in ihrer Entwickelung fortgehet. Vielleicht hievon mehr an einem andern Ort. Jch hoffe nicht, daß diese hier blos hingeworfene Erinnerung als ein Tadel der tieffin- nigen Betrachtungen angesehen werde, die von den größten Philosophen hierüber angestellet, und für völlig hinreichend gehalten worden sind. Die Absicht davon ist nur, aufmerksam zu machen auf das, was meiner Ein- sicht nach jene für ihre Nachfolger hier übrig gelassen haben.
4.
Die gleichgültigen Empfindungen reizen zwar die Empfindsamkeit, die eine gewisse Art des Gefühls ist, so wenig als die thätige Kraft, aber können sie nicht doch das Empfindungsvermögen, als ein Theil der Erkennt- nißkraft auf sich ziehen? also die Ursache seyn, daß der Sinn sich gerne mit dem Eindruck beschäftiget, ihn leb- hafter, stärker, völliger, deutlicher in sich aufnimmt? Jch antworte, was meiner Meinung nach für sich selbst klar ist, daß diese nähere und angestrengtere Anwendung des Sinns nur in der Absicht zu beobachten, und die Empfindung besser zu fassen, keine Wirkung des gleich- gültigen Eindrucks sey, als nur, in so ferne diese auch die vorstellende Kraft in Thätigkeit setzet, oder schon darinn gesetzt hat. Diese schärfere Betrachtung ist auf die Vorstellung und Kenntniß gerichtet. Der verstärkte Gebrauch des Sinns ist zum Theil selbst schon eine An- wendung des Vermögens, mit dem wir Nachempfin- dungen und Empfindungsvorstellungen erhalten; theils eine Wirkung davon, daß dieses Vermögen rege ge- macht ist. Aber wenn man endlich hier auf die bloße Empfindung, das ist, auf die bloße Reaktion gegen die empfangene Veränderung, oder die bloße Aeußerung des Sinns, die von der vorstellenden Kraft unterschieden ist, sehen, und in der Jmpression etwas suchen will,
was
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
in ihrer Entwickelung fortgehet. Vielleicht hievon mehr an einem andern Ort. Jch hoffe nicht, daß dieſe hier blos hingeworfene Erinnerung als ein Tadel der tieffin- nigen Betrachtungen angeſehen werde, die von den groͤßten Philoſophen hieruͤber angeſtellet, und fuͤr voͤllig hinreichend gehalten worden ſind. Die Abſicht davon iſt nur, aufmerkſam zu machen auf das, was meiner Ein- ſicht nach jene fuͤr ihre Nachfolger hier uͤbrig gelaſſen haben.
4.
Die gleichguͤltigen Empfindungen reizen zwar die Empfindſamkeit, die eine gewiſſe Art des Gefuͤhls iſt, ſo wenig als die thaͤtige Kraft, aber koͤnnen ſie nicht doch das Empfindungsvermoͤgen, als ein Theil der Erkennt- nißkraft auf ſich ziehen? alſo die Urſache ſeyn, daß der Sinn ſich gerne mit dem Eindruck beſchaͤftiget, ihn leb- hafter, ſtaͤrker, voͤlliger, deutlicher in ſich aufnimmt? Jch antworte, was meiner Meinung nach fuͤr ſich ſelbſt klar iſt, daß dieſe naͤhere und angeſtrengtere Anwendung des Sinns nur in der Abſicht zu beobachten, und die Empfindung beſſer zu faſſen, keine Wirkung des gleich- guͤltigen Eindrucks ſey, als nur, in ſo ferne dieſe auch die vorſtellende Kraft in Thaͤtigkeit ſetzet, oder ſchon darinn geſetzt hat. Dieſe ſchaͤrfere Betrachtung iſt auf die Vorſtellung und Kenntniß gerichtet. Der verſtaͤrkte Gebrauch des Sinns iſt zum Theil ſelbſt ſchon eine An- wendung des Vermoͤgens, mit dem wir Nachempfin- dungen und Empfindungsvorſtellungen erhalten; theils eine Wirkung davon, daß dieſes Vermoͤgen rege ge- macht iſt. Aber wenn man endlich hier auf die bloße Empfindung, das iſt, auf die bloße Reaktion gegen die empfangene Veraͤnderung, oder die bloße Aeußerung des Sinns, die von der vorſtellenden Kraft unterſchieden iſt, ſehen, und in der Jmpreſſion etwas ſuchen will,
was
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
in ihrer Entwickelung fortgehet. Vielleicht hievon mehr
an einem andern Ort. Jch hoffe nicht, daß dieſe hier
blos hingeworfene Erinnerung als ein Tadel der tieffin-
nigen Betrachtungen angeſehen werde, die von den
groͤßten Philoſophen hieruͤber angeſtellet, und fuͤr voͤllig
hinreichend gehalten worden ſind. Die Abſicht davon
iſt nur, aufmerkſam zu machen auf das, was meiner Ein-
ſicht nach jene fuͤr ihre Nachfolger hier uͤbrig gelaſſen
haben.
4.
Die gleichguͤltigen Empfindungen reizen zwar die
Empfindſamkeit, die eine gewiſſe Art des Gefuͤhls iſt,
ſo wenig als die thaͤtige Kraft, aber koͤnnen ſie nicht doch
das Empfindungsvermoͤgen, als ein Theil der Erkennt-
nißkraft auf ſich ziehen? alſo die Urſache ſeyn, daß der
Sinn ſich gerne mit dem Eindruck beſchaͤftiget, ihn leb-
hafter, ſtaͤrker, voͤlliger, deutlicher in ſich aufnimmt?
Jch antworte, was meiner Meinung nach fuͤr ſich ſelbſt
klar iſt, daß dieſe naͤhere und angeſtrengtere Anwendung
des Sinns nur in der Abſicht zu beobachten, und die
Empfindung beſſer zu faſſen, keine Wirkung des gleich-
guͤltigen Eindrucks ſey, als nur, in ſo ferne dieſe auch
die vorſtellende Kraft in Thaͤtigkeit ſetzet, oder ſchon
darinn geſetzt hat. Dieſe ſchaͤrfere Betrachtung iſt auf
die Vorſtellung und Kenntniß gerichtet. Der verſtaͤrkte
Gebrauch des Sinns iſt zum Theil ſelbſt ſchon eine An-
wendung des Vermoͤgens, mit dem wir Nachempfin-
dungen und Empfindungsvorſtellungen erhalten; theils
eine Wirkung davon, daß dieſes Vermoͤgen rege ge-
macht iſt. Aber wenn man endlich hier auf die bloße
Empfindung, das iſt, auf die bloße Reaktion gegen die
empfangene Veraͤnderung, oder die bloße Aeußerung
des Sinns, die von der vorſtellenden Kraft unterſchieden
iſt, ſehen, und in der Jmpreſſion etwas ſuchen will,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/774>, abgerufen am 24.11.2024.
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