Receptivität eins und dasselbige Vermögen. Die Seele nimmt etwas an, indem sie fühlet, und fühlet, indem sie sich modificiren läßt, und etwas annimmt. Jndes- sen mag man, wenn man will, die Modifikabilität vom Gefühl unterscheiden, und das letztere, daß näm- lich die Seele ihre Modifikationen fühlet, als ein Unter- scheidungsmerkmal einer geistlichen Empfänglichkeit ansehen. So mag es denn auch dahin gestellet seyn, ob jedwede Aufnahme einer Modifikation mit Fühlen ver- bunden sey. Aber dieß wird hier nicht hindern die Em- pfänglichkeit und das Gefühl zusammen unter dem letztern Namen zu begreifen, und also das Gefühl in diesem Verstande als Eine von ihren Grundfähigkei- ten anzunehmen.
Die vorstellende und denkende Kraft war beides eine Folge einer innern thätigen Kraft, mit der die Seele etwas hervorbringet, wenn sie gefühlet hat. Die Wir- kungen dieser Vermögen sind in ihr selbst, oder doch in demjenigen Theil des Gehirns, den wir zu unserm Jch rechnen. Die erste, die Vorstellungskraft beschäftiget sich mit den Spuren der empfundenen Modifikationen; die Denkkraft wirket auf die Vorstellungen, und bringet etwas aus sich hervor. Aber Denken sowohl als Vor- stellen sind beides Wirkungen einer selbstthätigen Kraft. Die Seele also besitzet Gefühl und thätige Kraft, das ist eine Kraft, thätig etwas hervorzubringen, wenn sie modificiret worden ist. Jene ist ihre Receptivität, dieses ihre Aktivität.
Sie wirket in sich selbst, oder außer sich in den Körper, bey welcher Eintheilung der gemeine Unter- schied zwischen Seele und Körper zum Grunde geleget wird. Wenn es eine Bewegung ist, was durch ihre Kraft bewirket wird, so ist dieß eine herausgehende Thätigkeit (actio transiens), welche der in ihr blei- benden (immanens) entgegen gesetzet wird. Die Thä-
tigkeiten
der Vorſtellungskraft ⁊c.
Receptivitaͤt eins und daſſelbige Vermoͤgen. Die Seele nimmt etwas an, indem ſie fuͤhlet, und fuͤhlet, indem ſie ſich modificiren laͤßt, und etwas annimmt. Jndeſ- ſen mag man, wenn man will, die Modifikabilitaͤt vom Gefuͤhl unterſcheiden, und das letztere, daß naͤm- lich die Seele ihre Modifikationen fuͤhlet, als ein Unter- ſcheidungsmerkmal einer geiſtlichen Empfaͤnglichkeit anſehen. So mag es denn auch dahin geſtellet ſeyn, ob jedwede Aufnahme einer Modifikation mit Fuͤhlen ver- bunden ſey. Aber dieß wird hier nicht hindern die Em- pfaͤnglichkeit und das Gefuͤhl zuſammen unter dem letztern Namen zu begreifen, und alſo das Gefuͤhl in dieſem Verſtande als Eine von ihren Grundfaͤhigkei- ten anzunehmen.
Die vorſtellende und denkende Kraft war beides eine Folge einer innern thaͤtigen Kraft, mit der die Seele etwas hervorbringet, wenn ſie gefuͤhlet hat. Die Wir- kungen dieſer Vermoͤgen ſind in ihr ſelbſt, oder doch in demjenigen Theil des Gehirns, den wir zu unſerm Jch rechnen. Die erſte, die Vorſtellungskraft beſchaͤftiget ſich mit den Spuren der empfundenen Modifikationen; die Denkkraft wirket auf die Vorſtellungen, und bringet etwas aus ſich hervor. Aber Denken ſowohl als Vor- ſtellen ſind beides Wirkungen einer ſelbſtthaͤtigen Kraft. Die Seele alſo beſitzet Gefuͤhl und thaͤtige Kraft, das iſt eine Kraft, thaͤtig etwas hervorzubringen, wenn ſie modificiret worden iſt. Jene iſt ihre Receptivitaͤt, dieſes ihre Aktivitaͤt.
Sie wirket in ſich ſelbſt, oder außer ſich in den Koͤrper, bey welcher Eintheilung der gemeine Unter- ſchied zwiſchen Seele und Koͤrper zum Grunde geleget wird. Wenn es eine Bewegung iſt, was durch ihre Kraft bewirket wird, ſo iſt dieß eine herausgehende Thaͤtigkeit (actio tranſiens), welche der in ihr blei- benden (immanens) entgegen geſetzet wird. Die Thaͤ-
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
Receptivitaͤt eins und daſſelbige Vermoͤgen. Die Seele
nimmt etwas an, indem ſie fuͤhlet, und fuͤhlet, indem
ſie ſich modificiren laͤßt, und etwas annimmt. Jndeſ-
ſen mag man, wenn man will, die Modifikabilitaͤt
vom Gefuͤhl unterſcheiden, und das letztere, daß naͤm-
lich die Seele ihre Modifikationen fuͤhlet, als ein Unter-
ſcheidungsmerkmal einer geiſtlichen Empfaͤnglichkeit
anſehen. So mag es denn auch dahin geſtellet ſeyn, ob
jedwede Aufnahme einer Modifikation mit Fuͤhlen ver-
bunden ſey. Aber dieß wird hier nicht hindern die Em-
pfaͤnglichkeit und das Gefuͤhl zuſammen unter dem
letztern Namen zu begreifen, und alſo das Gefuͤhl in
dieſem Verſtande als Eine von ihren Grundfaͤhigkei-
ten anzunehmen.
Die vorſtellende und denkende Kraft war beides eine
Folge einer innern thaͤtigen Kraft, mit der die Seele
etwas hervorbringet, wenn ſie gefuͤhlet hat. Die Wir-
kungen dieſer Vermoͤgen ſind in ihr ſelbſt, oder doch in
demjenigen Theil des Gehirns, den wir zu unſerm Jch
rechnen. Die erſte, die Vorſtellungskraft beſchaͤftiget
ſich mit den Spuren der empfundenen Modifikationen;
die Denkkraft wirket auf die Vorſtellungen, und bringet
etwas aus ſich hervor. Aber Denken ſowohl als Vor-
ſtellen ſind beides Wirkungen einer ſelbſtthaͤtigen Kraft.
Die Seele alſo beſitzet Gefuͤhl und thaͤtige Kraft,
das iſt eine Kraft, thaͤtig etwas hervorzubringen, wenn
ſie modificiret worden iſt. Jene iſt ihre Receptivitaͤt,
dieſes ihre Aktivitaͤt.
Sie wirket in ſich ſelbſt, oder außer ſich in den
Koͤrper, bey welcher Eintheilung der gemeine Unter-
ſchied zwiſchen Seele und Koͤrper zum Grunde geleget
wird. Wenn es eine Bewegung iſt, was durch ihre
Kraft bewirket wird, ſo iſt dieß eine herausgehende
Thaͤtigkeit (actio tranſiens), welche der in ihr blei-
benden (immanens) entgegen geſetzet wird. Die Thaͤ-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/681>, abgerufen am 22.12.2024.
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