sie so fühllos und unthätig sich beweisen, als bey dem gänzlichen Mangel der Eindrücke.
Was aber insbesondere die afficirende Empfin- dungen zu angenehmen Empfindungen mache, und worinn der ursprüngliche Grundcharakter dieser und ih- rer entgegengesetzten, welche Unlust oder Schmerz erre- gen, bestehe, das übergehe ich hier, und werde blos die Erfahrung annehmen, daß einige von ihnen angenehm, andere unangenehm sind. Das erstere Problem scheinet mir, der vortreflichen und scharffinnigen Untersuchungen ohngeachtet, die darüber angestellet sind, noch nicht in seinem ganzen Umfang aufgelöset zu seyn. Wenn eine Empfindung angenehm ist, und die andere widrig, so hängt dieß ohne Zweifel von einer gewissen Beziehung auf die Kräfte, und Vermögen der Seele, in ihrem derzeitigen Zustand, ab. Denn diese Beziehung be- stimmt die Wirkung, die sie hervorbringet. Diese Be- ziehung hat aber einen gedoppelten Grund, einen sub- jektivischen, indem eine gewisse Beschaffenheit und Ein- richtung der Seele und ihrer Grundvermögen erfodert wird, und einen objektivischen in den Gegenständen, deren Jmpressionen mit der also bestimmten Naturkraft der Seele vereiniget werden. Wenn der sogenannte Erweiterungs- oder Entwickelungstrieb, als der alleinige Grundtrieb der Seele angesehen werden könn- te, so würde jener subjektivische Grund dadurch im all- gemeinen bestimmet, und nur noch übrig seyn, die Be- schaffenheit der Objekte und der Jmpressionen von ihnen anzugeben, wodurch sie dem Triebe sich zu erweitern, mehr oder minder angemessen, oder ihm zuwider sind. Und da würde dieß auf Mannigfaltigkeit mit Ueberein- stimmung hinauskommen. Aber Eins steht im Wege, diese Theorie für völlig allgemein und auf alle Arten von gefallenden und angenehmen Modifikationen anwendbar halten zu können. Die Menschenseele äußert eben so
wohl
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
ſie ſo fuͤhllos und unthaͤtig ſich beweiſen, als bey dem gaͤnzlichen Mangel der Eindruͤcke.
Was aber insbeſondere die afficirende Empfin- dungen zu angenehmen Empfindungen mache, und worinn der urſpruͤngliche Grundcharakter dieſer und ih- rer entgegengeſetzten, welche Unluſt oder Schmerz erre- gen, beſtehe, das uͤbergehe ich hier, und werde blos die Erfahrung annehmen, daß einige von ihnen angenehm, andere unangenehm ſind. Das erſtere Problem ſcheinet mir, der vortreflichen und ſcharffinnigen Unterſuchungen ohngeachtet, die daruͤber angeſtellet ſind, noch nicht in ſeinem ganzen Umfang aufgeloͤſet zu ſeyn. Wenn eine Empfindung angenehm iſt, und die andere widrig, ſo haͤngt dieß ohne Zweifel von einer gewiſſen Beziehung auf die Kraͤfte, und Vermoͤgen der Seele, in ihrem derzeitigen Zuſtand, ab. Denn dieſe Beziehung be- ſtimmt die Wirkung, die ſie hervorbringet. Dieſe Be- ziehung hat aber einen gedoppelten Grund, einen ſub- jektiviſchen, indem eine gewiſſe Beſchaffenheit und Ein- richtung der Seele und ihrer Grundvermoͤgen erfodert wird, und einen objektiviſchen in den Gegenſtaͤnden, deren Jmpreſſionen mit der alſo beſtimmten Naturkraft der Seele vereiniget werden. Wenn der ſogenannte Erweiterungs- oder Entwickelungstrieb, als der alleinige Grundtrieb der Seele angeſehen werden koͤnn- te, ſo wuͤrde jener ſubjektiviſche Grund dadurch im all- gemeinen beſtimmet, und nur noch uͤbrig ſeyn, die Be- ſchaffenheit der Objekte und der Jmpreſſionen von ihnen anzugeben, wodurch ſie dem Triebe ſich zu erweitern, mehr oder minder angemeſſen, oder ihm zuwider ſind. Und da wuͤrde dieß auf Mannigfaltigkeit mit Ueberein- ſtimmung hinauskommen. Aber Eins ſteht im Wege, dieſe Theorie fuͤr voͤllig allgemein und auf alle Arten von gefallenden und angenehmen Modifikationen anwendbar halten zu koͤnnen. Die Menſchenſeele aͤußert eben ſo
wohl
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
ſie ſo fuͤhllos und unthaͤtig ſich beweiſen, als bey dem
gaͤnzlichen Mangel der Eindruͤcke.
Was aber insbeſondere die afficirende Empfin-
dungen zu angenehmen Empfindungen mache, und
worinn der urſpruͤngliche Grundcharakter dieſer und ih-
rer entgegengeſetzten, welche Unluſt oder Schmerz erre-
gen, beſtehe, das uͤbergehe ich hier, und werde blos die
Erfahrung annehmen, daß einige von ihnen angenehm,
andere unangenehm ſind. Das erſtere Problem ſcheinet
mir, der vortreflichen und ſcharffinnigen Unterſuchungen
ohngeachtet, die daruͤber angeſtellet ſind, noch nicht in
ſeinem ganzen Umfang aufgeloͤſet zu ſeyn. Wenn eine
Empfindung angenehm iſt, und die andere widrig, ſo
haͤngt dieß ohne Zweifel von einer gewiſſen Beziehung
auf die Kraͤfte, und Vermoͤgen der Seele, in ihrem
derzeitigen Zuſtand, ab. Denn dieſe Beziehung be-
ſtimmt die Wirkung, die ſie hervorbringet. Dieſe Be-
ziehung hat aber einen gedoppelten Grund, einen ſub-
jektiviſchen, indem eine gewiſſe Beſchaffenheit und Ein-
richtung der Seele und ihrer Grundvermoͤgen erfodert
wird, und einen objektiviſchen in den Gegenſtaͤnden,
deren Jmpreſſionen mit der alſo beſtimmten Naturkraft
der Seele vereiniget werden. Wenn der ſogenannte
Erweiterungs- oder Entwickelungstrieb, als der
alleinige Grundtrieb der Seele angeſehen werden koͤnn-
te, ſo wuͤrde jener ſubjektiviſche Grund dadurch im all-
gemeinen beſtimmet, und nur noch uͤbrig ſeyn, die Be-
ſchaffenheit der Objekte und der Jmpreſſionen von ihnen
anzugeben, wodurch ſie dem Triebe ſich zu erweitern,
mehr oder minder angemeſſen, oder ihm zuwider ſind.
Und da wuͤrde dieß auf Mannigfaltigkeit mit Ueberein-
ſtimmung hinauskommen. Aber Eins ſteht im Wege,
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halten zu koͤnnen. Die Menſchenſeele aͤußert eben ſo
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/772>, abgerufen am 22.12.2024.
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