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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Freyheit.
durch der Wirkung noch besondere Beschaffenheiten
gegeben werden, und noch etwas mehr bey ihr begreiflich
werde, was es nicht schon aus demjenigen ist, das in
dem positiven zureichenden Grunde zusammengefasset
war. Die bedungene Abwesenheit des Hindernisses
enthält nur allein, daß nichts mehr, als da ist, hinzu-
komme.
Wenn demnach dieses beides, nämlich der
völlig bestimmende positive Grund und die Ab-
wesenheit eines Hindernisses,
so deutlich von einan-
der unterschieden werden kann, so deucht mich, man
könne das erstere wol mit Fuge den ganzen zureichen-
den Grund
nennen, weil er alles, was bey der Wir-
kung vorkommt, begreiflich macht.

Allerdings ist hier die Stelle, wo die Jndetermi-
nisten
und die Deterministen anfangen, sich von ein-
ander zu trennen, wie ich schon erinnert habe.

"Wenn der völlig bestimmende Grund und die Ab-
"wesenheit jedweden Hindernisses zusammen genommen
"werden, so erfolget die Wirkung so und nicht anders
"ohne alle fernere Bedingung, und sie erfolgt noth-
"wendig." Dieß ist ein Grundsatz bey dem einen Theil
und bey mir auch; aber nicht bey den Jndeterministen,
welche es für nothwendig ansehen, dem Princip des zu-
reichenden Grundes gewisse Gränzen zu setzen. Jch
habe mich vorher schon erklärt, was man dem Umfang
dieses Princips entzieht, wird dem Zufall eingeräumet.
Hier betrifft der Streit Grundsätze. Aber in der Un-
tersuchung über die Freyheit braucht es keine Spekula-
tion, sondern nur die Erfahrung, um diesen Grundsatz
auf die Seelenveränderungen angewendet, so stark zu
befestigen, als die vollständigste Jnduktion jemals ei-
nen allgemeinen Erfahrungssatz befestiget hat.

Aber wenn wir dagegen die Abwesenheit eines Hin-
dernisses als eine blos negative Bedingung von dem
übrigen positiven zureichenden Grund absondern und

den
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und Freyheit.
durch der Wirkung noch beſondere Beſchaffenheiten
gegeben werden, und noch etwas mehr bey ihr begreiflich
werde, was es nicht ſchon aus demjenigen iſt, das in
dem poſitiven zureichenden Grunde zuſammengefaſſet
war. Die bedungene Abweſenheit des Hinderniſſes
enthaͤlt nur allein, daß nichts mehr, als da iſt, hinzu-
komme.
Wenn demnach dieſes beides, naͤmlich der
voͤllig beſtimmende poſitive Grund und die Ab-
weſenheit eines Hinderniſſes,
ſo deutlich von einan-
der unterſchieden werden kann, ſo deucht mich, man
koͤnne das erſtere wol mit Fuge den ganzen zureichen-
den Grund
nennen, weil er alles, was bey der Wir-
kung vorkommt, begreiflich macht.

Allerdings iſt hier die Stelle, wo die Jndetermi-
niſten
und die Determiniſten anfangen, ſich von ein-
ander zu trennen, wie ich ſchon erinnert habe.

„Wenn der voͤllig beſtimmende Grund und die Ab-
„weſenheit jedweden Hinderniſſes zuſammen genommen
„werden, ſo erfolget die Wirkung ſo und nicht anders
„ohne alle fernere Bedingung, und ſie erfolgt noth-
„wendig.‟ Dieß iſt ein Grundſatz bey dem einen Theil
und bey mir auch; aber nicht bey den Jndeterminiſten,
welche es fuͤr nothwendig anſehen, dem Princip des zu-
reichenden Grundes gewiſſe Graͤnzen zu ſetzen. Jch
habe mich vorher ſchon erklaͤrt, was man dem Umfang
dieſes Princips entzieht, wird dem Zufall eingeraͤumet.
Hier betrifft der Streit Grundſaͤtze. Aber in der Un-
terſuchung uͤber die Freyheit braucht es keine Spekula-
tion, ſondern nur die Erfahrung, um dieſen Grundſatz
auf die Seelenveraͤnderungen angewendet, ſo ſtark zu
befeſtigen, als die vollſtaͤndigſte Jnduktion jemals ei-
nen allgemeinen Erfahrungsſatz befeſtiget hat.

Aber wenn wir dagegen die Abweſenheit eines Hin-
derniſſes als eine blos negative Bedingung von dem
uͤbrigen poſitiven zureichenden Grund abſondern und

den
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[137/0167] und Freyheit. durch der Wirkung noch beſondere Beſchaffenheiten gegeben werden, und noch etwas mehr bey ihr begreiflich werde, was es nicht ſchon aus demjenigen iſt, das in dem poſitiven zureichenden Grunde zuſammengefaſſet war. Die bedungene Abweſenheit des Hinderniſſes enthaͤlt nur allein, daß nichts mehr, als da iſt, hinzu- komme. Wenn demnach dieſes beides, naͤmlich der voͤllig beſtimmende poſitive Grund und die Ab- weſenheit eines Hinderniſſes, ſo deutlich von einan- der unterſchieden werden kann, ſo deucht mich, man koͤnne das erſtere wol mit Fuge den ganzen zureichen- den Grund nennen, weil er alles, was bey der Wir- kung vorkommt, begreiflich macht. Allerdings iſt hier die Stelle, wo die Jndetermi- niſten und die Determiniſten anfangen, ſich von ein- ander zu trennen, wie ich ſchon erinnert habe. „Wenn der voͤllig beſtimmende Grund und die Ab- „weſenheit jedweden Hinderniſſes zuſammen genommen „werden, ſo erfolget die Wirkung ſo und nicht anders „ohne alle fernere Bedingung, und ſie erfolgt noth- „wendig.‟ Dieß iſt ein Grundſatz bey dem einen Theil und bey mir auch; aber nicht bey den Jndeterminiſten, welche es fuͤr nothwendig anſehen, dem Princip des zu- reichenden Grundes gewiſſe Graͤnzen zu ſetzen. Jch habe mich vorher ſchon erklaͤrt, was man dem Umfang dieſes Princips entzieht, wird dem Zufall eingeraͤumet. Hier betrifft der Streit Grundſaͤtze. Aber in der Un- terſuchung uͤber die Freyheit braucht es keine Spekula- tion, ſondern nur die Erfahrung, um dieſen Grundſatz auf die Seelenveraͤnderungen angewendet, ſo ſtark zu befeſtigen, als die vollſtaͤndigſte Jnduktion jemals ei- nen allgemeinen Erfahrungsſatz befeſtiget hat. Aber wenn wir dagegen die Abweſenheit eines Hin- derniſſes als eine blos negative Bedingung von dem uͤbrigen poſitiven zureichenden Grund abſondern und den J 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/167>, abgerufen am 27.11.2024.