Verstandes da; und ist dieser da, so wirket der Mensch schon als ein freyes Wesen. Vielleicht kann man die Seele noch frühzeitiger für völlig gebildet ansehen, ehe es noch zum Sprechen kommt, aber desto gewisser ist sie es in dieser Epoche, in der nicht blos Anlage zur Ver- nunft, und Anlage sprechen zu lernen, sondern auch wirkliche Vernunft, und Sprachfähigkeit, als unmit- telbare nächste Vermögen vorhanden sind.
Laß es uns dahin gestellet lassen, auf welche Art die Entwickelung der Grundkraft bis dahin vor sich gehe, was in dieser die angebohrne Anlage zu jenen Fähigkei- ten eigentlich sey, und in welcher Beziehung sie auf diese letztern stehen mögen? so muß uns doch noch eine andere fruchtbare Untersuchung aufstoßen, wenn wir bey dieser Entwickelung auf die äußern Umstände und Ursachen sehen, deren Einfluß zu ihr erfodert wird, und auf die größere oder geringere Nothwendigkeit dieses Einflußes. Die Anlagen zur Sprache und Vernunft sind in der an- gebohrnen Natur; und diese Natur treibet durch innere Kraft wie der Keim in den Pflanzen, wenn die ihn in Thätigkeit setzende äußern Ursachen vorhanden sind, und die Umstände eher seiner Natur gemäß sich entwickeln las- sen. Da nun aber die erfolgende Entwickelung so wohl von äußern als von innern Ursachen abhängt, wie weit sind jene unentbehrlich, wenn wir blos hier die Sprach- fähigkeit in Betracht ziehen? Wie starktreibend ist die innere Naturanlage dazu und wie weit braucht es der Pflege und der Reizung von außen? Jst hier nichts weiter nöthig, als was der natürlich nothwendige Ge- brauch vollständiger und gesunder Sinnglieder schon mit sich bringet? oder ist überdieß noch eine Anführung von andern schon bis zur Sprache entwickelten Menschen und eine Jnstruktion erfoderlich, wie eine Art von künstlicher Pflege bey unseren Pflanzen und heißen Erd- strichen, wenn sie zu Blüthe kommen und reife Früchte geben sollen.
Jn
zum eilften Verſuch.
Verſtandes da; und iſt dieſer da, ſo wirket der Menſch ſchon als ein freyes Weſen. Vielleicht kann man die Seele noch fruͤhzeitiger fuͤr voͤllig gebildet anſehen, ehe es noch zum Sprechen kommt, aber deſto gewiſſer iſt ſie es in dieſer Epoche, in der nicht blos Anlage zur Ver- nunft, und Anlage ſprechen zu lernen, ſondern auch wirkliche Vernunft, und Sprachfaͤhigkeit, als unmit- telbare naͤchſte Vermoͤgen vorhanden ſind.
Laß es uns dahin geſtellet laſſen, auf welche Art die Entwickelung der Grundkraft bis dahin vor ſich gehe, was in dieſer die angebohrne Anlage zu jenen Faͤhigkei- ten eigentlich ſey, und in welcher Beziehung ſie auf dieſe letztern ſtehen moͤgen? ſo muß uns doch noch eine andere fruchtbare Unterſuchung aufſtoßen, wenn wir bey dieſer Entwickelung auf die aͤußern Umſtaͤnde und Urſachen ſehen, deren Einfluß zu ihr erfodert wird, und auf die groͤßere oder geringere Nothwendigkeit dieſes Einflußes. Die Anlagen zur Sprache und Vernunft ſind in der an- gebohrnen Natur; und dieſe Natur treibet durch innere Kraft wie der Keim in den Pflanzen, wenn die ihn in Thaͤtigkeit ſetzende aͤußern Urſachen vorhanden ſind, und die Umſtaͤnde eher ſeiner Natur gemaͤß ſich entwickeln laſ- ſen. Da nun aber die erfolgende Entwickelung ſo wohl von aͤußern als von innern Urſachen abhaͤngt, wie weit ſind jene unentbehrlich, wenn wir blos hier die Sprach- faͤhigkeit in Betracht ziehen? Wie ſtarktreibend iſt die innere Naturanlage dazu und wie weit braucht es der Pflege und der Reizung von außen? Jſt hier nichts weiter noͤthig, als was der natuͤrlich nothwendige Ge- brauch vollſtaͤndiger und geſunder Sinnglieder ſchon mit ſich bringet? oder iſt uͤberdieß noch eine Anfuͤhrung von andern ſchon bis zur Sprache entwickelten Menſchen und eine Jnſtruktion erfoderlich, wie eine Art von kuͤnſtlicher Pflege bey unſeren Pflanzen und heißen Erd- ſtrichen, wenn ſie zu Bluͤthe kommen und reife Fruͤchte geben ſollen.
Jn
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zum eilften Verſuch.
Verſtandes da; und iſt dieſer da, ſo wirket der Menſch
ſchon als ein freyes Weſen. Vielleicht kann man die
Seele noch fruͤhzeitiger fuͤr voͤllig gebildet anſehen, ehe
es noch zum Sprechen kommt, aber deſto gewiſſer iſt ſie
es in dieſer Epoche, in der nicht blos Anlage zur Ver-
nunft, und Anlage ſprechen zu lernen, ſondern auch
wirkliche Vernunft, und Sprachfaͤhigkeit, als unmit-
telbare naͤchſte Vermoͤgen vorhanden ſind.
Laß es uns dahin geſtellet laſſen, auf welche Art die
Entwickelung der Grundkraft bis dahin vor ſich gehe,
was in dieſer die angebohrne Anlage zu jenen Faͤhigkei-
ten eigentlich ſey, und in welcher Beziehung ſie auf dieſe
letztern ſtehen moͤgen? ſo muß uns doch noch eine andere
fruchtbare Unterſuchung aufſtoßen, wenn wir bey dieſer
Entwickelung auf die aͤußern Umſtaͤnde und Urſachen
ſehen, deren Einfluß zu ihr erfodert wird, und auf die
groͤßere oder geringere Nothwendigkeit dieſes Einflußes.
Die Anlagen zur Sprache und Vernunft ſind in der an-
gebohrnen Natur; und dieſe Natur treibet durch innere
Kraft wie der Keim in den Pflanzen, wenn die ihn in
Thaͤtigkeit ſetzende aͤußern Urſachen vorhanden ſind, und
die Umſtaͤnde eher ſeiner Natur gemaͤß ſich entwickeln laſ-
ſen. Da nun aber die erfolgende Entwickelung ſo wohl
von aͤußern als von innern Urſachen abhaͤngt, wie weit
ſind jene unentbehrlich, wenn wir blos hier die Sprach-
faͤhigkeit in Betracht ziehen? Wie ſtarktreibend iſt die
innere Naturanlage dazu und wie weit braucht es der
Pflege und der Reizung von außen? Jſt hier nichts
weiter noͤthig, als was der natuͤrlich nothwendige Ge-
brauch vollſtaͤndiger und geſunder Sinnglieder ſchon mit
ſich bringet? oder iſt uͤberdieß noch eine Anfuͤhrung
von andern ſchon bis zur Sprache entwickelten Menſchen
und eine Jnſtruktion erfoderlich, wie eine Art von
kuͤnſtlicher Pflege bey unſeren Pflanzen und heißen Erd-
ſtrichen, wenn ſie zu Bluͤthe kommen und reife Fruͤchte
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 767. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/827>, abgerufen am 24.11.2024.
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