Vorstellungs- und Denkungsmaschine, wie Hr. Bon- net und Hr. Search glauben? ob sie allein nur in die- sem körperlichen Theil unsers Jchs? nichts mehr als ideae materiales sind? und was sie daselbst sind? ob sie in wirklichen fortdaurenden Bewegungen bestehen, die schwächer als die ersten Eindrücke, aber ihnen ähnlich sind? oder ob sie nur Dispositionen, Tendenzen, Leich- tigkeiten gewisse Bewegungen anzunehmen ausmachen? und was es denn mit solchen Dispositionen in den körper- lichen Fibern für eine Beschaffenheit habe? oder ob sie selbst in dem unkörperlichen Wesen, das wir die Seele nennen, ihren Sitz haben; Beschaffenheiten, Bestim- mungen, Einschränkungen, Dispositionen, neue Anla- gen ihrer Kraft, ideae intellectuales sind? oder ob in beiden in der Seele und in ihrem Organ, zugleich so etwas zusammengehöriges vorhanden sey; eine idea materialis im Gehirn, eine idea intellectualis, oder Seelenverän- derung in der Seele selbst? und ob dann diese letztere ei- gentlich das ist, was wir die Vorstellung nennen? Wel- che Fragen! Nach einer Menge von Vergleichungen und Schlüssen kann man nur wahrscheinlich machen, daß es köperliche Beschaffenheiten in dem Gehirn wirklich ge- be, wenn Vorstellungen vorhanden sind. Worinnen sie bestehen, das gehöret zu den verborgensten Geheim- nißen der Natur, worüber man vieles muthmaaßen und dichten, aber wenig beweisen kann. Hievon an ei- nem andern Ort. Eine Physik der Seele, die auf Be- obachtungen gegründet seyn soll, muß nicht damit an- fangen, daß sie die Vorstellungen in die Fibern des Ge- hirns hinsetzet; allenfalls kann sie damit endigen. So viel ist indessen eine reine Beobachtung. Die Vorstel- lungen sind in uns, in dem denkenden Menschen, in dem Eins was wir das vorstellende Wesen, die Seele, das Seelenwesen, nennen. Mehr gehöret nicht zu den Grundsätzen der Erfahrung.
8) Die
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der Vorſtellungen.
Vorſtellungs- und Denkungsmaſchine, wie Hr. Bon- net und Hr. Search glauben? ob ſie allein nur in die- ſem koͤrperlichen Theil unſers Jchs? nichts mehr als ideae materiales ſind? und was ſie daſelbſt ſind? ob ſie in wirklichen fortdaurenden Bewegungen beſtehen, die ſchwaͤcher als die erſten Eindruͤcke, aber ihnen aͤhnlich ſind? oder ob ſie nur Dispoſitionen, Tendenzen, Leich- tigkeiten gewiſſe Bewegungen anzunehmen ausmachen? und was es denn mit ſolchen Dispoſitionen in den koͤrper- lichen Fibern fuͤr eine Beſchaffenheit habe? oder ob ſie ſelbſt in dem unkoͤrperlichen Weſen, das wir die Seele nennen, ihren Sitz haben; Beſchaffenheiten, Beſtim- mungen, Einſchraͤnkungen, Dispoſitionen, neue Anla- gen ihrer Kraft, ideae intellectuales ſind? oder ob in beiden in der Seele und in ihrem Organ, zugleich ſo etwas zuſammengehoͤriges vorhanden ſey; eine idea materialis im Gehirn, eine idea intellectualis, oder Seelenveraͤn- derung in der Seele ſelbſt? und ob dann dieſe letztere ei- gentlich das iſt, was wir die Vorſtellung nennen? Wel- che Fragen! Nach einer Menge von Vergleichungen und Schluͤſſen kann man nur wahrſcheinlich machen, daß es koͤperliche Beſchaffenheiten in dem Gehirn wirklich ge- be, wenn Vorſtellungen vorhanden ſind. Worinnen ſie beſtehen, das gehoͤret zu den verborgenſten Geheim- nißen der Natur, woruͤber man vieles muthmaaßen und dichten, aber wenig beweiſen kann. Hievon an ei- nem andern Ort. Eine Phyſik der Seele, die auf Be- obachtungen gegruͤndet ſeyn ſoll, muß nicht damit an- fangen, daß ſie die Vorſtellungen in die Fibern des Ge- hirns hinſetzet; allenfalls kann ſie damit endigen. So viel iſt indeſſen eine reine Beobachtung. Die Vorſtel- lungen ſind in uns, in dem denkenden Menſchen, in dem Eins was wir das vorſtellende Weſen, die Seele, das Seelenweſen, nennen. Mehr gehoͤret nicht zu den Grundſaͤtzen der Erfahrung.
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Vorſtellungs- und Denkungsmaſchine, wie Hr. Bon-
net und Hr. Search glauben? ob ſie allein nur in die-
ſem koͤrperlichen Theil unſers Jchs? nichts mehr als
ideae materiales ſind? und was ſie daſelbſt ſind? ob ſie
in wirklichen fortdaurenden Bewegungen beſtehen, die
ſchwaͤcher als die erſten Eindruͤcke, aber ihnen aͤhnlich
ſind? oder ob ſie nur Dispoſitionen, Tendenzen, Leich-
tigkeiten gewiſſe Bewegungen anzunehmen ausmachen?
und was es denn mit ſolchen Dispoſitionen in den koͤrper-
lichen Fibern fuͤr eine Beſchaffenheit habe? oder ob ſie
ſelbſt in dem unkoͤrperlichen Weſen, das wir die Seele
nennen, ihren Sitz haben; Beſchaffenheiten, Beſtim-
mungen, Einſchraͤnkungen, Dispoſitionen, neue Anla-
gen ihrer Kraft, ideae intellectuales ſind? oder ob in
beiden in der Seele und in ihrem Organ, zugleich ſo etwas
zuſammengehoͤriges vorhanden ſey; eine idea materialis
im Gehirn, eine idea intellectualis, oder Seelenveraͤn-
derung in der Seele ſelbſt? und ob dann dieſe letztere ei-
gentlich das iſt, was wir die Vorſtellung nennen? Wel-
che Fragen! Nach einer Menge von Vergleichungen
und Schluͤſſen kann man nur wahrſcheinlich machen, daß
es koͤperliche Beſchaffenheiten in dem Gehirn wirklich ge-
be, wenn Vorſtellungen vorhanden ſind. Worinnen
ſie beſtehen, das gehoͤret zu den verborgenſten Geheim-
nißen der Natur, woruͤber man vieles muthmaaßen
und dichten, aber wenig beweiſen kann. Hievon an ei-
nem andern Ort. Eine Phyſik der Seele, die auf Be-
obachtungen gegruͤndet ſeyn ſoll, muß nicht damit an-
fangen, daß ſie die Vorſtellungen in die Fibern des Ge-
hirns hinſetzet; allenfalls kann ſie damit endigen. So
viel iſt indeſſen eine reine Beobachtung. Die Vorſtel-
lungen ſind in uns, in dem denkenden Menſchen, in
dem Eins was wir das vorſtellende Weſen, die Seele,
das Seelenweſen, nennen. Mehr gehoͤret nicht zu
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/79>, abgerufen am 16.07.2024.
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