Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

IX. Versuch. Ueber das Grundprincip
hat ihnen solche durch seinen Widerstand entzogen, oder
sie selbst haben sie von sich gegeben, und sie verbrauchet,
je nachdem man sichs vorstellen will. Diese allgemeine
Reaktion, ohne welche kein Körper verändert wird, noch
einige Bewegung aufnimmt, wollen verschiedene Natur-
lehrer für keine wahre Aktion erkennen, welche aus ei-
ner thätigen Kraft entspringe; da andere sie als Wir-
kungen einer Kraft ansehen, die in demselbigen Verstan-
de, wie andere Kräfte, wirke und thätig sey. Die Sa-
che bleibt hier unentschieden; aber so viel ist gewiß, das
Phänomen ist in beiden Fällen, wie man es erklären
will, dasselbige. Kein Körper kann in den andern wir-
ken, und kein Körper kann in sich etwas aufnehmen, oh-
ne daß entweder die Bewegung in dem wirkenden Kör-
per um so viel vermindert, oder auch eine neue nach der
entgegengesetzten Seite in ihm hervorgebracht wird, wenn
keine in ihm vorhanden ist, als dem leidenden Körper
beygebracht worden ist.

Dennoch hat das Wachs durch diese Reaktion alles
ausgerichtet, was es ausrichten kann, wenn die auf das-
selbe gefallenen Körper zur Ruhe gebracht sind. Es stö-
ßet diese Körper nicht wiederum von sich zurück. Soll
nun die Reaktion des Wachses diesen Namen behalten,
so ist sie in so weit eine bloße Reaktion; und die Kraft
dazu erstrecket sich nicht weiter, als darauf, daß eine an-
dere Kraft verbrauchet und vernichtet wird. Diese blo-
ße Reaktion gehet nicht weiter heraus, als bis dahin,
Aber sie ist allemal vorhanden, wo ein Körper etwas
aufnimmt. Das Vermögen, sich modificiren zu lassen,
ist also zugleich das Vermögen zu reagiren. Beides ist
Eins und dasselbige, nur von verschiedenen Seiten be-
trachtet. Es ist Receptivität, wenn auf das gesehen
wird, was in dem leidenden Körper entstehet, und es ist
Reaktionsvermögen, in so ferne auf die Verände-
rung in der äußern wirkenden Ursache gesehen wird.

An

IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip
hat ihnen ſolche durch ſeinen Widerſtand entzogen, oder
ſie ſelbſt haben ſie von ſich gegeben, und ſie verbrauchet,
je nachdem man ſichs vorſtellen will. Dieſe allgemeine
Reaktion, ohne welche kein Koͤrper veraͤndert wird, noch
einige Bewegung aufnimmt, wollen verſchiedene Natur-
lehrer fuͤr keine wahre Aktion erkennen, welche aus ei-
ner thaͤtigen Kraft entſpringe; da andere ſie als Wir-
kungen einer Kraft anſehen, die in demſelbigen Verſtan-
de, wie andere Kraͤfte, wirke und thaͤtig ſey. Die Sa-
che bleibt hier unentſchieden; aber ſo viel iſt gewiß, das
Phaͤnomen iſt in beiden Faͤllen, wie man es erklaͤren
will, daſſelbige. Kein Koͤrper kann in den andern wir-
ken, und kein Koͤrper kann in ſich etwas aufnehmen, oh-
ne daß entweder die Bewegung in dem wirkenden Koͤr-
per um ſo viel vermindert, oder auch eine neue nach der
entgegengeſetzten Seite in ihm hervorgebracht wird, wenn
keine in ihm vorhanden iſt, als dem leidenden Koͤrper
beygebracht worden iſt.

Dennoch hat das Wachs durch dieſe Reaktion alles
ausgerichtet, was es ausrichten kann, wenn die auf daſ-
ſelbe gefallenen Koͤrper zur Ruhe gebracht ſind. Es ſtoͤ-
ßet dieſe Koͤrper nicht wiederum von ſich zuruͤck. Soll
nun die Reaktion des Wachſes dieſen Namen behalten,
ſo iſt ſie in ſo weit eine bloße Reaktion; und die Kraft
dazu erſtrecket ſich nicht weiter, als darauf, daß eine an-
dere Kraft verbrauchet und vernichtet wird. Dieſe blo-
ße Reaktion gehet nicht weiter heraus, als bis dahin,
Aber ſie iſt allemal vorhanden, wo ein Koͤrper etwas
aufnimmt. Das Vermoͤgen, ſich modificiren zu laſſen,
iſt alſo zugleich das Vermoͤgen zu reagiren. Beides iſt
Eins und daſſelbige, nur von verſchiedenen Seiten be-
trachtet. Es iſt Receptivitaͤt, wenn auf das geſehen
wird, was in dem leidenden Koͤrper entſtehet, und es iſt
Reaktionsvermoͤgen, in ſo ferne auf die Veraͤnde-
rung in der aͤußern wirkenden Urſache geſehen wird.

An
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0668" n="608"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Grundprincip</hi></fw><lb/>
hat ihnen &#x017F;olche durch &#x017F;einen Wider&#x017F;tand entzogen, oder<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t haben &#x017F;ie von &#x017F;ich gegeben, und &#x017F;ie verbrauchet,<lb/>
je nachdem man &#x017F;ichs vor&#x017F;tellen will. Die&#x017F;e allgemeine<lb/>
Reaktion, ohne welche kein Ko&#x0364;rper vera&#x0364;ndert wird, noch<lb/>
einige Bewegung aufnimmt, wollen ver&#x017F;chiedene Natur-<lb/>
lehrer fu&#x0364;r keine wahre Aktion erkennen, welche aus ei-<lb/>
ner tha&#x0364;tigen Kraft ent&#x017F;pringe; da andere &#x017F;ie als Wir-<lb/>
kungen einer Kraft an&#x017F;ehen, die in dem&#x017F;elbigen Ver&#x017F;tan-<lb/>
de, wie andere Kra&#x0364;fte, wirke und tha&#x0364;tig &#x017F;ey. Die Sa-<lb/>
che bleibt hier unent&#x017F;chieden; aber &#x017F;o viel i&#x017F;t gewiß, das<lb/>
Pha&#x0364;nomen i&#x017F;t in beiden Fa&#x0364;llen, wie man es erkla&#x0364;ren<lb/>
will, da&#x017F;&#x017F;elbige. Kein Ko&#x0364;rper kann in den andern wir-<lb/>
ken, und kein Ko&#x0364;rper kann in &#x017F;ich etwas aufnehmen, oh-<lb/>
ne daß entweder die Bewegung in dem wirkenden Ko&#x0364;r-<lb/>
per um &#x017F;o viel vermindert, oder auch eine neue nach der<lb/>
entgegenge&#x017F;etzten Seite in ihm hervorgebracht wird, wenn<lb/>
keine in ihm vorhanden i&#x017F;t, als dem leidenden Ko&#x0364;rper<lb/>
beygebracht worden i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Dennoch hat das Wachs durch die&#x017F;e Reaktion alles<lb/>
ausgerichtet, was es ausrichten kann, wenn die auf da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe gefallenen Ko&#x0364;rper zur Ruhe gebracht &#x017F;ind. Es &#x017F;to&#x0364;-<lb/>
ßet die&#x017F;e Ko&#x0364;rper nicht wiederum von &#x017F;ich zuru&#x0364;ck. Soll<lb/>
nun die Reaktion des Wach&#x017F;es die&#x017F;en Namen behalten,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie in &#x017F;o weit eine <hi rendition="#fr">bloße Reaktion;</hi> und die Kraft<lb/>
dazu er&#x017F;trecket &#x017F;ich nicht weiter, als darauf, daß eine an-<lb/>
dere Kraft verbrauchet und vernichtet wird. Die&#x017F;e blo-<lb/>
ße Reaktion gehet nicht weiter heraus, als bis dahin,<lb/>
Aber &#x017F;ie i&#x017F;t allemal vorhanden, wo ein Ko&#x0364;rper etwas<lb/>
aufnimmt. Das Vermo&#x0364;gen, &#x017F;ich modificiren zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
i&#x017F;t al&#x017F;o zugleich das Vermo&#x0364;gen zu reagiren. Beides i&#x017F;t<lb/>
Eins und da&#x017F;&#x017F;elbige, nur von ver&#x017F;chiedenen Seiten be-<lb/>
trachtet. Es i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Receptivita&#x0364;t,</hi> wenn auf das ge&#x017F;ehen<lb/>
wird, was in dem leidenden Ko&#x0364;rper ent&#x017F;tehet, und es i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">Reaktionsvermo&#x0364;gen,</hi> in &#x017F;o ferne auf die Vera&#x0364;nde-<lb/>
rung in der a&#x0364;ußern wirkenden Ur&#x017F;ache ge&#x017F;ehen wird.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">An</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[608/0668] IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip hat ihnen ſolche durch ſeinen Widerſtand entzogen, oder ſie ſelbſt haben ſie von ſich gegeben, und ſie verbrauchet, je nachdem man ſichs vorſtellen will. Dieſe allgemeine Reaktion, ohne welche kein Koͤrper veraͤndert wird, noch einige Bewegung aufnimmt, wollen verſchiedene Natur- lehrer fuͤr keine wahre Aktion erkennen, welche aus ei- ner thaͤtigen Kraft entſpringe; da andere ſie als Wir- kungen einer Kraft anſehen, die in demſelbigen Verſtan- de, wie andere Kraͤfte, wirke und thaͤtig ſey. Die Sa- che bleibt hier unentſchieden; aber ſo viel iſt gewiß, das Phaͤnomen iſt in beiden Faͤllen, wie man es erklaͤren will, daſſelbige. Kein Koͤrper kann in den andern wir- ken, und kein Koͤrper kann in ſich etwas aufnehmen, oh- ne daß entweder die Bewegung in dem wirkenden Koͤr- per um ſo viel vermindert, oder auch eine neue nach der entgegengeſetzten Seite in ihm hervorgebracht wird, wenn keine in ihm vorhanden iſt, als dem leidenden Koͤrper beygebracht worden iſt. Dennoch hat das Wachs durch dieſe Reaktion alles ausgerichtet, was es ausrichten kann, wenn die auf daſ- ſelbe gefallenen Koͤrper zur Ruhe gebracht ſind. Es ſtoͤ- ßet dieſe Koͤrper nicht wiederum von ſich zuruͤck. Soll nun die Reaktion des Wachſes dieſen Namen behalten, ſo iſt ſie in ſo weit eine bloße Reaktion; und die Kraft dazu erſtrecket ſich nicht weiter, als darauf, daß eine an- dere Kraft verbrauchet und vernichtet wird. Dieſe blo- ße Reaktion gehet nicht weiter heraus, als bis dahin, Aber ſie iſt allemal vorhanden, wo ein Koͤrper etwas aufnimmt. Das Vermoͤgen, ſich modificiren zu laſſen, iſt alſo zugleich das Vermoͤgen zu reagiren. Beides iſt Eins und daſſelbige, nur von verſchiedenen Seiten be- trachtet. Es iſt Receptivitaͤt, wenn auf das geſehen wird, was in dem leidenden Koͤrper entſtehet, und es iſt Reaktionsvermoͤgen, in ſo ferne auf die Veraͤnde- rung in der aͤußern wirkenden Urſache geſehen wird. An

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/668
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/668>, abgerufen am 22.11.2024.