Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
der Vorstellungskraft etc.
8.

Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungssätze
führen uns zu einer entferntern Ursache, wovon das un-
gleiche Verhältniß entstehet, in welchem die Grundver-
mögen der Seele, das Gefühl, der Verstand und die
Thätigkeitskraft bey verschiedenen Jndividuen entwickelt
werden. Die nächste Folgerung aus dem vorhergehen-
den ist diese: Da die äußere Welt für die Menschen-
seelen, im Anfang wenigstens für die Kinder fast diesel-
bige ist, da jedweder gutorganisirter Mensch, durch alle
Sinne gleichartige Eindrücke von gleichen Gegenständen
empfängt, so kann, wenn alles übrige gleich ist, die ver-
schiedene Art, womit die von außen auffallenden Verän-
derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge-
macht werden, allein schon den Unterschied zwischen den
Menschen von Empfindung, von Verstande und von
Geschäftigkeit, veranlassen. Laß die Organe so einge-
richtet seyn, daß sie überhaupt die Eindrücke von den
Objekten etwas mäßigen, sie zerstreuen, auseinander
setzen; oder laß sie ihrer Feinheit wegen mehr solche durch-
lassen, die so beschaffen sind, als andere; oder laß die
Receptivität der Seele selbst ein wenig mehr von einer
zerstreuenden Kraft, wenn das Vermögen die auf-
fallenden Eindrücke auseinander zu setzen, und sie da-
durch gemäßigter und deutlicher zu machen, so genennet
werden darf, an sich haben; oder endlich, laß beides,
die harmonische Disposition in den Organen, und in der
Seelenkraft -- nach welcher psychologischen Hypothese
man sichs vorstellen will, -- zu dieser Zertheilung und
Mäßigung der Jmpressionen beytragen; so ist die An-
lage schon vorhanden zu einer vorzüglichen Entwickelung
der Vorstellungskraft und des Verstandes. Solche
Eindrücke sind es eben, die am leichtesten bey der Ab-
wesenheit ihrer ersten Ursachen durch die Anwendung der
innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden können,

wozu
Z z 4
der Vorſtellungskraft ⁊c.
8.

Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungsſaͤtze
fuͤhren uns zu einer entferntern Urſache, wovon das un-
gleiche Verhaͤltniß entſtehet, in welchem die Grundver-
moͤgen der Seele, das Gefuͤhl, der Verſtand und die
Thaͤtigkeitskraft bey verſchiedenen Jndividuen entwickelt
werden. Die naͤchſte Folgerung aus dem vorhergehen-
den iſt dieſe: Da die aͤußere Welt fuͤr die Menſchen-
ſeelen, im Anfang wenigſtens fuͤr die Kinder faſt dieſel-
bige iſt, da jedweder gutorganiſirter Menſch, durch alle
Sinne gleichartige Eindruͤcke von gleichen Gegenſtaͤnden
empfaͤngt, ſo kann, wenn alles uͤbrige gleich iſt, die ver-
ſchiedene Art, womit die von außen auffallenden Veraͤn-
derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge-
macht werden, allein ſchon den Unterſchied zwiſchen den
Menſchen von Empfindung, von Verſtande und von
Geſchaͤftigkeit, veranlaſſen. Laß die Organe ſo einge-
richtet ſeyn, daß ſie uͤberhaupt die Eindruͤcke von den
Objekten etwas maͤßigen, ſie zerſtreuen, auseinander
ſetzen; oder laß ſie ihrer Feinheit wegen mehr ſolche durch-
laſſen, die ſo beſchaffen ſind, als andere; oder laß die
Receptivitaͤt der Seele ſelbſt ein wenig mehr von einer
zerſtreuenden Kraft, wenn das Vermoͤgen die auf-
fallenden Eindruͤcke auseinander zu ſetzen, und ſie da-
durch gemaͤßigter und deutlicher zu machen, ſo genennet
werden darf, an ſich haben; oder endlich, laß beides,
die harmoniſche Diſpoſition in den Organen, und in der
Seelenkraft — nach welcher pſychologiſchen Hypotheſe
man ſichs vorſtellen will, — zu dieſer Zertheilung und
Maͤßigung der Jmpreſſionen beytragen; ſo iſt die An-
lage ſchon vorhanden zu einer vorzuͤglichen Entwickelung
der Vorſtellungskraft und des Verſtandes. Solche
Eindruͤcke ſind es eben, die am leichteſten bey der Ab-
weſenheit ihrer erſten Urſachen durch die Anwendung der
innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden koͤnnen,

wozu
Z z 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0787" n="727"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Vor&#x017F;tellungskraft &#x204A;c.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>8.</head><lb/>
            <p>Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungs&#x017F;a&#x0364;tze<lb/>
fu&#x0364;hren uns zu einer entferntern Ur&#x017F;ache, wovon das un-<lb/>
gleiche Verha&#x0364;ltniß ent&#x017F;tehet, in welchem die Grundver-<lb/>
mo&#x0364;gen der Seele, das Gefu&#x0364;hl, der Ver&#x017F;tand und die<lb/>
Tha&#x0364;tigkeitskraft bey ver&#x017F;chiedenen Jndividuen entwickelt<lb/>
werden. Die na&#x0364;ch&#x017F;te Folgerung aus dem vorhergehen-<lb/>
den i&#x017F;t die&#x017F;e: Da die a&#x0364;ußere Welt fu&#x0364;r die Men&#x017F;chen-<lb/>
&#x017F;eelen, im Anfang wenig&#x017F;tens fu&#x0364;r die Kinder fa&#x017F;t die&#x017F;el-<lb/>
bige i&#x017F;t, da jedweder gutorgani&#x017F;irter Men&#x017F;ch, durch alle<lb/>
Sinne gleichartige Eindru&#x0364;cke von gleichen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
empfa&#x0364;ngt, &#x017F;o kann, wenn alles u&#x0364;brige gleich i&#x017F;t, die ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Art, womit die von außen auffallenden Vera&#x0364;n-<lb/>
derungen aufgenommen und zu <hi rendition="#fr">Empfindungen</hi> ge-<lb/>
macht werden, allein &#x017F;chon den Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den<lb/>
Men&#x017F;chen von Empfindung, von Ver&#x017F;tande und von<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;ftigkeit, veranla&#x017F;&#x017F;en. Laß die Organe &#x017F;o einge-<lb/>
richtet &#x017F;eyn, daß &#x017F;ie u&#x0364;berhaupt die Eindru&#x0364;cke von den<lb/>
Objekten etwas ma&#x0364;ßigen, &#x017F;ie zer&#x017F;treuen, auseinander<lb/>
&#x017F;etzen; oder laß &#x017F;ie ihrer Feinheit wegen mehr &#x017F;olche durch-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;o be&#x017F;chaffen &#x017F;ind, als andere; oder laß die<lb/>
Receptivita&#x0364;t der Seele &#x017F;elb&#x017F;t ein wenig mehr von einer<lb/><hi rendition="#fr">zer&#x017F;treuenden Kraft,</hi> wenn das Vermo&#x0364;gen die auf-<lb/>
fallenden Eindru&#x0364;cke auseinander zu &#x017F;etzen, und &#x017F;ie da-<lb/>
durch gema&#x0364;ßigter und deutlicher zu machen, &#x017F;o genennet<lb/>
werden darf, an &#x017F;ich haben; oder endlich, laß beides,<lb/>
die harmoni&#x017F;che Di&#x017F;po&#x017F;ition in den Organen, und in der<lb/>
Seelenkraft &#x2014; nach welcher p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Hypothe&#x017F;e<lb/>
man &#x017F;ichs vor&#x017F;tellen will, &#x2014; zu die&#x017F;er Zertheilung und<lb/>
Ma&#x0364;ßigung der Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen beytragen; &#x017F;o i&#x017F;t die An-<lb/>
lage &#x017F;chon vorhanden zu einer vorzu&#x0364;glichen Entwickelung<lb/>
der Vor&#x017F;tellungskraft und des Ver&#x017F;tandes. Solche<lb/>
Eindru&#x0364;cke &#x017F;ind es eben, die am leichte&#x017F;ten bey der Ab-<lb/>
we&#x017F;enheit ihrer er&#x017F;ten Ur&#x017F;achen durch die Anwendung der<lb/>
innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden ko&#x0364;nnen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z z 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wozu</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[727/0787] der Vorſtellungskraft ⁊c. 8. Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungsſaͤtze fuͤhren uns zu einer entferntern Urſache, wovon das un- gleiche Verhaͤltniß entſtehet, in welchem die Grundver- moͤgen der Seele, das Gefuͤhl, der Verſtand und die Thaͤtigkeitskraft bey verſchiedenen Jndividuen entwickelt werden. Die naͤchſte Folgerung aus dem vorhergehen- den iſt dieſe: Da die aͤußere Welt fuͤr die Menſchen- ſeelen, im Anfang wenigſtens fuͤr die Kinder faſt dieſel- bige iſt, da jedweder gutorganiſirter Menſch, durch alle Sinne gleichartige Eindruͤcke von gleichen Gegenſtaͤnden empfaͤngt, ſo kann, wenn alles uͤbrige gleich iſt, die ver- ſchiedene Art, womit die von außen auffallenden Veraͤn- derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge- macht werden, allein ſchon den Unterſchied zwiſchen den Menſchen von Empfindung, von Verſtande und von Geſchaͤftigkeit, veranlaſſen. Laß die Organe ſo einge- richtet ſeyn, daß ſie uͤberhaupt die Eindruͤcke von den Objekten etwas maͤßigen, ſie zerſtreuen, auseinander ſetzen; oder laß ſie ihrer Feinheit wegen mehr ſolche durch- laſſen, die ſo beſchaffen ſind, als andere; oder laß die Receptivitaͤt der Seele ſelbſt ein wenig mehr von einer zerſtreuenden Kraft, wenn das Vermoͤgen die auf- fallenden Eindruͤcke auseinander zu ſetzen, und ſie da- durch gemaͤßigter und deutlicher zu machen, ſo genennet werden darf, an ſich haben; oder endlich, laß beides, die harmoniſche Diſpoſition in den Organen, und in der Seelenkraft — nach welcher pſychologiſchen Hypotheſe man ſichs vorſtellen will, — zu dieſer Zertheilung und Maͤßigung der Jmpreſſionen beytragen; ſo iſt die An- lage ſchon vorhanden zu einer vorzuͤglichen Entwickelung der Vorſtellungskraft und des Verſtandes. Solche Eindruͤcke ſind es eben, die am leichteſten bey der Ab- weſenheit ihrer erſten Urſachen durch die Anwendung der innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden koͤnnen, wozu Z z 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/787
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/787>, abgerufen am 22.12.2024.