keit von einzeln unbeſtehbaren Punkten giebt, welche die Beſchaffenheiten des einfachen Weſens vorſtellen; und auf der andern Seite das Bild von einer zuſam- mengeſetzten Subſtanz, die aus mehrern reell ver- ſchiedenen Subſtanzen, welche einzeln fuͤr ſich beſte- hen, zuſammengeſetzet iſt. Jeder Beweis fuͤr die Jm- materialitaͤt der Seele aus ihren Kraftaͤußerungen muß die letztere Vorſtellung aufheben; aber es giebt, ſo viel ich weis, keine, mit der nicht jene erſtere als eine bild- liche Vorſtellung der Sache ſich vereinigen laſſe, und man kann ſichs verſichern, daß irgend etwas in unſern Raiſonnements erſchlichen ſey, wenn wir auf eine Fol- gerung gerathen, die das Jch nothwendig von einem mathemathiſchen Punkt in Hinſicht der Ausdehnung machen wuͤrde. Denn dieſe Nebenidee iſt in dem Be- griffe der Einfachheit nicht enthalten, ſobald wir nur die Mehrheit in einem Kontinuum von einer Mehrheit reell unterſchiedener und nur dicht an einander liegender phy- ſiſchen Punkte zu unterſcheiden wiſſen.
Das erſte und vornehmſte, was uns hier aufſtoͤßt, iſt die Frage: ob fuͤhlen, afficirt werden, gewahrneh- men, ſich beſtimmen, nur bloß kollektive Hand- lungen eines zuſammengeſetzten Ganzen ſeyn koͤnnen, die aus gewiſſen Handlungen der einfachen Subſtanzen beſtehen, welche einzeln genommen zwar ſeelenartige Kraftaͤußerungen genannt werden moͤgen, aber von den eigentlichen Seelenaͤußerungen unterſchieden ſind? und die vielleicht gar nur in Bewegungen beſtehen, oder wenigſtens zu einer Art von Wirkungen gehoͤren, wo- von wir keine Vorſtellungen haben?
Mich deucht, es fehle nichts an der Evidenz in der Antwort, die verſchiedene Philoſophen, und unter die- ſen beſonders der vortreffliche Verfaſſer des Phaͤdons hierauf gegeben haben. Jſt der Aktus des Fuͤhlens aus einer Menge anderer Kraftaͤußerungen zuſammen-
geſetzt,
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
keit von einzeln unbeſtehbaren Punkten giebt, welche
die Beſchaffenheiten des einfachen Weſens vorſtellen;
und auf der andern Seite das Bild von einer zuſam-
mengeſetzten Subſtanz, die aus mehrern reell ver-
ſchiedenen Subſtanzen, welche einzeln fuͤr ſich beſte-
hen, zuſammengeſetzet iſt. Jeder Beweis fuͤr die Jm-
materialitaͤt der Seele aus ihren Kraftaͤußerungen muß
die letztere Vorſtellung aufheben; aber es giebt, ſo viel
ich weis, keine, mit der nicht jene erſtere als eine bild-
liche Vorſtellung der Sache ſich vereinigen laſſe, und
man kann ſichs verſichern, daß irgend etwas in unſern
Raiſonnements erſchlichen ſey, wenn wir auf eine Fol-
gerung gerathen, die das Jch nothwendig von einem
mathemathiſchen Punkt in Hinſicht der Ausdehnung
machen wuͤrde. Denn dieſe Nebenidee iſt in dem Be-
griffe der Einfachheit nicht enthalten, ſobald wir nur die
Mehrheit in einem Kontinuum von einer Mehrheit reell
unterſchiedener und nur dicht an einander liegender phy-
ſiſchen Punkte zu unterſcheiden wiſſen.
Das erſte und vornehmſte, was uns hier aufſtoͤßt,
iſt die Frage: ob fuͤhlen, afficirt werden, gewahrneh-
men, ſich beſtimmen, nur bloß kollektive Hand-
lungen eines zuſammengeſetzten Ganzen ſeyn koͤnnen,
die aus gewiſſen Handlungen der einfachen Subſtanzen
beſtehen, welche einzeln genommen zwar ſeelenartige
Kraftaͤußerungen genannt werden moͤgen, aber von
den eigentlichen Seelenaͤußerungen unterſchieden ſind?
und die vielleicht gar nur in Bewegungen beſtehen, oder
wenigſtens zu einer Art von Wirkungen gehoͤren, wo-
von wir keine Vorſtellungen haben?
Mich deucht, es fehle nichts an der Evidenz in der
Antwort, die verſchiedene Philoſophen, und unter die-
ſen beſonders der vortreffliche Verfaſſer des Phaͤdons
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/226>, abgerufen am 23.11.2024.
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