gleichung kommen. Sie sind so wenig Beweise von er- höheten Seelenkräften in den Thieren, so sehr wir sie auch bewundern, weil wir sie an Thieren sehen, wo wir sie nicht gewohnt sind, daß sie vielmehr eine wahre Her- absetzung der thierischen Natur sind, die bey der gewalt- samen Einklemmung in eine gewisse Form geschwächet und zerdrücket worden ist. Es ist bekannt, daß die Geschick- lichkeit des zur Jagd abgerichteten Falken, die uns von außen eine Wirkung eines größern Witzes zu seyn schei- net, in der That in Furcht und Aberwitz gegründet ist. Und so findet man es bey andern abgerichteten Vögeln, Affen, Bären, und so gar bey den Hunden.
Jn der tiefsten Erniedrigung, in der man jemals die menschliche Natur gefunden hat, in dem Wald-Bär- und Schaf-Menschen, in den sprachlosen Jchthyopha- gen des Diodors,*) wenn es anders dergleichen, wie zu zweifeln ist, je gegeben hat, wo nur die Naturanlage vollständig gewesen ist, da hat sich der Vorzug an Em- pfindlichkeit und Selbstthätigkeit, als der unauslösch- liche Charakter der Menschheit offenbaret. Der Bär- mensch war doch mehr als ein Bär; der Schafmensch mehr als ein Schaf. Es giebt unendliche Stufen von der Form des neugebohrnen Kindes an bis zu der Form des dreyßigjährigen Mannes, und die mannigfaltigen Modifikationen der Menschheit, womit uns die Erfah- rung bekannt gemacht, zeigen, auf welcher niedrigen Stufe sie in ihrer Entwickelung zurückgehalten merden könne. Aber die Naturvorzüge sind in allen. Die an- gebohrne Selbstmacht beweiset zwar keine so starke Trie- be, daß sie ohne Reizungen von außen zu haben, allent- halben in gleicher Stärke hervorgehe, sich allenthalben gleich entwickele, und durch alle äußere Hindernisse sich nothwendig durcharbeite. Und dieß lehret uns unsere Erfahrung in der Nähe. Deutlicher und auffallender
lehrt
*)Diodor. Sicul. Rer. Ant. Lib. IV. Cap. 3.
der menſchlichen Seele ⁊c.
gleichung kommen. Sie ſind ſo wenig Beweiſe von er- hoͤheten Seelenkraͤften in den Thieren, ſo ſehr wir ſie auch bewundern, weil wir ſie an Thieren ſehen, wo wir ſie nicht gewohnt ſind, daß ſie vielmehr eine wahre Her- abſetzung der thieriſchen Natur ſind, die bey der gewalt- ſamen Einklemmung in eine gewiſſe Form geſchwaͤchet und zerdruͤcket worden iſt. Es iſt bekannt, daß die Geſchick- lichkeit des zur Jagd abgerichteten Falken, die uns von außen eine Wirkung eines groͤßern Witzes zu ſeyn ſchei- net, in der That in Furcht und Aberwitz gegruͤndet iſt. Und ſo findet man es bey andern abgerichteten Voͤgeln, Affen, Baͤren, und ſo gar bey den Hunden.
Jn der tiefſten Erniedrigung, in der man jemals die menſchliche Natur gefunden hat, in dem Wald-Baͤr- und Schaf-Menſchen, in den ſprachloſen Jchthyopha- gen des Diodors,*) wenn es anders dergleichen, wie zu zweifeln iſt, je gegeben hat, wo nur die Naturanlage vollſtaͤndig geweſen iſt, da hat ſich der Vorzug an Em- pfindlichkeit und Selbſtthaͤtigkeit, als der unausloͤſch- liche Charakter der Menſchheit offenbaret. Der Baͤr- menſch war doch mehr als ein Baͤr; der Schafmenſch mehr als ein Schaf. Es giebt unendliche Stufen von der Form des neugebohrnen Kindes an bis zu der Form des dreyßigjaͤhrigen Mannes, und die mannigfaltigen Modifikationen der Menſchheit, womit uns die Erfah- rung bekannt gemacht, zeigen, auf welcher niedrigen Stufe ſie in ihrer Entwickelung zuruͤckgehalten merden koͤnne. Aber die Naturvorzuͤge ſind in allen. Die an- gebohrne Selbſtmacht beweiſet zwar keine ſo ſtarke Trie- be, daß ſie ohne Reizungen von außen zu haben, allent- halben in gleicher Staͤrke hervorgehe, ſich allenthalben gleich entwickele, und durch alle aͤußere Hinderniſſe ſich nothwendig durcharbeite. Und dieß lehret uns unſere Erfahrung in der Naͤhe. Deutlicher und auffallender
lehrt
*)Diodor. Sicul. Rer. Ant. Lib. IV. Cap. 3.
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der menſchlichen Seele ⁊c.
gleichung kommen. Sie ſind ſo wenig Beweiſe von er-
hoͤheten Seelenkraͤften in den Thieren, ſo ſehr wir ſie
auch bewundern, weil wir ſie an Thieren ſehen, wo wir
ſie nicht gewohnt ſind, daß ſie vielmehr eine wahre Her-
abſetzung der thieriſchen Natur ſind, die bey der gewalt-
ſamen Einklemmung in eine gewiſſe Form geſchwaͤchet und
zerdruͤcket worden iſt. Es iſt bekannt, daß die Geſchick-
lichkeit des zur Jagd abgerichteten Falken, die uns von
außen eine Wirkung eines groͤßern Witzes zu ſeyn ſchei-
net, in der That in Furcht und Aberwitz gegruͤndet iſt.
Und ſo findet man es bey andern abgerichteten Voͤgeln,
Affen, Baͤren, und ſo gar bey den Hunden.
Jn der tiefſten Erniedrigung, in der man jemals
die menſchliche Natur gefunden hat, in dem Wald-Baͤr-
und Schaf-Menſchen, in den ſprachloſen Jchthyopha-
gen des Diodors, *) wenn es anders dergleichen, wie
zu zweifeln iſt, je gegeben hat, wo nur die Naturanlage
vollſtaͤndig geweſen iſt, da hat ſich der Vorzug an Em-
pfindlichkeit und Selbſtthaͤtigkeit, als der unausloͤſch-
liche Charakter der Menſchheit offenbaret. Der Baͤr-
menſch war doch mehr als ein Baͤr; der Schafmenſch
mehr als ein Schaf. Es giebt unendliche Stufen von
der Form des neugebohrnen Kindes an bis zu der Form
des dreyßigjaͤhrigen Mannes, und die mannigfaltigen
Modifikationen der Menſchheit, womit uns die Erfah-
rung bekannt gemacht, zeigen, auf welcher niedrigen
Stufe ſie in ihrer Entwickelung zuruͤckgehalten merden
koͤnne. Aber die Naturvorzuͤge ſind in allen. Die an-
gebohrne Selbſtmacht beweiſet zwar keine ſo ſtarke Trie-
be, daß ſie ohne Reizungen von außen zu haben, allent-
halben in gleicher Staͤrke hervorgehe, ſich allenthalben
gleich entwickele, und durch alle aͤußere Hinderniſſe ſich
nothwendig durcharbeite. Und dieß lehret uns unſere
Erfahrung in der Naͤhe. Deutlicher und auffallender
lehrt
*) Diodor. Sicul. Rer. Ant. Lib. IV. Cap. 3.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/825>, abgerufen am 24.11.2024.
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