genstände lebhaft empfunden zu haben. Jch nehme sol- che Fälle aus, wo ein besonderer Geschmack eine Folge von einem Geschmack an andern Dingen ist, und also nur die Objekte verändert, wenn er sich als eine neue Art des Geschmacks offenbaret.
Die unangenehmen Gefühle schließe ich hievon aus. Diese erregen Bestrebungen, uns ihrer zu entledi- gen, und also unsern Zustand zu verändern, das ist, Bestrebungen der Thätigkeitskraft; aber sie können ih- rer Natur nach die Seele nicht an sich ziehen, und sie dahin bringen, daß sie sich mit ihnen näher, stärker und inniger einlasse, und das Vermögen, solche Gefühle zu haben, mehr auf sie verwende, und dadurch übe und stärke. Was ich auf die scheinbaren Einwendungen dagegen antworten werde, ist aus dem vorhergehenden leicht zu begreifen. Mißvergnügen und Schmerz er- weichen das Gemüth, machen es bewegbarer, zärtlicher, zum Mitleiden aufgelegter; und wie kann der Geschmack an dem Schönen und Vollkommenen verfeinert und be- festiget werden, wenn nicht neben diesen angenehmen Empfindungen die ihnen entgegenstehenden Widrigen aufgestellet gewesen sind, und jene schmackhafter und be- merkbarer gemacht haben? Laßt die Erfahrungen, wel- che hieher gehören, nur ein wenig zergliedert werden, so bestätigen sie den obigen Satz. So lange die unange- nehmen Eindrücke anhalten, ist freylich das Gefühl an ihnen gebunden, und muß fortfahren, sie anzunehmen, so groß auch das innere Widerstreben ist, womit es sich von ihnen zu entfernen sucht. Aber dadurch werden diese Gefühle selbst nicht anziehend, und locken das Gefühl nicht weiter auf sich heraus, als es durch eine überwälti- gende Kraft gezwungen wird, sich mit ihnen zu beschäf- tigen. Nur aus diesen Ursachen können sie das Gefühl an sich ziehen; wenn sie des Kontrastes wegen gesucht werden, wie die Dissonanzen in der Musik; oder auch
als
Z z 2
der Vorſtellungskraft ⁊c.
genſtaͤnde lebhaft empfunden zu haben. Jch nehme ſol- che Faͤlle aus, wo ein beſonderer Geſchmack eine Folge von einem Geſchmack an andern Dingen iſt, und alſo nur die Objekte veraͤndert, wenn er ſich als eine neue Art des Geſchmacks offenbaret.
Die unangenehmen Gefuͤhle ſchließe ich hievon aus. Dieſe erregen Beſtrebungen, uns ihrer zu entledi- gen, und alſo unſern Zuſtand zu veraͤndern, das iſt, Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft; aber ſie koͤnnen ih- rer Natur nach die Seele nicht an ſich ziehen, und ſie dahin bringen, daß ſie ſich mit ihnen naͤher, ſtaͤrker und inniger einlaſſe, und das Vermoͤgen, ſolche Gefuͤhle zu haben, mehr auf ſie verwende, und dadurch uͤbe und ſtaͤrke. Was ich auf die ſcheinbaren Einwendungen dagegen antworten werde, iſt aus dem vorhergehenden leicht zu begreifen. Mißvergnuͤgen und Schmerz er- weichen das Gemuͤth, machen es bewegbarer, zaͤrtlicher, zum Mitleiden aufgelegter; und wie kann der Geſchmack an dem Schoͤnen und Vollkommenen verfeinert und be- feſtiget werden, wenn nicht neben dieſen angenehmen Empfindungen die ihnen entgegenſtehenden Widrigen aufgeſtellet geweſen ſind, und jene ſchmackhafter und be- merkbarer gemacht haben? Laßt die Erfahrungen, wel- che hieher gehoͤren, nur ein wenig zergliedert werden, ſo beſtaͤtigen ſie den obigen Satz. So lange die unange- nehmen Eindruͤcke anhalten, iſt freylich das Gefuͤhl an ihnen gebunden, und muß fortfahren, ſie anzunehmen, ſo groß auch das innere Widerſtreben iſt, womit es ſich von ihnen zu entfernen ſucht. Aber dadurch werden dieſe Gefuͤhle ſelbſt nicht anziehend, und locken das Gefuͤhl nicht weiter auf ſich heraus, als es durch eine uͤberwaͤlti- gende Kraft gezwungen wird, ſich mit ihnen zu beſchaͤf- tigen. Nur aus dieſen Urſachen koͤnnen ſie das Gefuͤhl an ſich ziehen; wenn ſie des Kontraſtes wegen geſucht werden, wie die Diſſonanzen in der Muſik; oder auch
als
Z z 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0783"n="723"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Vorſtellungskraft ⁊c.</hi></fw><lb/>
genſtaͤnde lebhaft empfunden zu haben. Jch nehme ſol-<lb/>
che Faͤlle aus, wo ein beſonderer Geſchmack eine Folge<lb/>
von einem Geſchmack an andern Dingen iſt, und alſo<lb/>
nur die Objekte veraͤndert, wenn er ſich als eine neue<lb/>
Art des Geſchmacks offenbaret.</p><lb/><p>Die <hirendition="#fr">unangenehmen</hi> Gefuͤhle ſchließe ich hievon<lb/>
aus. Dieſe erregen Beſtrebungen, uns ihrer zu entledi-<lb/>
gen, und alſo unſern Zuſtand zu veraͤndern, das iſt,<lb/>
Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft; aber ſie koͤnnen ih-<lb/>
rer Natur nach die Seele nicht an ſich ziehen, und ſie<lb/>
dahin bringen, daß ſie ſich mit ihnen naͤher, ſtaͤrker und<lb/>
inniger einlaſſe, und das Vermoͤgen, ſolche Gefuͤhle<lb/>
zu haben, mehr auf ſie verwende, und dadurch uͤbe und<lb/>ſtaͤrke. Was ich auf die ſcheinbaren Einwendungen<lb/>
dagegen antworten werde, iſt aus dem vorhergehenden<lb/>
leicht zu begreifen. Mißvergnuͤgen und Schmerz er-<lb/>
weichen das Gemuͤth, machen es bewegbarer, zaͤrtlicher,<lb/>
zum Mitleiden aufgelegter; und wie kann der Geſchmack<lb/>
an dem Schoͤnen und Vollkommenen verfeinert und be-<lb/>
feſtiget werden, wenn nicht neben dieſen angenehmen<lb/>
Empfindungen die ihnen entgegenſtehenden Widrigen<lb/>
aufgeſtellet geweſen ſind, und jene ſchmackhafter und be-<lb/>
merkbarer gemacht haben? Laßt die Erfahrungen, wel-<lb/>
che hieher gehoͤren, nur ein wenig zergliedert werden, ſo<lb/>
beſtaͤtigen ſie den obigen Satz. So lange die unange-<lb/>
nehmen Eindruͤcke anhalten, iſt freylich das Gefuͤhl an<lb/>
ihnen gebunden, und muß fortfahren, ſie anzunehmen,<lb/>ſo groß auch das innere Widerſtreben iſt, womit es ſich<lb/>
von ihnen zu entfernen ſucht. Aber dadurch werden dieſe<lb/>
Gefuͤhle ſelbſt nicht anziehend, und locken das Gefuͤhl<lb/>
nicht weiter auf ſich heraus, als es durch eine uͤberwaͤlti-<lb/>
gende Kraft gezwungen wird, ſich mit ihnen zu beſchaͤf-<lb/>
tigen. Nur aus dieſen Urſachen koͤnnen ſie das Gefuͤhl<lb/>
an ſich ziehen; wenn ſie des Kontraſtes wegen geſucht<lb/>
werden, wie die Diſſonanzen in der Muſik; oder auch<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z z 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">als</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[723/0783]
der Vorſtellungskraft ⁊c.
genſtaͤnde lebhaft empfunden zu haben. Jch nehme ſol-
che Faͤlle aus, wo ein beſonderer Geſchmack eine Folge
von einem Geſchmack an andern Dingen iſt, und alſo
nur die Objekte veraͤndert, wenn er ſich als eine neue
Art des Geſchmacks offenbaret.
Die unangenehmen Gefuͤhle ſchließe ich hievon
aus. Dieſe erregen Beſtrebungen, uns ihrer zu entledi-
gen, und alſo unſern Zuſtand zu veraͤndern, das iſt,
Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft; aber ſie koͤnnen ih-
rer Natur nach die Seele nicht an ſich ziehen, und ſie
dahin bringen, daß ſie ſich mit ihnen naͤher, ſtaͤrker und
inniger einlaſſe, und das Vermoͤgen, ſolche Gefuͤhle
zu haben, mehr auf ſie verwende, und dadurch uͤbe und
ſtaͤrke. Was ich auf die ſcheinbaren Einwendungen
dagegen antworten werde, iſt aus dem vorhergehenden
leicht zu begreifen. Mißvergnuͤgen und Schmerz er-
weichen das Gemuͤth, machen es bewegbarer, zaͤrtlicher,
zum Mitleiden aufgelegter; und wie kann der Geſchmack
an dem Schoͤnen und Vollkommenen verfeinert und be-
feſtiget werden, wenn nicht neben dieſen angenehmen
Empfindungen die ihnen entgegenſtehenden Widrigen
aufgeſtellet geweſen ſind, und jene ſchmackhafter und be-
merkbarer gemacht haben? Laßt die Erfahrungen, wel-
che hieher gehoͤren, nur ein wenig zergliedert werden, ſo
beſtaͤtigen ſie den obigen Satz. So lange die unange-
nehmen Eindruͤcke anhalten, iſt freylich das Gefuͤhl an
ihnen gebunden, und muß fortfahren, ſie anzunehmen,
ſo groß auch das innere Widerſtreben iſt, womit es ſich
von ihnen zu entfernen ſucht. Aber dadurch werden dieſe
Gefuͤhle ſelbſt nicht anziehend, und locken das Gefuͤhl
nicht weiter auf ſich heraus, als es durch eine uͤberwaͤlti-
gende Kraft gezwungen wird, ſich mit ihnen zu beſchaͤf-
tigen. Nur aus dieſen Urſachen koͤnnen ſie das Gefuͤhl
an ſich ziehen; wenn ſie des Kontraſtes wegen geſucht
werden, wie die Diſſonanzen in der Muſik; oder auch
als
Z z 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/783>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.