sen zuzurechnen sind, als unfreye. Darum näm- lich, weil das freyhandelnde Wesen in einem höhern Sinn Urheber von ihnen ist, als das letztere. Es ist eine solche Ursache seiner Wirkungen, welche zugleich mit einem Vermögen versehen war, die Wirkung durch sich selbst zurück zu halten, und also die Ursache seiner Aktion in einer gedoppelten Hinsicht: einmal darum, weil es sie gethan hat: und dann zweytens darum, weil es sie nicht unterlassen hat, wozu es ein Vermögen be- saß. Jn dem freyen Wesen ist außer dem Vermögen, etwas thun zu können, und außer der wirklichen Appli- kation dieses Vermögens auf die Handlung noch ein drittes vorhanden, nämlich das physische Vermögen zu unterlassen. Die unfreye Kraft enthält nur zwey von diesen dreyen Stücken.
Die Strafen und Belohnungen haben eine höhere Absicht bey Menschen, als bey Thieren, weil sie bey jenen eigene und vorzügliche Folgen und Wirkungen ha- ben, die bey diesen fehlen. Das unfreye Wesen kann durch angenehme und unangenehme Folgen der Hand- lungen in eine gewisse Form gebracht, zu gewissen Rich- tungen hingelenket, und auf eine bestimmte Art gezo- gen werden; aber in dem freyen Wesen können dadurch neue selbstthätige Vermögen hervorgezogen, das ist, es kann eine innere Erhöhung der Natur bewirket werden. Die meisten künstlichen Abrichtungen der Thiere schwä- chen ihre Naturkräfte, und setzen sie mehr herunter, als sie sie erheben. Der Mensch dagegen sammlet aus den Folgen seiner Handlungen, Vorstellungen von Thä- tigkeiten, und selbstthätige Vermögen, und erweitert die innere Sphäre seiner Wirksamkeit.
Aber da die Freyheit, oder Selbstmacht der Seele über sich, nur das Vermögen enthält sich anders zu be- stimmen, und dieses nur ein bloßes Vermögen oder ei- ne tode Kraft bleibet: welche Folgen und Beschaffen-
heiten
und Freyheit.
ſen zuzurechnen ſind, als unfreye. Darum naͤm- lich, weil das freyhandelnde Weſen in einem hoͤhern Sinn Urheber von ihnen iſt, als das letztere. Es iſt eine ſolche Urſache ſeiner Wirkungen, welche zugleich mit einem Vermoͤgen verſehen war, die Wirkung durch ſich ſelbſt zuruͤck zu halten, und alſo die Urſache ſeiner Aktion in einer gedoppelten Hinſicht: einmal darum, weil es ſie gethan hat: und dann zweytens darum, weil es ſie nicht unterlaſſen hat, wozu es ein Vermoͤgen be- ſaß. Jn dem freyen Weſen iſt außer dem Vermoͤgen, etwas thun zu koͤnnen, und außer der wirklichen Appli- kation dieſes Vermoͤgens auf die Handlung noch ein drittes vorhanden, naͤmlich das phyſiſche Vermoͤgen zu unterlaſſen. Die unfreye Kraft enthaͤlt nur zwey von dieſen dreyen Stuͤcken.
Die Strafen und Belohnungen haben eine hoͤhere Abſicht bey Menſchen, als bey Thieren, weil ſie bey jenen eigene und vorzuͤgliche Folgen und Wirkungen ha- ben, die bey dieſen fehlen. Das unfreye Weſen kann durch angenehme und unangenehme Folgen der Hand- lungen in eine gewiſſe Form gebracht, zu gewiſſen Rich- tungen hingelenket, und auf eine beſtimmte Art gezo- gen werden; aber in dem freyen Weſen koͤnnen dadurch neue ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen hervorgezogen, das iſt, es kann eine innere Erhoͤhung der Natur bewirket werden. Die meiſten kuͤnſtlichen Abrichtungen der Thiere ſchwaͤ- chen ihre Naturkraͤfte, und ſetzen ſie mehr herunter, als ſie ſie erheben. Der Menſch dagegen ſammlet aus den Folgen ſeiner Handlungen, Vorſtellungen von Thaͤ- tigkeiten, und ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen, und erweitert die innere Sphaͤre ſeiner Wirkſamkeit.
Aber da die Freyheit, oder Selbſtmacht der Seele uͤber ſich, nur das Vermoͤgen enthaͤlt ſich anders zu be- ſtimmen, und dieſes nur ein bloßes Vermoͤgen oder ei- ne tode Kraft bleibet: welche Folgen und Beſchaffen-
heiten
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und Freyheit.
ſen zuzurechnen ſind, als unfreye. Darum naͤm-
lich, weil das freyhandelnde Weſen in einem hoͤhern
Sinn Urheber von ihnen iſt, als das letztere. Es iſt
eine ſolche Urſache ſeiner Wirkungen, welche zugleich
mit einem Vermoͤgen verſehen war, die Wirkung durch
ſich ſelbſt zuruͤck zu halten, und alſo die Urſache ſeiner
Aktion in einer gedoppelten Hinſicht: einmal darum,
weil es ſie gethan hat: und dann zweytens darum, weil
es ſie nicht unterlaſſen hat, wozu es ein Vermoͤgen be-
ſaß. Jn dem freyen Weſen iſt außer dem Vermoͤgen,
etwas thun zu koͤnnen, und außer der wirklichen Appli-
kation dieſes Vermoͤgens auf die Handlung noch ein
drittes vorhanden, naͤmlich das phyſiſche Vermoͤgen zu
unterlaſſen. Die unfreye Kraft enthaͤlt nur zwey von
dieſen dreyen Stuͤcken.
Die Strafen und Belohnungen haben eine hoͤhere
Abſicht bey Menſchen, als bey Thieren, weil ſie bey
jenen eigene und vorzuͤgliche Folgen und Wirkungen ha-
ben, die bey dieſen fehlen. Das unfreye Weſen kann
durch angenehme und unangenehme Folgen der Hand-
lungen in eine gewiſſe Form gebracht, zu gewiſſen Rich-
tungen hingelenket, und auf eine beſtimmte Art gezo-
gen werden; aber in dem freyen Weſen koͤnnen dadurch
neue ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen hervorgezogen, das iſt, es
kann eine innere Erhoͤhung der Natur bewirket werden.
Die meiſten kuͤnſtlichen Abrichtungen der Thiere ſchwaͤ-
chen ihre Naturkraͤfte, und ſetzen ſie mehr herunter,
als ſie ſie erheben. Der Menſch dagegen ſammlet aus
den Folgen ſeiner Handlungen, Vorſtellungen von Thaͤ-
tigkeiten, und ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen, und erweitert
die innere Sphaͤre ſeiner Wirkſamkeit.
Aber da die Freyheit, oder Selbſtmacht der Seele
uͤber ſich, nur das Vermoͤgen enthaͤlt ſich anders zu be-
ſtimmen, und dieſes nur ein bloßes Vermoͤgen oder ei-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/155>, abgerufen am 28.11.2024.
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