kein Nachmachen, sondern ursprüngliche Handlung, wel- che einer andern ähnlich ist, und durch ähnliche Ursa- chen hervorgebracht wird.
Auch in den unmerklichsten Nachmachungen, durch welche die Jugend am meisten nach den Personen gebil- det wird, mit denen sie umgehet, und auch die Erwach- senen vieles in ihren Charakter und Sitten von andern annehmen, treffen wir das nämliche Gesetz bey dem Ue- bergang der Beschaffenheiten aus dem Einen zum An- dern an. Außer dem ersten Beyspiel des Nachmachens, wo die Handlung noch nicht vorher verrichtet war, und also die Vorstellung von ihren äußern Wirkungen auch der wirkenden Kraft nur allein die Richtung gab, will ich noch ein anderes zergliedern. Es soll eine Fertigkeit in der Handlung schon vorhanden seyn, die nur durch das Beyspiel einer fremden Handlung in Thätigkeit ge- setzet wird, und dann eben das verrichtet, was ein an- derer ihm vormachet. Hernach wird sich das Allge- meine in jedweder Art der Nachmachung daraus abzie- hen lassen.
Wenn eine Person in einer Gesellschaft gähnet, so gähnen andere nach. Sollte dieß blos eine ähnliche Handlung seyn, aus ähnlichen Ursachen, just in demsel- bigen Moment durch Zufall oder durch vorherbestimmte Harmonie hervorgebracht? Ohne Zweifel ist hier eine gewisse ursachliche Verbindung zwischen dem Gäh- nen der ersten Person, und der übrigen, die es mitma- chen; und ohne Zweifel ist das Athmen der letztern eine Art von Nachmachung. Aber was hier diejenigen, welche nachgähnen, bey dem sehen der zuerst gähnet, das bestehet in Bewegungen des Mundes, der in die Höhe erweitert und in der Breite verkürzet wird, und in gewissen Zusammenziehungen der Muskeln an den Backen, mit einer Bewegung der Hand zum Munde. Wie sollten diese Gesichtsbilder bey mir die nämliche Aktion hervorbrin-
gen,
der Vorſtellungskraft ⁊c.
kein Nachmachen, ſondern urſpruͤngliche Handlung, wel- che einer andern aͤhnlich iſt, und durch aͤhnliche Urſa- chen hervorgebracht wird.
Auch in den unmerklichſten Nachmachungen, durch welche die Jugend am meiſten nach den Perſonen gebil- det wird, mit denen ſie umgehet, und auch die Erwach- ſenen vieles in ihren Charakter und Sitten von andern annehmen, treffen wir das naͤmliche Geſetz bey dem Ue- bergang der Beſchaffenheiten aus dem Einen zum An- dern an. Außer dem erſten Beyſpiel des Nachmachens, wo die Handlung noch nicht vorher verrichtet war, und alſo die Vorſtellung von ihren aͤußern Wirkungen auch der wirkenden Kraft nur allein die Richtung gab, will ich noch ein anderes zergliedern. Es ſoll eine Fertigkeit in der Handlung ſchon vorhanden ſeyn, die nur durch das Beyſpiel einer fremden Handlung in Thaͤtigkeit ge- ſetzet wird, und dann eben das verrichtet, was ein an- derer ihm vormachet. Hernach wird ſich das Allge- meine in jedweder Art der Nachmachung daraus abzie- hen laſſen.
Wenn eine Perſon in einer Geſellſchaft gaͤhnet, ſo gaͤhnen andere nach. Sollte dieß blos eine aͤhnliche Handlung ſeyn, aus aͤhnlichen Urſachen, juſt in demſel- bigen Moment durch Zufall oder durch vorherbeſtimmte Harmonie hervorgebracht? Ohne Zweifel iſt hier eine gewiſſe urſachliche Verbindung zwiſchen dem Gaͤh- nen der erſten Perſon, und der uͤbrigen, die es mitma- chen; und ohne Zweifel iſt das Athmen der letztern eine Art von Nachmachung. Aber was hier diejenigen, welche nachgaͤhnen, bey dem ſehen der zuerſt gaͤhnet, das beſtehet in Bewegungen des Mundes, der in die Hoͤhe erweitert und in der Breite verkuͤrzet wird, und in gewiſſen Zuſammenziehungen der Muskeln an den Backen, mit einer Bewegung der Hand zum Munde. Wie ſollten dieſe Geſichtsbilder bey mir die naͤmliche Aktion hervorbrin-
gen,
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
kein Nachmachen, ſondern urſpruͤngliche Handlung, wel-
che einer andern aͤhnlich iſt, und durch aͤhnliche Urſa-
chen hervorgebracht wird.
Auch in den unmerklichſten Nachmachungen, durch
welche die Jugend am meiſten nach den Perſonen gebil-
det wird, mit denen ſie umgehet, und auch die Erwach-
ſenen vieles in ihren Charakter und Sitten von andern
annehmen, treffen wir das naͤmliche Geſetz bey dem Ue-
bergang der Beſchaffenheiten aus dem Einen zum An-
dern an. Außer dem erſten Beyſpiel des Nachmachens,
wo die Handlung noch nicht vorher verrichtet war, und
alſo die Vorſtellung von ihren aͤußern Wirkungen auch
der wirkenden Kraft nur allein die Richtung gab, will
ich noch ein anderes zergliedern. Es ſoll eine Fertigkeit
in der Handlung ſchon vorhanden ſeyn, die nur durch
das Beyſpiel einer fremden Handlung in Thaͤtigkeit ge-
ſetzet wird, und dann eben das verrichtet, was ein an-
derer ihm vormachet. Hernach wird ſich das Allge-
meine in jedweder Art der Nachmachung daraus abzie-
hen laſſen.
Wenn eine Perſon in einer Geſellſchaft gaͤhnet, ſo
gaͤhnen andere nach. Sollte dieß blos eine aͤhnliche
Handlung ſeyn, aus aͤhnlichen Urſachen, juſt in demſel-
bigen Moment durch Zufall oder durch vorherbeſtimmte
Harmonie hervorgebracht? Ohne Zweifel iſt hier
eine gewiſſe urſachliche Verbindung zwiſchen dem Gaͤh-
nen der erſten Perſon, und der uͤbrigen, die es mitma-
chen; und ohne Zweifel iſt das Athmen der letztern eine
Art von Nachmachung. Aber was hier diejenigen,
welche nachgaͤhnen, bey dem ſehen der zuerſt gaͤhnet, das
beſtehet in Bewegungen des Mundes, der in die Hoͤhe
erweitert und in der Breite verkuͤrzet wird, und in gewiſſen
Zuſammenziehungen der Muskeln an den Backen, mit
einer Bewegung der Hand zum Munde. Wie ſollten dieſe
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/727>, abgerufen am 22.11.2024.
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