und durch die Zergliederung der Wirksamkeitsarten der Seele, wenn sie Denket, Empfindet und Vorstellun- gen machet, die innere Jdendität dieser Thätigkeiten offenbar werde. Wenn es evident gemacht werden kann, daß die Bestandtheile in ihnen allen innerlich dieselben sind, daß nur ein Mehr oder Weniger, oder gar nur ei- ne äußere Verschiedenheit in den Mitteln und Gegen- ständen ihren scheinbaren Unterschied ausmache, so kann wohl weiter nichts verlanget werden. Alsdenn würde auch daraus der fruchtbare Satz gefolgert werden kön- nen, daß ein jedes Wesen, was zum Empfinden von Natur aufgeleget ist, entweder, wenn seine äußere Um- stände sich ändern, oder, wenn ihm eine größere innere Stärke der Grundkraft beygebracht wird, zu einem vor- stellenden und denkenden Wesen gemacht werden könne. Dieß würde ein großer Schritt zu dem allgemeinen Grundsatz von der Einartigkeit aller Wesen seyn. Dieß ist das Ziel, welches man sich gesetzt hat, und es ist nur die Frage, ob man es auch erreichet habe? Jch kann mit Condillac, und noch weiter mit dem Hrn. Bonnet auf eine lange Strecke fortkommen; aber auf den Stel- len, wo sie von dem Gefühl und Empfinden zum Bewußtwerden oder zur Apperception und zum Denken überschreiten, und dieses aus jenem erklären, was einen der wesentlichsten Punkte ihres Systems aus- machet; da deucht es mich, die Phantasie habe einen küh- nen Sprung gewagt, wo der Verstand, der sich über die Gränzlinien der Deutlichkeit nicht hinauswaget, zu- rückbleiben muß.
Der Weg, den ich zu dem nehmlichen Ziel genom- men habe, mag mich hinbringen, oder nicht; so habe ich für nothwendig angesehen, vor allen Dingen jedwede von diesen Seelenwirkungen, Empfindungen, Vor- stellungen und Gedanken, vorher für sich besonders zu untersuchen. Vielleicht hatte man sie noch nicht ge-
nug
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der Vorſtellungen.
und durch die Zergliederung der Wirkſamkeitsarten der Seele, wenn ſie Denket, Empfindet und Vorſtellun- gen machet, die innere Jdenditaͤt dieſer Thaͤtigkeiten offenbar werde. Wenn es evident gemacht werden kann, daß die Beſtandtheile in ihnen allen innerlich dieſelben ſind, daß nur ein Mehr oder Weniger, oder gar nur ei- ne aͤußere Verſchiedenheit in den Mitteln und Gegen- ſtaͤnden ihren ſcheinbaren Unterſchied ausmache, ſo kann wohl weiter nichts verlanget werden. Alsdenn wuͤrde auch daraus der fruchtbare Satz gefolgert werden koͤn- nen, daß ein jedes Weſen, was zum Empfinden von Natur aufgeleget iſt, entweder, wenn ſeine aͤußere Um- ſtaͤnde ſich aͤndern, oder, wenn ihm eine groͤßere innere Staͤrke der Grundkraft beygebracht wird, zu einem vor- ſtellenden und denkenden Weſen gemacht werden koͤnne. Dieß wuͤrde ein großer Schritt zu dem allgemeinen Grundſatz von der Einartigkeit aller Weſen ſeyn. Dieß iſt das Ziel, welches man ſich geſetzt hat, und es iſt nur die Frage, ob man es auch erreichet habe? Jch kann mit Condillac, und noch weiter mit dem Hrn. Bonnet auf eine lange Strecke fortkommen; aber auf den Stel- len, wo ſie von dem Gefuͤhl und Empfinden zum Bewußtwerden oder zur Apperception und zum Denken uͤberſchreiten, und dieſes aus jenem erklaͤren, was einen der weſentlichſten Punkte ihres Syſtems aus- machet; da deucht es mich, die Phantaſie habe einen kuͤh- nen Sprung gewagt, wo der Verſtand, der ſich uͤber die Graͤnzlinien der Deutlichkeit nicht hinauswaget, zu- ruͤckbleiben muß.
Der Weg, den ich zu dem nehmlichen Ziel genom- men habe, mag mich hinbringen, oder nicht; ſo habe ich fuͤr nothwendig angeſehen, vor allen Dingen jedwede von dieſen Seelenwirkungen, Empfindungen, Vor- ſtellungen und Gedanken, vorher fuͤr ſich beſonders zu unterſuchen. Vielleicht hatte man ſie noch nicht ge-
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der Vorſtellungen.
und durch die Zergliederung der Wirkſamkeitsarten der
Seele, wenn ſie Denket, Empfindet und Vorſtellun-
gen machet, die innere Jdenditaͤt dieſer Thaͤtigkeiten
offenbar werde. Wenn es evident gemacht werden kann,
daß die Beſtandtheile in ihnen allen innerlich dieſelben
ſind, daß nur ein Mehr oder Weniger, oder gar nur ei-
ne aͤußere Verſchiedenheit in den Mitteln und Gegen-
ſtaͤnden ihren ſcheinbaren Unterſchied ausmache, ſo kann
wohl weiter nichts verlanget werden. Alsdenn wuͤrde
auch daraus der fruchtbare Satz gefolgert werden koͤn-
nen, daß ein jedes Weſen, was zum Empfinden von
Natur aufgeleget iſt, entweder, wenn ſeine aͤußere Um-
ſtaͤnde ſich aͤndern, oder, wenn ihm eine groͤßere innere
Staͤrke der Grundkraft beygebracht wird, zu einem vor-
ſtellenden und denkenden Weſen gemacht werden koͤnne.
Dieß wuͤrde ein großer Schritt zu dem allgemeinen
Grundſatz von der Einartigkeit aller Weſen ſeyn. Dieß
iſt das Ziel, welches man ſich geſetzt hat, und es iſt nur
die Frage, ob man es auch erreichet habe? Jch kann
mit Condillac, und noch weiter mit dem Hrn. Bonnet
auf eine lange Strecke fortkommen; aber auf den Stel-
len, wo ſie von dem Gefuͤhl und Empfinden zum
Bewußtwerden oder zur Apperception und zum
Denken uͤberſchreiten, und dieſes aus jenem erklaͤren,
was einen der weſentlichſten Punkte ihres Syſtems aus-
machet; da deucht es mich, die Phantaſie habe einen kuͤh-
nen Sprung gewagt, wo der Verſtand, der ſich uͤber
die Graͤnzlinien der Deutlichkeit nicht hinauswaget, zu-
ruͤckbleiben muß.
Der Weg, den ich zu dem nehmlichen Ziel genom-
men habe, mag mich hinbringen, oder nicht; ſo habe
ich fuͤr nothwendig angeſehen, vor allen Dingen jedwede
von dieſen Seelenwirkungen, Empfindungen, Vor-
ſtellungen und Gedanken, vorher fuͤr ſich beſonders
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/67>, abgerufen am 16.02.2025.
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