Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XI. Versuch. Ueber die Grundkraft
sern Umfanges zu der innern Jntension ihres Wirkungs-
kreises entspringet, den völligen Charakter der Menschheit
allein nicht ausmachen. An sich giebt dieses Verhält-
niß denen Menschen nicht einmal Vorzüge vor den Thie-
ren, wenn nicht noch überdieß der ganzen Seelenkraft
im Menschen eine größere innere Stärke beygeleget
wird. Thier- und Menschenseelen würden ohngefähr in
das Verhältniß mit einander kommen, dergleichen zwi-
schen den kleinen allgemeinen Geistern, die zu allen mit-
telmäßig geschickt sind, weil sie zu nichts es auf eine vor-
zügliche Art sind, und zwischen den Genies statt findet,
die an Einer Seite weit über den gemeinen Men-
schenverstand erhaben, und an Einer Seite unter ihm
stehen. Dieß letztere würden die Thiere mit ihren star-
ken und sichern Jnstinkten; und jenes der Mensch mit
seinen schwachen zu allen aufgelegten Naturkräften seyn.
Bey welchen ist aber die größte Seelengröße? Sie
kann so gar in den letztern geringer seyn, als in jenen.
Dieß wird von der absoluten Größe der Kraft ab-
hangen.

Es ist aber über die Maßen unwahrscheinlich, und
ohne Bedenken setze ich hinzu, falsch, und den Beob-
achtungen zuwider, daß die ganze Seelengröße bey
Thieren und Menschen gleich seyn sollte; so wie es un-
wahrscheinlich ist, daß sie in allen Thierarten gleich sey.
Jhre Verschiedenheit muß also| auch außer der Ver-
theilung der Kraft, nach mehrern oder wenigern Rich-
tungen hin, und außer dem Verhältniß der Ausdeh-
nung zur Jntension, noch etwas Mehr in dem Jnnern
hinter sich haben.

Endlich, wenn man auch hinzusetzet, daß die posi-
tive Seelenkraft im Menschen überhaupt größer seyn
solle, als die in den Thieren, so sehe ich noch nicht, wie
diese größere und mannigfaltigere modifikable Grundkraft
zu etwas mehr, als zu einer Thierkraft von mehrern

und

XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft
ſern Umfanges zu der innern Jntenſion ihres Wirkungs-
kreiſes entſpringet, den voͤlligen Charakter der Menſchheit
allein nicht ausmachen. An ſich giebt dieſes Verhaͤlt-
niß denen Menſchen nicht einmal Vorzuͤge vor den Thie-
ren, wenn nicht noch uͤberdieß der ganzen Seelenkraft
im Menſchen eine groͤßere innere Staͤrke beygeleget
wird. Thier- und Menſchenſeelen wuͤrden ohngefaͤhr in
das Verhaͤltniß mit einander kommen, dergleichen zwi-
ſchen den kleinen allgemeinen Geiſtern, die zu allen mit-
telmaͤßig geſchickt ſind, weil ſie zu nichts es auf eine vor-
zuͤgliche Art ſind, und zwiſchen den Genies ſtatt findet,
die an Einer Seite weit uͤber den gemeinen Men-
ſchenverſtand erhaben, und an Einer Seite unter ihm
ſtehen. Dieß letztere wuͤrden die Thiere mit ihren ſtar-
ken und ſichern Jnſtinkten; und jenes der Menſch mit
ſeinen ſchwachen zu allen aufgelegten Naturkraͤften ſeyn.
Bey welchen iſt aber die groͤßte Seelengroͤße? Sie
kann ſo gar in den letztern geringer ſeyn, als in jenen.
Dieß wird von der abſoluten Groͤße der Kraft ab-
hangen.

Es iſt aber uͤber die Maßen unwahrſcheinlich, und
ohne Bedenken ſetze ich hinzu, falſch, und den Beob-
achtungen zuwider, daß die ganze Seelengroͤße bey
Thieren und Menſchen gleich ſeyn ſollte; ſo wie es un-
wahrſcheinlich iſt, daß ſie in allen Thierarten gleich ſey.
Jhre Verſchiedenheit muß alſo| auch außer der Ver-
theilung der Kraft, nach mehrern oder wenigern Rich-
tungen hin, und außer dem Verhaͤltniß der Ausdeh-
nung zur Jntenſion, noch etwas Mehr in dem Jnnern
hinter ſich haben.

Endlich, wenn man auch hinzuſetzet, daß die poſi-
tive Seelenkraft im Menſchen uͤberhaupt groͤßer ſeyn
ſolle, als die in den Thieren, ſo ſehe ich noch nicht, wie
dieſe groͤßere und mannigfaltigere modifikable Grundkraft
zu etwas mehr, als zu einer Thierkraft von mehrern

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0810" n="750"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XI.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Grundkraft</hi></fw><lb/>
&#x017F;ern Umfanges zu der innern Jnten&#x017F;ion ihres Wirkungs-<lb/>
krei&#x017F;es ent&#x017F;pringet, den vo&#x0364;lligen Charakter der Men&#x017F;chheit<lb/>
allein nicht ausmachen. An &#x017F;ich giebt die&#x017F;es Verha&#x0364;lt-<lb/>
niß denen Men&#x017F;chen nicht einmal Vorzu&#x0364;ge vor den Thie-<lb/>
ren, wenn nicht noch u&#x0364;berdieß der ganzen Seelenkraft<lb/>
im Men&#x017F;chen eine <hi rendition="#fr">gro&#x0364;ßere innere Sta&#x0364;rke</hi> beygeleget<lb/>
wird. Thier- und Men&#x017F;chen&#x017F;eelen wu&#x0364;rden ohngefa&#x0364;hr in<lb/>
das Verha&#x0364;ltniß mit einander kommen, dergleichen zwi-<lb/>
&#x017F;chen den kleinen allgemeinen Gei&#x017F;tern, die zu allen mit-<lb/>
telma&#x0364;ßig ge&#x017F;chickt &#x017F;ind, weil &#x017F;ie zu nichts es auf eine vor-<lb/>
zu&#x0364;gliche Art &#x017F;ind, und zwi&#x017F;chen den Genies &#x017F;tatt findet,<lb/>
die an Einer Seite weit u&#x0364;ber den gemeinen Men-<lb/>
&#x017F;chenver&#x017F;tand erhaben, und an Einer Seite unter ihm<lb/>
&#x017F;tehen. Dieß letztere wu&#x0364;rden die Thiere mit ihren &#x017F;tar-<lb/>
ken und &#x017F;ichern Jn&#x017F;tinkten; und jenes der Men&#x017F;ch mit<lb/>
&#x017F;einen &#x017F;chwachen zu allen aufgelegten Naturkra&#x0364;ften &#x017F;eyn.<lb/>
Bey welchen i&#x017F;t aber die gro&#x0364;ßte Seelengro&#x0364;ße? Sie<lb/>
kann &#x017F;o gar in den letztern geringer &#x017F;eyn, als in jenen.<lb/>
Dieß wird von der <hi rendition="#fr">ab&#x017F;oluten Gro&#x0364;ße</hi> der Kraft ab-<lb/>
hangen.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t aber u&#x0364;ber die Maßen unwahr&#x017F;cheinlich, und<lb/>
ohne Bedenken &#x017F;etze ich hinzu, fal&#x017F;ch, und den Beob-<lb/>
achtungen zuwider, daß die ganze Seelengro&#x0364;ße bey<lb/>
Thieren und Men&#x017F;chen gleich &#x017F;eyn &#x017F;ollte; &#x017F;o wie es un-<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t, daß &#x017F;ie in allen Thierarten gleich &#x017F;ey.<lb/>
Jhre Ver&#x017F;chiedenheit muß al&#x017F;o| auch außer der Ver-<lb/>
theilung der Kraft, nach mehrern oder wenigern Rich-<lb/>
tungen hin, und außer dem Verha&#x0364;ltniß der Ausdeh-<lb/>
nung zur Jnten&#x017F;ion, noch etwas Mehr in dem Jnnern<lb/>
hinter &#x017F;ich haben.</p><lb/>
            <p>Endlich, wenn man auch hinzu&#x017F;etzet, daß die po&#x017F;i-<lb/>
tive Seelenkraft im Men&#x017F;chen u&#x0364;berhaupt gro&#x0364;ßer &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;olle, als die in den Thieren, &#x017F;o &#x017F;ehe ich noch nicht, wie<lb/>
die&#x017F;e gro&#x0364;ßere und mannigfaltigere modifikable Grundkraft<lb/>
zu etwas mehr, als zu einer <hi rendition="#fr">Thierkraft</hi> von mehrern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[750/0810] XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft ſern Umfanges zu der innern Jntenſion ihres Wirkungs- kreiſes entſpringet, den voͤlligen Charakter der Menſchheit allein nicht ausmachen. An ſich giebt dieſes Verhaͤlt- niß denen Menſchen nicht einmal Vorzuͤge vor den Thie- ren, wenn nicht noch uͤberdieß der ganzen Seelenkraft im Menſchen eine groͤßere innere Staͤrke beygeleget wird. Thier- und Menſchenſeelen wuͤrden ohngefaͤhr in das Verhaͤltniß mit einander kommen, dergleichen zwi- ſchen den kleinen allgemeinen Geiſtern, die zu allen mit- telmaͤßig geſchickt ſind, weil ſie zu nichts es auf eine vor- zuͤgliche Art ſind, und zwiſchen den Genies ſtatt findet, die an Einer Seite weit uͤber den gemeinen Men- ſchenverſtand erhaben, und an Einer Seite unter ihm ſtehen. Dieß letztere wuͤrden die Thiere mit ihren ſtar- ken und ſichern Jnſtinkten; und jenes der Menſch mit ſeinen ſchwachen zu allen aufgelegten Naturkraͤften ſeyn. Bey welchen iſt aber die groͤßte Seelengroͤße? Sie kann ſo gar in den letztern geringer ſeyn, als in jenen. Dieß wird von der abſoluten Groͤße der Kraft ab- hangen. Es iſt aber uͤber die Maßen unwahrſcheinlich, und ohne Bedenken ſetze ich hinzu, falſch, und den Beob- achtungen zuwider, daß die ganze Seelengroͤße bey Thieren und Menſchen gleich ſeyn ſollte; ſo wie es un- wahrſcheinlich iſt, daß ſie in allen Thierarten gleich ſey. Jhre Verſchiedenheit muß alſo| auch außer der Ver- theilung der Kraft, nach mehrern oder wenigern Rich- tungen hin, und außer dem Verhaͤltniß der Ausdeh- nung zur Jntenſion, noch etwas Mehr in dem Jnnern hinter ſich haben. Endlich, wenn man auch hinzuſetzet, daß die poſi- tive Seelenkraft im Menſchen uͤberhaupt groͤßer ſeyn ſolle, als die in den Thieren, ſo ſehe ich noch nicht, wie dieſe groͤßere und mannigfaltigere modifikable Grundkraft zu etwas mehr, als zu einer Thierkraft von mehrern und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/810
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 750. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/810>, abgerufen am 05.12.2024.