wenn wir etwas in uns selbst als gegenwärtig empfin- den, was doch nicht da ist. Aber sollte wohl die Schö- ne, die sich bespiegelt, zweifelhaft darüber seyn dürfen, ob es auch ihr beseeltes Auge sey, was sie jetzo siehet? Obgleich ein fremdes und ein gemaltes Auge denselbi- gen Schein erregen kann, und wir es auch an den kleinen Kindern sehen, daß sie Anfangs so wenig als ein Be- wohner des Feuerlandes wissen, was sie aus dem Bil- de im Spiegel machen sollen, wenn sie sich selbst darin- nen sehen: so zeigen doch diese Erfahrungen nichts mehr, als daß die Reflexion der Seele über sich selbst und ins- besondere der Gedanke, das bin ich, und das ist in mir, und geht in mir vor, ebenfalls zu den Wirkungen der Denkkraft gehöre, wozu diese sich nur nach und nach entwickelt, und daß eine sorgfältige Beobachtung seiner selbst voraussetze, daß man schon aus der Kindheit her- aus sey. Aber wer wird darum das starke Selbstge- fühl in Zweifel ziehen?
Auf diesen Umstand, daß die Seele sich selbst, wie das Auge im Spiegel, beschauen könne, müssen die Phi- losophen nicht zurücksehen, welche der Seele alle Er- kenntniß von sich selbst und von ihrer Natur aus dem Grunde absprechen, weil sie niemals sich selbst, sondern wie das Auge des Körpers, nur äußere und fremde Ge- genstände empfinden könne. Mich deucht, das Auge sehe sich selbst mit zurückfallendem Licht so gut, als es jedes andere Objekt mit gerade auffallendem sehen kann. Und so verhält sichs auch bey der Seele. Hierinn kann also kein allgemeiner Grund liegen, der Erkennt- niß von der Seele eine wesentliche Dunkelheit zuzuschrei- ben, die bey unserer Kenntniß von körverlichen Dingen nicht angetroffen werden sollte. Wir kennen die Kör- per und ihre Kräfte eben so wenig und unmittelbar als die Seele, und erhalten von ihnen eben so, wie von uns selbst, nur Jdeen aus ihren Eindrücken und Wir-
kungen
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
wenn wir etwas in uns ſelbſt als gegenwaͤrtig empfin- den, was doch nicht da iſt. Aber ſollte wohl die Schoͤ- ne, die ſich beſpiegelt, zweifelhaft daruͤber ſeyn duͤrfen, ob es auch ihr beſeeltes Auge ſey, was ſie jetzo ſiehet? Obgleich ein fremdes und ein gemaltes Auge denſelbi- gen Schein erregen kann, und wir es auch an den kleinen Kindern ſehen, daß ſie Anfangs ſo wenig als ein Be- wohner des Feuerlandes wiſſen, was ſie aus dem Bil- de im Spiegel machen ſollen, wenn ſie ſich ſelbſt darin- nen ſehen: ſo zeigen doch dieſe Erfahrungen nichts mehr, als daß die Reflexion der Seele uͤber ſich ſelbſt und ins- beſondere der Gedanke, das bin ich, und das iſt in mir, und geht in mir vor, ebenfalls zu den Wirkungen der Denkkraft gehoͤre, wozu dieſe ſich nur nach und nach entwickelt, und daß eine ſorgfaͤltige Beobachtung ſeiner ſelbſt vorausſetze, daß man ſchon aus der Kindheit her- aus ſey. Aber wer wird darum das ſtarke Selbſtge- fuͤhl in Zweifel ziehen?
Auf dieſen Umſtand, daß die Seele ſich ſelbſt, wie das Auge im Spiegel, beſchauen koͤnne, muͤſſen die Phi- loſophen nicht zuruͤckſehen, welche der Seele alle Er- kenntniß von ſich ſelbſt und von ihrer Natur aus dem Grunde abſprechen, weil ſie niemals ſich ſelbſt, ſondern wie das Auge des Koͤrpers, nur aͤußere und fremde Ge- genſtaͤnde empfinden koͤnne. Mich deucht, das Auge ſehe ſich ſelbſt mit zuruͤckfallendem Licht ſo gut, als es jedes andere Objekt mit gerade auffallendem ſehen kann. Und ſo verhaͤlt ſichs auch bey der Seele. Hierinn kann alſo kein allgemeiner Grund liegen, der Erkennt- niß von der Seele eine weſentliche Dunkelheit zuzuſchrei- ben, die bey unſerer Kenntniß von koͤrverlichen Dingen nicht angetroffen werden ſollte. Wir kennen die Koͤr- per und ihre Kraͤfte eben ſo wenig und unmittelbar als die Seele, und erhalten von ihnen eben ſo, wie von uns ſelbſt, nur Jdeen aus ihren Eindruͤcken und Wir-
kungen
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
wenn wir etwas in uns ſelbſt als gegenwaͤrtig empfin-
den, was doch nicht da iſt. Aber ſollte wohl die Schoͤ-
ne, die ſich beſpiegelt, zweifelhaft daruͤber ſeyn duͤrfen,
ob es auch ihr beſeeltes Auge ſey, was ſie jetzo ſiehet?
Obgleich ein fremdes und ein gemaltes Auge denſelbi-
gen Schein erregen kann, und wir es auch an den kleinen
Kindern ſehen, daß ſie Anfangs ſo wenig als ein Be-
wohner des Feuerlandes wiſſen, was ſie aus dem Bil-
de im Spiegel machen ſollen, wenn ſie ſich ſelbſt darin-
nen ſehen: ſo zeigen doch dieſe Erfahrungen nichts mehr,
als daß die Reflexion der Seele uͤber ſich ſelbſt und ins-
beſondere der Gedanke, das bin ich, und das iſt in
mir, und geht in mir vor, ebenfalls zu den Wirkungen
der Denkkraft gehoͤre, wozu dieſe ſich nur nach und nach
entwickelt, und daß eine ſorgfaͤltige Beobachtung ſeiner
ſelbſt vorausſetze, daß man ſchon aus der Kindheit her-
aus ſey. Aber wer wird darum das ſtarke Selbſtge-
fuͤhl in Zweifel ziehen?
Auf dieſen Umſtand, daß die Seele ſich ſelbſt, wie
das Auge im Spiegel, beſchauen koͤnne, muͤſſen die Phi-
loſophen nicht zuruͤckſehen, welche der Seele alle Er-
kenntniß von ſich ſelbſt und von ihrer Natur aus dem
Grunde abſprechen, weil ſie niemals ſich ſelbſt, ſondern
wie das Auge des Koͤrpers, nur aͤußere und fremde Ge-
genſtaͤnde empfinden koͤnne. Mich deucht, das Auge
ſehe ſich ſelbſt mit zuruͤckfallendem Licht ſo gut, als es
jedes andere Objekt mit gerade auffallendem ſehen kann.
Und ſo verhaͤlt ſichs auch bey der Seele. Hierinn
kann alſo kein allgemeiner Grund liegen, der Erkennt-
niß von der Seele eine weſentliche Dunkelheit zuzuſchrei-
ben, die bey unſerer Kenntniß von koͤrverlichen Dingen
nicht angetroffen werden ſollte. Wir kennen die Koͤr-
per und ihre Kraͤfte eben ſo wenig und unmittelbar als
die Seele, und erhalten von ihnen eben ſo, wie von
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/204>, abgerufen am 24.11.2024.
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