wie andrer Menschen ihre. So hat das Kind doch wohl den sichtbaren Charakter des Weinens nicht kennen gelernet. Und eben so unwahrscheinlich ist es, daß wir aus dieser Vergleichung der sichtlichen Aehnlichkeit un- sers Gähnens mit dem Gähnen anderer es sollten erler- net haben, daß das, was wir sehen, mit dem, was wir bey uns nur fühlen, dasselbige sey. Man kann sich allerdings solcher Vergleichungen durch einen Sinn mit Vortheil bedienen, und thut es auch oft, wenn man je- mand sich selbst im Spiegel sehen läßt, um ihm zu zei- gen, was zu einer guten Stellung des Körpers, oder zu einer schönen Bewegung des Leibes gehöret, die man mit einem gewissen Worte bezeichnet.
Aber dieses Mittel ist nicht nothwendig, und wird oft gar nicht einmal zu Hülfe genommen. Der Weg der Natur ist kürzer. Das Kind weinet; man sagt ihm, es weine, und bezeichnet seine Aktion durch ein Wort. Eben dieß Kind sieht einen andern weinen, und man sagt ihm wiederum, dieser Mensch weine. Dieß ist genug. Das ähnliche Wort lehrt es die Aehn- lichkeit der Handlungen, der seinigen, die es nur fühlt, und der fremden, die es sieht. Erblickt es jenes Wei- nen, so nennt es dieß ein Weinen, und seine eigene Gefühlsidee von dem Weinen wird mit dieser sichtli- chen Jdee vereiniget. Die letztere wird ein Bestand- theil und also auch ein Merkmal der ganzen Vorstellung.
Darum kann der Mensch mittelst der Worte als ähnlicher Töne, mehrere Empfindungen in Eine Jdee vereinigen, und auch ähnliche Sachen an mehrern Merk- malen erkennen, die sonsten in seinen Empfindungen, welche er von ihnen einzeln hat, so verschieden sind, daß er schwerlich dadurch auf die Aehnlichkeit der Sachen selbst geführet seyn würde.
Dieß giebt auch seinem Nachbildungsvermögen eine größere Ausdehnung, nämlich dem Vermögen
etwas
der Vorſtellungskraft ⁊c.
wie andrer Menſchen ihre. So hat das Kind doch wohl den ſichtbaren Charakter des Weinens nicht kennen gelernet. Und eben ſo unwahrſcheinlich iſt es, daß wir aus dieſer Vergleichung der ſichtlichen Aehnlichkeit un- ſers Gaͤhnens mit dem Gaͤhnen anderer es ſollten erler- net haben, daß das, was wir ſehen, mit dem, was wir bey uns nur fuͤhlen, daſſelbige ſey. Man kann ſich allerdings ſolcher Vergleichungen durch einen Sinn mit Vortheil bedienen, und thut es auch oft, wenn man je- mand ſich ſelbſt im Spiegel ſehen laͤßt, um ihm zu zei- gen, was zu einer guten Stellung des Koͤrpers, oder zu einer ſchoͤnen Bewegung des Leibes gehoͤret, die man mit einem gewiſſen Worte bezeichnet.
Aber dieſes Mittel iſt nicht nothwendig, und wird oft gar nicht einmal zu Huͤlfe genommen. Der Weg der Natur iſt kuͤrzer. Das Kind weinet; man ſagt ihm, es weine, und bezeichnet ſeine Aktion durch ein Wort. Eben dieß Kind ſieht einen andern weinen, und man ſagt ihm wiederum, dieſer Menſch weine. Dieß iſt genug. Das aͤhnliche Wort lehrt es die Aehn- lichkeit der Handlungen, der ſeinigen, die es nur fuͤhlt, und der fremden, die es ſieht. Erblickt es jenes Wei- nen, ſo nennt es dieß ein Weinen, und ſeine eigene Gefuͤhlsidee von dem Weinen wird mit dieſer ſichtli- chen Jdee vereiniget. Die letztere wird ein Beſtand- theil und alſo auch ein Merkmal der ganzen Vorſtellung.
Darum kann der Menſch mittelſt der Worte als aͤhnlicher Toͤne, mehrere Empfindungen in Eine Jdee vereinigen, und auch aͤhnliche Sachen an mehrern Merk- malen erkennen, die ſonſten in ſeinen Empfindungen, welche er von ihnen einzeln hat, ſo verſchieden ſind, daß er ſchwerlich dadurch auf die Aehnlichkeit der Sachen ſelbſt gefuͤhret ſeyn wuͤrde.
Dieß giebt auch ſeinem Nachbildungsvermoͤgen eine groͤßere Ausdehnung, naͤmlich dem Vermoͤgen
etwas
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
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gelernet. Und eben ſo unwahrſcheinlich iſt es, daß wir
aus dieſer Vergleichung der ſichtlichen Aehnlichkeit un-
ſers Gaͤhnens mit dem Gaͤhnen anderer es ſollten erler-
net haben, daß das, was wir ſehen, mit dem, was
wir bey uns nur fuͤhlen, daſſelbige ſey. Man kann ſich
allerdings ſolcher Vergleichungen durch einen Sinn mit
Vortheil bedienen, und thut es auch oft, wenn man je-
mand ſich ſelbſt im Spiegel ſehen laͤßt, um ihm zu zei-
gen, was zu einer guten Stellung des Koͤrpers, oder
zu einer ſchoͤnen Bewegung des Leibes gehoͤret, die man
mit einem gewiſſen Worte bezeichnet.
Aber dieſes Mittel iſt nicht nothwendig, und wird
oft gar nicht einmal zu Huͤlfe genommen. Der Weg
der Natur iſt kuͤrzer. Das Kind weinet; man ſagt
ihm, es weine, und bezeichnet ſeine Aktion durch ein
Wort. Eben dieß Kind ſieht einen andern weinen,
und man ſagt ihm wiederum, dieſer Menſch weine.
Dieß iſt genug. Das aͤhnliche Wort lehrt es die Aehn-
lichkeit der Handlungen, der ſeinigen, die es nur fuͤhlt,
und der fremden, die es ſieht. Erblickt es jenes Wei-
nen, ſo nennt es dieß ein Weinen, und ſeine eigene
Gefuͤhlsidee von dem Weinen wird mit dieſer ſichtli-
chen Jdee vereiniget. Die letztere wird ein Beſtand-
theil und alſo auch ein Merkmal der ganzen Vorſtellung.
Darum kann der Menſch mittelſt der Worte als
aͤhnlicher Toͤne, mehrere Empfindungen in Eine Jdee
vereinigen, und auch aͤhnliche Sachen an mehrern Merk-
malen erkennen, die ſonſten in ſeinen Empfindungen,
welche er von ihnen einzeln hat, ſo verſchieden ſind, daß
er ſchwerlich dadurch auf die Aehnlichkeit der Sachen
ſelbſt gefuͤhret ſeyn wuͤrde.
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eine groͤßere Ausdehnung, naͤmlich dem Vermoͤgen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/729>, abgerufen am 22.11.2024.
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