pfinden sey nichts anders, als eine neue Vorstellung ma- chen; denn neue Modifikationen und neue Empfindun- gen sind neue Vorstellungen, so würde es umsonst seyn, mit ihm darüber zu streiten, da man ihm am Ende nichts mehr als eine Abweichung von dem Redegebrauch vor- zuwerfen hätte; eine Versündigung, die da, wo von den Sachen selbst die Rede ist, nicht anders, als nur neben- her gerüget werden sollte. Denn wir mögen uns aus- drücken, wie wir wollen, so bleibet die Untersuchung der Sache auf demselbigen Fleck, wo sie vorher war; näm- lich bey der Frage: Ob das Hervorbringen neuer Em- pfindungen eben dasselbe sey, was die Seele verrichtet, wenn sie Vorstellungen, das ist, die von vorhergegan- genen Empfindungen aufbehaltene Spuren bearbeitet?
Diejenigen unter Wolfs Nachfolgern, die das System, welches ohne Zweifel Eins der besten und durch- gedachtesten ist, völlig gefaßt haben, behaupten auch, daß es allerdings sich so verhalte. Wenn sich dieß durch Beobachtungen erweisen ließe, so würde die vorstellende und die handelnde Kraft der Seele einerley Grund- princip in einer viel weiter gehenden Bedeutung seyn, als sie in dem vorhergehenden dafür angesehen ist. Nach dem obigen stellet sich die Seele Aktionen vor, in so fer- ne sie ihre ehemalige Thätigkeiten aus sich selbst aus in- nerer Macht von neuem wieder anfängt, und sie zuwei- len ganz wiederholet. Jn so ferne sie Vorstellungen be- sitzet, hat sie gewisse nähere Dispositionen in ihrer Kraft, sich auf diese oder jene Arten zu äußern, ohne daß sie solcher Reize und Bestimmungen von außen be- darf, dergleichen das erstemal erfodert würden. Das Vor- stellen einer Aktion ist also eine Wirkung der agirenden Kraft, und zwar eine selbstthätige Wirkung; und in so weit ist die vorstellende Kraft eine Beschaffenheit der thätigen Kraft. Aber nach der Wolfischen Er- klärungsart müßte die thätige Kraft als eine gewisse
Beschaf-
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
pfinden ſey nichts anders, als eine neue Vorſtellung ma- chen; denn neue Modifikationen und neue Empfindun- gen ſind neue Vorſtellungen, ſo wuͤrde es umſonſt ſeyn, mit ihm daruͤber zu ſtreiten, da man ihm am Ende nichts mehr als eine Abweichung von dem Redegebrauch vor- zuwerfen haͤtte; eine Verſuͤndigung, die da, wo von den Sachen ſelbſt die Rede iſt, nicht anders, als nur neben- her geruͤget werden ſollte. Denn wir moͤgen uns aus- druͤcken, wie wir wollen, ſo bleibet die Unterſuchung der Sache auf demſelbigen Fleck, wo ſie vorher war; naͤm- lich bey der Frage: Ob das Hervorbringen neuer Em- pfindungen eben daſſelbe ſey, was die Seele verrichtet, wenn ſie Vorſtellungen, das iſt, die von vorhergegan- genen Empfindungen aufbehaltene Spuren bearbeitet?
Diejenigen unter Wolfs Nachfolgern, die das Syſtem, welches ohne Zweifel Eins der beſten und durch- gedachteſten iſt, voͤllig gefaßt haben, behaupten auch, daß es allerdings ſich ſo verhalte. Wenn ſich dieß durch Beobachtungen erweiſen ließe, ſo wuͤrde die vorſtellende und die handelnde Kraft der Seele einerley Grund- princip in einer viel weiter gehenden Bedeutung ſeyn, als ſie in dem vorhergehenden dafuͤr angeſehen iſt. Nach dem obigen ſtellet ſich die Seele Aktionen vor, in ſo fer- ne ſie ihre ehemalige Thaͤtigkeiten aus ſich ſelbſt aus in- nerer Macht von neuem wieder anfaͤngt, und ſie zuwei- len ganz wiederholet. Jn ſo ferne ſie Vorſtellungen be- ſitzet, hat ſie gewiſſe naͤhere Diſpoſitionen in ihrer Kraft, ſich auf dieſe oder jene Arten zu aͤußern, ohne daß ſie ſolcher Reize und Beſtimmungen von außen be- darf, dergleichen das erſtemal erfodert wuͤrden. Das Vor- ſtellen einer Aktion iſt alſo eine Wirkung der agirenden Kraft, und zwar eine ſelbſtthaͤtige Wirkung; und in ſo weit iſt die vorſtellende Kraft eine Beſchaffenheit der thaͤtigen Kraft. Aber nach der Wolfiſchen Er- klaͤrungsart muͤßte die thaͤtige Kraft als eine gewiſſe
Beſchaf-
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
pfinden ſey nichts anders, als eine neue Vorſtellung ma-
chen; denn neue Modifikationen und neue Empfindun-
gen ſind neue Vorſtellungen, ſo wuͤrde es umſonſt ſeyn,
mit ihm daruͤber zu ſtreiten, da man ihm am Ende nichts
mehr als eine Abweichung von dem Redegebrauch vor-
zuwerfen haͤtte; eine Verſuͤndigung, die da, wo von den
Sachen ſelbſt die Rede iſt, nicht anders, als nur neben-
her geruͤget werden ſollte. Denn wir moͤgen uns aus-
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Sache auf demſelbigen Fleck, wo ſie vorher war; naͤm-
lich bey der Frage: Ob das Hervorbringen neuer Em-
pfindungen eben daſſelbe ſey, was die Seele verrichtet,
wenn ſie Vorſtellungen, das iſt, die von vorhergegan-
genen Empfindungen aufbehaltene Spuren bearbeitet?
Diejenigen unter Wolfs Nachfolgern, die das
Syſtem, welches ohne Zweifel Eins der beſten und durch-
gedachteſten iſt, voͤllig gefaßt haben, behaupten auch,
daß es allerdings ſich ſo verhalte. Wenn ſich dieß durch
Beobachtungen erweiſen ließe, ſo wuͤrde die vorſtellende
und die handelnde Kraft der Seele einerley Grund-
princip in einer viel weiter gehenden Bedeutung ſeyn,
als ſie in dem vorhergehenden dafuͤr angeſehen iſt. Nach
dem obigen ſtellet ſich die Seele Aktionen vor, in ſo fer-
ne ſie ihre ehemalige Thaͤtigkeiten aus ſich ſelbſt aus in-
nerer Macht von neuem wieder anfaͤngt, und ſie zuwei-
len ganz wiederholet. Jn ſo ferne ſie Vorſtellungen be-
ſitzet, hat ſie gewiſſe naͤhere Diſpoſitionen in ihrer
Kraft, ſich auf dieſe oder jene Arten zu aͤußern, ohne
daß ſie ſolcher Reize und Beſtimmungen von außen be-
darf, dergleichen das erſtemal erfodert wuͤrden. Das Vor-
ſtellen einer Aktion iſt alſo eine Wirkung der agirenden
Kraft, und zwar eine ſelbſtthaͤtige Wirkung; und in
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der thaͤtigen Kraft. Aber nach der Wolfiſchen Er-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/752>, abgerufen am 24.11.2024.
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