Verstand und den Willen; aber wenn sie die Grän- zen dieser Grundvermögen bestimmen, so gehen sie sehr von einander ab. Andern scheinet noch ein drittes Prin- cip, ein Vermögen, Empfindnisse zu haben, unter dem Namen Empfindsamkeit erfodert zu werden. Hr. Sulzer bringet alle auf zwey ursprüngliche Fähigkeiten, auf Empfindsamkeit und Erkenntnißkraft.
Jn so ferne dergleichen Abtheilung nichts als bloße Gedächtnißmittel seyn sollen, um die mannigfaltige See- lenveränderungen desto leichter übersehen zu können, ist eben keine besondere Sorgfalt nöthig, wenn man Eine auswählen will. Aber wenn man zugleich die Nebenabsicht dabey hat, die man gewöhnlich hat, daß durch die Vereini- gung mehrerer Modifikationen zu Einer Klasse eine ver- hältnißmäßige innere Gleichartigkeitund Ungleichartigkeit in ihnen festgesetzet werden soll, so kann eine solche Klassifi- kation auch nur das Resultat der genauesten Auflösung seyn.
Aus der Auflösung der Erkenntnißkraft hat sichs er- geben, daß in der Seele ein dreyfaches Vermögen un- terschieden werden kann. Zuerst besitzt sie ein Vermö- gen, sich modificiren zu lassen, Empfänglichkeit, Re- ceptivität oder Modifikabilität. Dann ein Vermö- gen, solche in ihr gewirkte Veränderungen zu fühlen. Beides zusammen macht das Gefühl aus. Außer dieß hat sie ein reizbares Vermögen, auf die empfangene Mo- difikationen noch ferner zu wirken.
Es entstehet aber keine Veränderung in der Seele, die nicht von einem dunkeln Gefühl begleitet wird. Dieß ist wahrscheinlich, wenn wir der Analogie der Beobach- tungen nachgehen, und ist nothwendig, da wir aus den bekannten Beschaffenheiten des Gefühls sicher annehmen können, daß es in der Seele eben so etwas sey, als bey dem Körper die Kraft der Trägheit, mit der er reagirt, so oft ihm eine Bewegung, oder ein Trieb von Bewe- gung mitgetheilet wird. Daher ist das Gefühl, und die
Rece-
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Verſtand und den Willen; aber wenn ſie die Graͤn- zen dieſer Grundvermoͤgen beſtimmen, ſo gehen ſie ſehr von einander ab. Andern ſcheinet noch ein drittes Prin- cip, ein Vermoͤgen, Empfindniſſe zu haben, unter dem Namen Empfindſamkeit erfodert zu werden. Hr. Sulzer bringet alle auf zwey urſpruͤngliche Faͤhigkeiten, auf Empfindſamkeit und Erkenntnißkraft.
Jn ſo ferne dergleichen Abtheilung nichts als bloße Gedaͤchtnißmittel ſeyn ſollen, um die mannigfaltige See- lenveraͤnderungen deſto leichter uͤberſehen zu koͤnnen, iſt eben keine beſondere Sorgfalt noͤthig, wenn man Eine auswaͤhlen will. Aber wenn man zugleich die Nebenabſicht dabey hat, die man gewoͤhnlich hat, daß durch die Vereini- gung mehrerer Modifikationen zu Einer Klaſſe eine ver- haͤltnißmaͤßige innere Gleichartigkeitund Ungleichartigkeit in ihnen feſtgeſetzet werden ſoll, ſo kann eine ſolche Klaſſifi- kation auch nur das Reſultat der genaueſten Aufloͤſung ſeyn.
Aus der Aufloͤſung der Erkenntnißkraft hat ſichs er- geben, daß in der Seele ein dreyfaches Vermoͤgen un- terſchieden werden kann. Zuerſt beſitzt ſie ein Vermoͤ- gen, ſich modificiren zu laſſen, Empfaͤnglichkeit, Re- ceptivitaͤt oder Modifikabilitaͤt. Dann ein Vermoͤ- gen, ſolche in ihr gewirkte Veraͤnderungen zu fuͤhlen. Beides zuſammen macht das Gefuͤhl aus. Außer dieß hat ſie ein reizbares Vermoͤgen, auf die empfangene Mo- difikationen noch ferner zu wirken.
Es entſtehet aber keine Veraͤnderung in der Seele, die nicht von einem dunkeln Gefuͤhl begleitet wird. Dieß iſt wahrſcheinlich, wenn wir der Analogie der Beobach- tungen nachgehen, und iſt nothwendig, da wir aus den bekannten Beſchaffenheiten des Gefuͤhls ſicher annehmen koͤnnen, daß es in der Seele eben ſo etwas ſey, als bey dem Koͤrper die Kraft der Traͤgheit, mit der er reagirt, ſo oft ihm eine Bewegung, oder ein Trieb von Bewe- gung mitgetheilet wird. Daher iſt das Gefuͤhl, und die
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Verſtand und den Willen; aber wenn ſie die Graͤn-
zen dieſer Grundvermoͤgen beſtimmen, ſo gehen ſie ſehr
von einander ab. Andern ſcheinet noch ein drittes Prin-
cip, ein Vermoͤgen, Empfindniſſe zu haben, unter dem
Namen Empfindſamkeit erfodert zu werden. Hr.
Sulzer bringet alle auf zwey urſpruͤngliche Faͤhigkeiten,
auf Empfindſamkeit und Erkenntnißkraft.
Jn ſo ferne dergleichen Abtheilung nichts als bloße
Gedaͤchtnißmittel ſeyn ſollen, um die mannigfaltige See-
lenveraͤnderungen deſto leichter uͤberſehen zu koͤnnen, iſt
eben keine beſondere Sorgfalt noͤthig, wenn man Eine
auswaͤhlen will. Aber wenn man zugleich die Nebenabſicht
dabey hat, die man gewoͤhnlich hat, daß durch die Vereini-
gung mehrerer Modifikationen zu Einer Klaſſe eine ver-
haͤltnißmaͤßige innere Gleichartigkeitund Ungleichartigkeit
in ihnen feſtgeſetzet werden ſoll, ſo kann eine ſolche Klaſſifi-
kation auch nur das Reſultat der genaueſten Aufloͤſung ſeyn.
Aus der Aufloͤſung der Erkenntnißkraft hat ſichs er-
geben, daß in der Seele ein dreyfaches Vermoͤgen un-
terſchieden werden kann. Zuerſt beſitzt ſie ein Vermoͤ-
gen, ſich modificiren zu laſſen, Empfaͤnglichkeit, Re-
ceptivitaͤt oder Modifikabilitaͤt. Dann ein Vermoͤ-
gen, ſolche in ihr gewirkte Veraͤnderungen zu fuͤhlen.
Beides zuſammen macht das Gefuͤhl aus. Außer dieß
hat ſie ein reizbares Vermoͤgen, auf die empfangene Mo-
difikationen noch ferner zu wirken.
Es entſtehet aber keine Veraͤnderung in der Seele,
die nicht von einem dunkeln Gefuͤhl begleitet wird. Dieß
iſt wahrſcheinlich, wenn wir der Analogie der Beobach-
tungen nachgehen, und iſt nothwendig, da wir aus den
bekannten Beſchaffenheiten des Gefuͤhls ſicher annehmen
koͤnnen, daß es in der Seele eben ſo etwas ſey, als bey
dem Koͤrper die Kraft der Traͤgheit, mit der er reagirt,
ſo oft ihm eine Bewegung, oder ein Trieb von Bewe-
gung mitgetheilet wird. Daher iſt das Gefuͤhl, und die
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/680>, abgerufen am 21.11.2024.
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