Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen Bürge, daß unsere Jdeen vom Denken und Wollenvollkommnere Jdeen sind, als die von dem Licht und von den Tönen? Der Eindruck von außen, der von dem weißen Licht entstehet, ist keine einfache Empfin- dung in dem Sinne, daß er selbst als innerer Eindruck, als Beschaffenheit und Modifikation der Seele einfach sey; -- denn er enthält wirklich etwas vielfaches, wie der Lichtbüschel, der durchs Auge gehet; -- sondern wenn wir ihn für eine einfache Empfindung halten, so ist ers nur in so weit, als nichts mannigfaltiges in ihm gewahrgenommen, oder nichts in ihm unterschie- den werden kann, weil wir nicht jedwede Elementar- modifikation der Seele besonders empfinden, von an- dern absondern, und mit einem eigenen Aktus des Em- pfindens sie bearbeiten können. Nun sind die innern Modifikationen, deren Gefühl unser Selbstgefühl aus- machet, darinn von den Jmpressionen von außen unter- schieden, daß sie andere Ursachen haben, die sie her- vorbringen. Sie entstehen von innen und aus der Kraft der Seele selbst. Diese wirket zurück, wenn sie empfin- det, ist| thätig, wenn sie denket, bestimmt sich selbst, wenn sie will, und die nachbleibenden Spuren von die- sen Aktionen sind es, aus welchen wir unsere Vorstel- lungen von den Seelenäußerungen hernehmen. Sind wir vergewissert, ja haben wir nur Einen Grund, es für wahrscheinlich zu halten, da es der Analogie so sehr entgegen ist, daß die Aktus des Empfindens, des Den- kens, des Wollens so einfach sind, als sie uns vorkom- men? Jede einzelne individuelle Aktion, jedes Em- pfinden, Denken, Wollen ist etwas in Eins fortgehen- des und erfodert seine Zeitlänge, in der es entstehet, und hat seinen Anfang, seine Mitte und sein Ende. Vielleicht ist gar jede beobachtbare Aktion aus heteroge- nen Aktionen und Passionen zusammengesetzt, die für unsere Absonderungskraft zu unauflöslich und, einzeln genom-
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen Buͤrge, daß unſere Jdeen vom Denken und Wollenvollkommnere Jdeen ſind, als die von dem Licht und von den Toͤnen? Der Eindruck von außen, der von dem weißen Licht entſtehet, iſt keine einfache Empfin- dung in dem Sinne, daß er ſelbſt als innerer Eindruck, als Beſchaffenheit und Modifikation der Seele einfach ſey; — denn er enthaͤlt wirklich etwas vielfaches, wie der Lichtbuͤſchel, der durchs Auge gehet; — ſondern wenn wir ihn fuͤr eine einfache Empfindung halten, ſo iſt ers nur in ſo weit, als nichts mannigfaltiges in ihm gewahrgenommen, oder nichts in ihm unterſchie- den werden kann, weil wir nicht jedwede Elementar- modifikation der Seele beſonders empfinden, von an- dern abſondern, und mit einem eigenen Aktus des Em- pfindens ſie bearbeiten koͤnnen. Nun ſind die innern Modifikationen, deren Gefuͤhl unſer Selbſtgefuͤhl aus- machet, darinn von den Jmpreſſionen von außen unter- ſchieden, daß ſie andere Urſachen haben, die ſie her- vorbringen. Sie entſtehen von innen und aus der Kraft der Seele ſelbſt. Dieſe wirket zuruͤck, wenn ſie empfin- det, iſt| thaͤtig, wenn ſie denket, beſtimmt ſich ſelbſt, wenn ſie will, und die nachbleibenden Spuren von die- ſen Aktionen ſind es, aus welchen wir unſere Vorſtel- lungen von den Seelenaͤußerungen hernehmen. Sind wir vergewiſſert, ja haben wir nur Einen Grund, es fuͤr wahrſcheinlich zu halten, da es der Analogie ſo ſehr entgegen iſt, daß die Aktus des Empfindens, des Den- kens, des Wollens ſo einfach ſind, als ſie uns vorkom- men? Jede einzelne individuelle Aktion, jedes Em- pfinden, Denken, Wollen iſt etwas in Eins fortgehen- des und erfodert ſeine Zeitlaͤnge, in der es entſtehet, und hat ſeinen Anfang, ſeine Mitte und ſein Ende. Vielleicht iſt gar jede beobachtbare Aktion aus heteroge- nen Aktionen und Paſſionen zuſammengeſetzt, die fuͤr unſere Abſonderungskraft zu unaufloͤslich und, einzeln genom-
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Buͤrge, daß unſere Jdeen vom Denken und Wollen
vollkommnere Jdeen ſind, als die von dem Licht und
von den Toͤnen? Der Eindruck von außen, der von
dem weißen Licht entſtehet, iſt keine einfache Empfin-
dung in dem Sinne, daß er ſelbſt als innerer Eindruck,
als Beſchaffenheit und Modifikation der Seele einfach
ſey; — denn er enthaͤlt wirklich etwas vielfaches, wie
der Lichtbuͤſchel, der durchs Auge gehet; — ſondern
wenn wir ihn fuͤr eine einfache Empfindung halten,
ſo iſt ers nur in ſo weit, als nichts mannigfaltiges in
ihm gewahrgenommen, oder nichts in ihm unterſchie-
den werden kann, weil wir nicht jedwede Elementar-
modifikation der Seele beſonders empfinden, von an-
dern abſondern, und mit einem eigenen Aktus des Em-
pfindens ſie bearbeiten koͤnnen. Nun ſind die innern
Modifikationen, deren Gefuͤhl unſer Selbſtgefuͤhl aus-
machet, darinn von den Jmpreſſionen von außen unter-
ſchieden, daß ſie andere Urſachen haben, die ſie her-
vorbringen. Sie entſtehen von innen und aus der Kraft
der Seele ſelbſt. Dieſe wirket zuruͤck, wenn ſie empfin-
det, iſt| thaͤtig, wenn ſie denket, beſtimmt ſich ſelbſt,
wenn ſie will, und die nachbleibenden Spuren von die-
ſen Aktionen ſind es, aus welchen wir unſere Vorſtel-
lungen von den Seelenaͤußerungen hernehmen. Sind
wir vergewiſſert, ja haben wir nur Einen Grund, es
fuͤr wahrſcheinlich zu halten, da es der Analogie ſo ſehr
entgegen iſt, daß die Aktus des Empfindens, des Den-
kens, des Wollens ſo einfach ſind, als ſie uns vorkom-
men? Jede einzelne individuelle Aktion, jedes Em-
pfinden, Denken, Wollen iſt etwas in Eins fortgehen-
des und erfodert ſeine Zeitlaͤnge, in der es entſtehet,
und hat ſeinen Anfang, ſeine Mitte und ſein Ende.
Vielleicht iſt gar jede beobachtbare Aktion aus heteroge-
nen Aktionen und Paſſionen zuſammengeſetzt, die fuͤr
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