Laßt uns dasselbige Beyspiel behalten. Der Ma- ler kann eine Wiedervorstellung von seiner Aktion haben, und hat eine solche, wenn er sich lebhaft vorstellet, was er verrichtet hat; und diese Vorstellung ist von der Vor- stellung, die sich der bloße Zuschauer machen kann, eben so weit verschieden, als die Empfindung des ersten von der Empfindung des letztern gewesen ist, wenn die Rei- he der unsichtbaren innern Gefühle wiederum mit erwe- cket wird. Jch sage nicht, daß es bey der Wiedererin- nerung an die Handlung die meistenmale wirklich so weit gehe. Oft bleibt es bey der Wiedervorstellung einiger charakteristischen Züge des Ganzen, und die Jdee von dem Original, wonach er gearbeitet hat, nebst der Jdee von dem Gemälde, wie es wirklich ward, und einigen andern zunächst herumliegenden Nebenideen, machen oft- mals die ganze Wiedervorstellung aus, wenigstens nach ihren erkennbaren Theilen. Aber der Handelnde kann eine völligere Vorstellung davon haben, und eine solche, in der seine vorigen Kraftanwendungen selbst reproduciret werden; und er hat eine solche in dem Grunde der Seelen.
Die Reproduktionen der Gesichts- und Gefühlsem- pfindungen verhalten sich zu den Empfindungen selbst, wie überhaupt Vorstellungen zu ihren Empfindungen. Es sind Spuren von den ersten Modifikationen zurück- geblieben, und wieder erwecket worden, aber herunter- gesetzt an Stärke und Völligkeit, wie die Vorstellungen es überhaupt sind, wenn sie mit ihren Empfindungen verglichen werden.
Hier stoßen wir auf eine Hauptfrage: "können diese "Gefühlsempfindungen, oder vielmehr ihre Spuren "wieder erneuert werden, ohne daß auch das nämliche "in derselbigen Maaße mit den Kraftanwendungen ge- "schehe, wodurch jene in der ersten Empfindung hervor-
"gebracht
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
4.
Laßt uns daſſelbige Beyſpiel behalten. Der Ma- ler kann eine Wiedervorſtellung von ſeiner Aktion haben, und hat eine ſolche, wenn er ſich lebhaft vorſtellet, was er verrichtet hat; und dieſe Vorſtellung iſt von der Vor- ſtellung, die ſich der bloße Zuſchauer machen kann, eben ſo weit verſchieden, als die Empfindung des erſten von der Empfindung des letztern geweſen iſt, wenn die Rei- he der unſichtbaren innern Gefuͤhle wiederum mit erwe- cket wird. Jch ſage nicht, daß es bey der Wiedererin- nerung an die Handlung die meiſtenmale wirklich ſo weit gehe. Oft bleibt es bey der Wiedervorſtellung einiger charakteriſtiſchen Zuͤge des Ganzen, und die Jdee von dem Original, wonach er gearbeitet hat, nebſt der Jdee von dem Gemaͤlde, wie es wirklich ward, und einigen andern zunaͤchſt herumliegenden Nebenideen, machen oft- mals die ganze Wiedervorſtellung aus, wenigſtens nach ihren erkennbaren Theilen. Aber der Handelnde kann eine voͤlligere Vorſtellung davon haben, und eine ſolche, in der ſeine vorigen Kraftanwendungen ſelbſt reproduciret werden; und er hat eine ſolche in dem Grunde der Seelen.
Die Reproduktionen der Geſichts- und Gefuͤhlsem- pfindungen verhalten ſich zu den Empfindungen ſelbſt, wie uͤberhaupt Vorſtellungen zu ihren Empfindungen. Es ſind Spuren von den erſten Modifikationen zuruͤck- geblieben, und wieder erwecket worden, aber herunter- geſetzt an Staͤrke und Voͤlligkeit, wie die Vorſtellungen es uͤberhaupt ſind, wenn ſie mit ihren Empfindungen verglichen werden.
Hier ſtoßen wir auf eine Hauptfrage: „koͤnnen dieſe „Gefuͤhlsempfindungen, oder vielmehr ihre Spuren „wieder erneuert werden, ohne daß auch das naͤmliche „in derſelbigen Maaße mit den Kraftanwendungen ge- „ſchehe, wodurch jene in der erſten Empfindung hervor-
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
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Laßt uns daſſelbige Beyſpiel behalten. Der Ma-
ler kann eine Wiedervorſtellung von ſeiner Aktion haben,
und hat eine ſolche, wenn er ſich lebhaft vorſtellet, was
er verrichtet hat; und dieſe Vorſtellung iſt von der Vor-
ſtellung, die ſich der bloße Zuſchauer machen kann, eben
ſo weit verſchieden, als die Empfindung des erſten von
der Empfindung des letztern geweſen iſt, wenn die Rei-
he der unſichtbaren innern Gefuͤhle wiederum mit erwe-
cket wird. Jch ſage nicht, daß es bey der Wiedererin-
nerung an die Handlung die meiſtenmale wirklich ſo weit
gehe. Oft bleibt es bey der Wiedervorſtellung einiger
charakteriſtiſchen Zuͤge des Ganzen, und die Jdee von
dem Original, wonach er gearbeitet hat, nebſt der Jdee
von dem Gemaͤlde, wie es wirklich ward, und einigen
andern zunaͤchſt herumliegenden Nebenideen, machen oft-
mals die ganze Wiedervorſtellung aus, wenigſtens nach
ihren erkennbaren Theilen. Aber der Handelnde kann
eine voͤlligere Vorſtellung davon haben, und eine ſolche,
in der ſeine vorigen Kraftanwendungen ſelbſt reproduciret
werden; und er hat eine ſolche in dem Grunde der
Seelen.
Die Reproduktionen der Geſichts- und Gefuͤhlsem-
pfindungen verhalten ſich zu den Empfindungen ſelbſt,
wie uͤberhaupt Vorſtellungen zu ihren Empfindungen.
Es ſind Spuren von den erſten Modifikationen zuruͤck-
geblieben, und wieder erwecket worden, aber herunter-
geſetzt an Staͤrke und Voͤlligkeit, wie die Vorſtellungen
es uͤberhaupt ſind, wenn ſie mit ihren Empfindungen
verglichen werden.
Hier ſtoßen wir auf eine Hauptfrage: „koͤnnen dieſe
„Gefuͤhlsempfindungen, oder vielmehr ihre Spuren
„wieder erneuert werden, ohne daß auch das naͤmliche
„in derſelbigen Maaße mit den Kraftanwendungen ge-
„ſchehe, wodurch jene in der erſten Empfindung hervor-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/701>, abgerufen am 21.11.2024.
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